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Wohnen: Augsburg boomt: Sieht so das Wohnen der Zukunft aus?

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Augsburg boomt: Sieht so das Wohnen der Zukunft aus?

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    Die Bahnstadt in Heidelberg gefällt nicht jedem. Trabantenstadt nennen manche sie. Andere loben ihr ökologisches Konzept.
    Die Bahnstadt in Heidelberg gefällt nicht jedem. Trabantenstadt nennen manche sie. Andere loben ihr ökologisches Konzept. Foto: Uwe Anspach, dpa

    Wer am Hauptbahnhof ankommt, ist schneller in der Heidelberger Zukunft als im Heidelberger Gestern mit seiner barocken Pracht, dem Kopfsteinpflaster und dem Schloss. Zur Altstadt, durch die sich die Touristen schieben, sind es zwei S-Bahn-Stationen. Zur „Bahnstadt“ dagegen, dem jüngsten Stadtteil Heidelbergs, kann man direkt von der Überführung des Bahnhofs herabsteigen.

    Hier, wo bis 1997 die Güterzüge rangierten, entstehen Gebäude, die es in diesem Ausmaß, in dieser Zahl kein zweites Mal gibt. Sie könnten genauso in einem Münchner Neubaugebiet oder in einer Satellitenstadt von Schanghai stehen, eigentlich überall auf der Welt: weiß, würfelförmig, aus der Vogelperspektive eine Schuhkartonsammlung. Eine Optik, an die man sich gewöhnen muss und die nicht jedem gefällt. In einem Punkt jedoch ist die Siedlung einzigartig. Manche sagen: vorbildlich. Oder eben: zukunftsorientiert.

    In Deutschlands Städten, das kann niemand mehr wegdiskutieren, herrscht Wohnungsnot. Entsprechend versuchen kommunale Planer, letzte noch vorhandene Flächen für neue Quartiere oder gleich neue Stadtteile zu erschließen. Eine Gratwanderung, gerade in ökologischer Hinsicht. Schließlich werden so noch mehr Flächen versiegelt, Verkehrs- und Schadstoffbelastung nehmen noch mehr zu. Zu welchen Konflikten dies führt, hat Freiburg gerade erst demonstriert. Erst nach aufreibenden Diskussionen und einem Bürgerentscheid stimmten die Bewohner der „grünen Stadt“ der Gründung eines neuen Stadtteils für 15.000 Menschen zu.

    Die Familie Schmidt gehörte zu den ersten Bewohnern der Heidelberger Bahnstadt. Heute könnten sie sich ihre Immobilie dort nicht mehr leisten.
    Die Familie Schmidt gehörte zu den ersten Bewohnern der Heidelberger Bahnstadt. Heute könnten sie sich ihre Immobilie dort nicht mehr leisten.

    Und dann das Problem mit Energie, Lärm und Verkehr

    In München laufen Planungen für ein Baugebiet im Nordosten, in dem sogar einmal 30.000 Bürger leben sollen. Augsburg trifft ebenfalls Vorbereitungen für ein riesiges Bauprojekt, von dem noch die Rede sein wird. Und überall stellt sich die Frage: Wie lassen sich solche Quartiere realisieren mit Blick auf Energiebedarf, Lärm und Schadstoffe – die großen städtischen Probleme in Gegenwart und Zukunft also?

    Zu den Ersten, die im Spätsommer 2012 in die Heidelberger Bahnstadt zogen, Baufeld „Schwetzinger Terrassen“, Einheit C2.3, gehören Susanne und Volker Schmidt, ein Pädagogen-Paar. Sie Mitte 30, Grundschullehrerin, er Anfang 40, Deutsch und Geschichte am Gymnasium. Mit ihren vier Kindern, dazu Golden-Retriever-Hündin Kyra, wohnen sie auf 140 Quadratmetern, Erdgeschoss und erster Stock, Maisonette-Wohnung.

    Die Familie Schmidt gehörte zu den ersten Bewohnern der Heidelberger Bahnstadt. Heute könnten sie sich ihre Immobilie dort nicht mehr leisten.
    Die Familie Schmidt gehörte zu den ersten Bewohnern der Heidelberger Bahnstadt. Heute könnten sie sich ihre Immobilie dort nicht mehr leisten. Foto: Christoph Püschner, Zeitenspiegel

    „Wir haben in jedem Raum eine Heizung hängen“, sagt Vater Volker. „Aber die brauchen wir quasi nicht. Letztes Jahr haben wir vielleicht an zwei Tagen geheizt.“ Die Erklärung, die seine Frau dafür liefert, klingt fast esoterisch: „Unsere Körper wärmen die Wohnung. Dazu die Sonne. Oder wenn wir mal eine Kerze anzünden.“

    Ist aber keine Esoterik, ist Physik. Die Schmidts wohnen in einem Passivhaus, so gut gedämmt, so durchdacht durchlüftet, dass tatsächlich fast keine Heizenergie mehr nötig ist. „Selbst im Winter“, sagt Volker, „fällt die Temperatur kaum einmal unter 20 Grad.“

    Möglich wird das, weil ein Passivhaus Wärmeverluste vermeidet, so gut es geht. Knapp 30 Zentimeter dick sind die Außenwände gedämmt, noch mehr ist es an den Dächern. Die Fenster sind dreifachverglast, im Vergleich zu einer 1990 gängigen Verglasung geben sie nur noch ein Viertel der Wohnungswärme ab. Gleichzeitig werden Wärmequellen effektiver genutzt. Sonneneinstrahlung, Körperwärme, Hitzeabstrahlung von Haushaltsgeräten – und, ja, Kerzen. Alles wird in ein Wärmerückgewinnungssystem eingespeist, das etwa 80 Prozent der Abluftwärme recycelt, um damit die Frischluft aufzuheizen. 20 Grad warme Abluft wärmt also im Winter null Grad kalte Frischluft bereits auf 16 Grad Celsius vor, ehe die Heizung in Aktion treten muss.

    Das Areal ist so groß wie 200 Fußballfelder

    Die komplette Bahnstadt – und das macht das Quartier so außergewöhnlich – wird in extremer Energiesparbauweise errichtet. Auf 116 Hektar, einer Fläche so groß wie 200 Fußballfelder. Es ist die größte Passivhaus-Siedlung der Welt. Bis 2022 soll sie fertiggestellt sein. Rund 7000 Menschen werden dann in der Bahnstadt leben, so der Plan, knapp fünf Prozent der derzeit 150.000 Einwohner