Wie teuer würde es für Rupert Stadler, wenn er eine mögliche Freiheitsstrafe im Audi-Prozess unbedingt vermeiden will? Schließlich steht der Lockruf von Richter Stefan Weickert im Raum, nach dem die Angeklagten mit einer Bewährungsstrafe, also ohne Gefängnis, davonkommen, wenn sie „vollumfänglich“ gestehen. Doch der 60-jährige Angeklagte bleibt seit dem 30. September 2020, als der Prozess um den Abgas-Betrug in München begann, noch bei seiner Version: Danach hat er nichts von den Tricksereien gewusst und wurde als Betriebswirt von Technikern an der Nase herumgeführt.
So sieht Beharrlichkeit aus. Doch dann zelebrierte Weickert seinen trickreichen Bewährungs-Schachzug, um den Prozess nach langer Zeit doch auf die Ziel-Linie zu bugsieren. Was mag in Stadler und den ihn stützenden Familienmitgliedern seitdem nicht alles vorgehen? Die Aussicht, dass der Mann und Vater nicht mehr dauernd nach München zu Gerichtsverhandlungen fahren muss und ihm eine erneute Haft erspart bleibt, setzt sicher Diskussionen in Gang. Gerade Ehe-Frauen sollen in ähnlichen Fällen ihren Männern geraten haben, reinen Tisch zu machen, um dann das Leben wieder genießen zu können.
Prozess um Abgas-Manipulation bei Audi: Worauf will Stadler hinaus?
Worauf Stadler hinauswill, bleibt unklar. Für Dienstag ist in München noch ein Rechtsgespräch zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung angesetzt. Es wird sondiert, ob der Angeklagte zu einem Geständnis bereit ist. Die Ergebnisse der Unterhaltung muss Weickert am Mittwoch bei der Fortsetzung des Prozesses verlesen. Es gab schon ein derartiges Rechtsgespräch. Bei dem Termin wurde auch erörtert, wie es mit Stadler weitergehen könne. Dabei hat das Gericht den Angeklagten eine Bewährungsstrafe von rund eineinhalb bis zwei Jahren angeboten. Die Staatsanwaltschaft will ihm die Türe zu einer Zeit ohne eine eventuelle Haft aber nur dann aufhalten, wenn er eine Bewährungsauflage in Millionenhöhe locker macht. Stadlers Pforte zur Freiheit ist siebenstellig. Weickert scheint überzeugt zu sein, dass der Manager dazu finanziell in der Lage ist, zumal er als Audi-Chef satte Millionen-Einkommen einstrich. Zudem würden Stadler zwei Häuser und elf Eigentumswohnungen in Ingolstadt und München gehören. Hinzu käme ein Bankguthaben von 1,3 Millionen Euro, aber auch ordentlich hohe Kreditschulden.
Stadler verfolgt das Geschehen am Dienstag vor Gericht in München ohne Sakko im weinroten Rollkragen-Pullover. Er rutscht mehr als sonst nervös hin und her. Für ihn wird es spannend. Der mitangeklagte frühere Audi-Motorenchef und einstige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz bleibt hingegen konsequent entspannt. Der schlanke, große Mann mit den grauen Haaren trägt zur Wollhose einen blauen Rollkragen-Pullover. Es regnet in München. Da ist seine wattierte Winter-Jacke mit großer Kapuze praktisch. Der 64-Jährige hält auch nach 164 Prozesstagen die mimisch-reduzierte Verfahrens-Strategie vorsätzlich durch. Seine Pokerface-Maske funktioniert. An diesem Tag stecken Hatz und sein Anwalt Gerson Trüg die Köpfe inniger als sonst zusammen. Räumt Hatz doch ein, am Abgas-Betrug beteiligt gewesen zu sein? Vieles deutet darauf hin, dass er sich einen Ruck gibt. Schließlich hat ihn Weickert wie Stadler eine Brücke gebaut, dank der eine weitere Haft vermeiden kann.
Ex-Porsche-Vorstand Hatz weiß, wie Gefängnis riecht und schmeckt
Hatz weiß, wie Gefängnis riecht und schmeckt. Von Ende September 2017 bis Juni 2018 war Stadelheim sein Wohnsitz. Die Untersuchungshaft muss ihm schwer zugesetzt haben, härter als dem einst das gleiche Schicksal durchleidenden Stadler. Trüg spricht davon, sein Mandant kämpfe bis heute mit „gesundheitlichen Beeinträchtigungen“, die auf die Stadelheimer Monate zurückgingen. Auch sei Hatz durch die U-Haft wirtschaftlich gebrochen und verfüge über keinen zusätzlichen nennenswerten Einnahmen über seine, wenn auch üppige Betriebsrente hinaus. Wenn ein juristischer Beistand derartige Details der Vermögensverhältnisse seines Klienten ausbreitet und in dem Zusammenhang nur eine kleine Immobilie in Italien erwähnt, will er Einfluss auf die Höhe einer möglichen Geldzahlung nehmen.
Weickert hofft, dass sein Lockruf bei dem einstigen Top-Manager des VW-Konzerns verfängt. Der Richter hat auch ihm eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt, wenn er gesteht. Geht Hatz darauf ein, muss er nie wieder Stadelheim riechen und schmecken. Die Versuchung ist groß. Hatz erliegt ihr. Er ringt sich zu einem Geständnis durch. Den Text seiner plötzlichen Wahrheitsliebe liest sein Anwalt Trüg vor. Reue schimmert durch: „Ich bedauere, dass ich mich nicht im Hinblick meiner Möglichkeiten verhalten habe.“ Hatz bezichtigt sich verklausuliert, er hätte sich nicht mit der Möglichkeit der Abschalteinrichtungen abfinden dürfen. „Ich habe das erkannt und hingenommen“, lässt er dem Gericht mitteilen. Der Angeklagte räumt schließlich, „die mir zur Last gelegten Vorwürfe vollumfänglich ein“.
Ex-Porsche-Chef Hatz räumt ein, dass er von den geschönten Abgaswerten wusste
Hatz wusste demnach, wie bei Audi-Diesel-Fahrzeugen durch technische Tricks verschleiert wurde, dass sie auf der Straße deutlich mehr gesundheitsschädliche Stickoxide ausstoßen, als auf Testständen gemessen wurde. Das Gericht wäre bereit, das Verfahren gegen den Mann bei einer Bewährungsstrafe und der Zahlung von 400.000 Euro einzustellen. Die erkaufte Ruhe wirkt so nahe für Hatz und ist doch so fern. Denn die Staatsanwaltschaft macht bei dem Stadelheimer Audi-Deal nicht mit. Dass die Anklagebehörde dem Manager den Ausweg versperrt, wird mit seiner einst hohen Position im Reich des VW-Konzerns und „dem ihm zuzurechnenden hohen Schaden“ begründet. Vor dem Prozesstag hatte die Süddeutsche Zeitung behauptet, die Staatsanwaltschaft sei „entsetzt“ über das vom Gericht in Aussicht gestellte zu niedrige Ausmaß der Strafzahlung. Das weist Staatsanwalt Nico Petzka entschieden zurück: „Wir sind nicht entsetzt.“
Anders als Hatz, für den der Gerichts-Marathon nicht beendet ist, kann der frühere Audi-Ingenieur Giovanni P. mit dem Diesel-Skandal abschließen. In seinem Fall stimmt die Staatsanwaltschaft zu, dass der 66-jährige Italiener nach seinem vom Gericht anerkannten Geständnis mit einer Bewährungsstrafe und einer Zahlung von 50.000 Euro davonkommt. Jetzt blicken alle auf Stadler. Wusste er doch alles?