Vor fünf Jahren hat Tanja Eberhard sich eine neue Stelle gesucht. Damals war ihr Sohn gerade acht Jahre alt. Und Eberhard wusste: Sie will flexibler arbeiten. In ihrem damaligen Betrieb konnte sie halbtags kommen – aber nicht so, wie sie sich das gewünscht hat. „Ich hatte immer an einem Tag die Woche frei“, erzählt sie heute. „Aber ich wollte lieber jeden Tag da sein und dafür kürzer.“ Also hat sie sich nach einer neuen Stelle umgesehen und ist auf das Unternehmen Reflexa gestoßen. Der Betrieb in Rettenbach im Landkreis Günzburg ist in vielerlei Hinsicht typisch für die Unternehmen in der Region.
330 Menschen arbeiten dort. Sie stellen Markisen, Rollläden und Jalousien her. Schon 1961 gründete Hans Peter Albrecht die Firma, seit ein paar Jahren leitet sie seine Tochter Miriam Albrecht. Und obwohl der Name vielleicht nicht jedem etwas sagt, gehört die Firma in ihrem Bereich zu den Marktführern, ist außerdem ziemlich innovativ. Ein typischer Hidden Champion eben, wie es so viele in Region gibt. Und noch etwa zeichnet die Firma aus: Die 330 Angestellten arbeiten in 149 Arbeitszeitmodellen. Und zwar sowohl in der Fertigung als auch in der Verwaltung.
Viele Unternehmen überdenken gerade ihre Arbeitszeitmodelle
Das ist bemerkenswert. Und doch ist Miriam Albrecht nicht allein mit ihrer Unternehmensphilosophie. Es gibt Unternehmen, die experimentieren mit einer Vier-Tage-Woche für alle Angestellten. Die Beschäftigten der Deutschen Bahn konnten Anfang des Jahres wählen, ob sie lieber 2,62 Prozent mehr Gehalt hätten, sechs Tage mehr Urlaub oder 38 statt 40 Stunden in der Woche arbeiten wollen. Der Maschinenbauer Trumpf aus dem baden-württembergischen Ditzingen lässt seine Mitarbeiter seit einiger Zeit selbst bestimmen, wie viel sie arbeiten wollen – alles zwischen 15 und 40 Stunden in der Woche ist in Ordnung. Im Anschluss stieg die Zahl der Bewerber um 85 Prozent. Auch die IG Metall erstritt in Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern ein Recht auf befristete Teilzeit. Wer möchte, kann künftig für bis zu zwei Jahren seine Arbeitszeit auf 28 Stunden verkürzen und hat danach das Recht, wieder in Vollzeit zu arbeiten.
Es ist der Abschied von der alten Ordnung. Man könnte auch sagen: Kaum merklich hat sich in der deutschen Arbeitswelt eine Revolution vollzogen. Früher war Arbeit etwas, über das nicht viel geredet wurde. Man ging morgens ins Büro oder in den Betrieb und abends in den Feierabend. Hin und wieder gab es Teilzeitkräfte, die bis 12 Uhr im Haus waren. Alle paar Jahre spendierte der Chef eine Gehaltserhöhung und zum 30. Betriebsjubiläum eine Flasche Wein.
Das reicht mittlerweile lange nicht mehr. Arbeitnehmer haben heute oft hohe Ansprüche an ihren Job. Glaubt man einer Befragung des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, dann wollen sie vor allem, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird. Dass sie sich im Büro wohlfühlen – und Arbeit und Freizeit sich gut vereinen lassen. Geld spielt natürlich auch eine Rolle. Aber längst nicht so eine große wie oftmals gedacht. Nach einer Umfrage des Familienministeriums ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie 92 Prozent der 25- bis 39-jährigen sogar wichtiger als das Gehalt.
Darauf müssen sich Unternehmen einstellen. Denn gute Mitarbeiter zu finden, ist nicht leicht – vor allem in einer Region, in der Konzerne und Mittelständler um die besten Kräfte buhlen. Im Landkreis Günzburg, der Heimat des Unternehmens Reflexa, herrscht Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosenquote lag zuletzt bei 1,9 Prozent. Um da herauszustechen, muss sich ein Unternehmen schon bemühen. Es muss eingehen auf die Wünsche der Mitarbeiter. Wie im Fall von Tanja Eberhard. Kurz nachdem sie in den Reflexa-Werken angefangen hatte, entschied sie sich ihre Stundenzahl zu erhöhen. Ihr Sohn hatte Gefallen an Mittagsbetreuung gefunden, wollte lieber länger bei seinen Schulfreunden bleiben. Und Eberhard blieb länger in der Arbeit. Gar kein Problem. „Aber jetzt würde ich gerne wieder ein bisschen kürzertreten“, sagt die Frau mit der Kurzhaarfrisur. „Ich möchte ein bisschen mehr Zeit für mich.“ Und: Ihr Sohn, der inzwischen die 7. Klasse besucht, hat inzwischen Hobbys, für die er herumgefahren werden muss. Also braucht er seine Mutter wieder mehr. Auch das ist kein Problem.
Viele Betriebe experimentieren gerade mit „New Work“
So wünschen es sich viele Angestellte: Der Arbeitgeber soll mitwachsen. Sich den verschiedenen Lebensphasen anpassen. Sind die Kinder klein, wollen sie mehr Zeit für die Familie. Verlässt der Nachwuchs das Haus, wieder mehr arbeiten. Und rückt der Ruhestand näher, wollen sie sich vielleicht langsam an die arbeitsfreie Zeit gewöhnen. So wie Carmen Epple. Sie sitzt bei Reflexa am Empfang - außer am Montagnachmittag und mittwochs. Dann hat Epple frei. Ihr Mann ist in der passiven Phase der Altersteilzeit und sie sagt: „Wir wollten uns langsam daran gewöhnen, wie das ist, wenn plötzlich beide Zuhause sind.“ Es funktioniere ganz wunderbar. Aber der Frau mit dem kinnlangen aschblonden Haar ist noch etwas anderes wichtig: „Ich weiß, wenn ich nicht da bin, dann übernimmt eine andere, gute Kollegin meine Arbeit. Darauf kann ich mich verlassen.“
Und das, sagt Chefin Mirjam Albrecht ist genau der Grund, warum sie ihren Mitarbeitern anbietet, so flexibel wie möglich zu arbeiten. „Es kommt immer wieder etwas zurück. Und wer gerne herkommt, arbeitet auch besser.“ Wer merkt, dass seine Bedürfnisse vom Unternehmen ernst genommen werden, der nimmt auch seinen Arbeitgeber ernst. Deshalb gibt es bei Reflexa zum Beispiel auch Fitnesstage und einen Betriebsseelsorger, der sich um die Sorgen und Nöte der Belegschaft kümmert. „Die Menschen sollen jemanden haben, mit dem sie reden können“, sagt Albrecht. So kommen sie gerne. Und das hilft am Ende beiden Seiten.
Miriam Albrecht nimmt den Ausdruck nicht in den Mund, aber vieles von dem, was sie beschreibt, hat auch Frithjof Bergmann bereits Mitte der 80er Jahre beschäftigt. Der US-amerikanische Philosoph hat den Begriff „New Work“ geprägt. Heute feiert das Schlagwort eine Renaissance. Dahinter steckt die Theorie, dass Mitarbeiter zufriedener sind, wenn sie flexibel arbeiten, Entscheidungen selbst treffen und Verantwortung übernehmen.
Viele Start-ups arbeiten nach dem Prinzip, aber auch Konzerne wie Microsoft. Das Computer-Unternehmen hat vor vier Jahren den festen Arbeitsplatz abgeschafft. In der neuen Firmenzentrale in München haben die Beschäftigten keinen eigenen Schreibtisch mehr. Microsoft-Mitarbeiter können arbeiten wann und wie sie wollen: zu Hause oder im Büro, um 6 Uhr morgens oder um 22 Uhr abends. Entscheidend, heißt es bei Microsoft, ist nur eins: das Ergebnis.
Muss der Job der Lebensinhalt sein? Nein, sagt ein Autor
In dieser modernen Arbeitswelt verlaufen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit fließend. Der Mitarbeiter ist selbst dafür verantwortlich sich zu organisieren. Im Gegenzug bekommt er, so das Versprechen, Flexibilität und Freiheit – und einen Beruf, der ihn erfüllt.
Aber ist das überhaupt erstrebenswert? Muss der Job das bieten? Nein, sagt Volker Kitz. Der Bestsellerautor hat ein Buch über die moderne Arbeitswelt geschrieben, der Titel: „Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss“. Es ist eine Streitschrift für einen entspannteren Umgang mit Arbeit. Glaubt man ihm, dann ist es „völlig in Ordnung, seine Arbeit nur okay zu finden“, sagt Kitz.
„Der Beruf muss nicht der Lebensinhalt sein.“ Der Autor ist der Meinung, dass man seinen Job auch gut machen kann, ohne dafür zu brennen. „Wir haben die Sinnschraube völlig überdreht“, sagt er. „Normale Berufe sind uns nicht mehr gut genug.“ Er fordert, dass die Arbeitswelt aufrichtiger werden muss. „Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen ehrlich darüber reden können, dass nicht jeder Job ein Traumjob ist und es aber auch nicht sein muss.“ Es reiche völlig, zufrieden zu sein.
Auch Arbeitsforscher sehen Flexibilität durchaus kritisch. „Extrem flexible Arbeitszeiten gehen häufig zulasten der Beschäftigten“, schreiben die Macher einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Wer im Homeoffice arbeite, könne abends oft nicht abschalten. Klare Arbeitszeitregeln würden dagegen Planungssicherheit bieten und so Stress reduzieren.
Das haben auch die Jugendlichen erkannt. Die nächste Generation, die jetzt an den Arbeitsmarkt strömt. Sie trägt den schönen Namen Generation Z. Wer sie verstehen möchte, sollte mit Rüdiger Maas und Lorenz Schlotter sprechen – zwei Unternehmensberatern, die gerade in Augsburg ein Forschungsinstitut für Generationen gegründet und eine große Befragung unter Jugendlichen zwischen 17 und 23 durchgeführt haben. Herausgekommen ist etwas ganz Erstaunliches.
Die Jungen wollen das alles gar nicht. Sie wollen nicht flexibel arbeiten. Und schon gar nicht von zuhause aus. Sie wollen im Feierabend keine E-Mails lesen und keine Anrufe entgegen nehmen. Sie wollen keinen Tischkicker und keine Ruhezone im Büro. Für sie gilt: Arbeit ist Arbeit. Privat ist Privat. Vermischung unerwünscht. Aber eines, das wollen auch sie: Sich wohlfühlen am Arbeitsplatz. Einen Chef, der sich um sie kümmert, auf ihre Anliegen eingeht und ihnen entgegenkommt.
Für Unternehmer wie die Reflexa-Chefin Miriam Albrecht heißt das: Vielleicht brauchen sie nicht mehr ganz so viele Arbeitszeitmodelle. Gedanken machen über die Arbeitswelt der Zukunft müssen sie sich weiterhin.
Warum es nicht ausreicht die Räume umzugestalten, um zufriedene Mitarbeiter zu haben, lesen Sie hier.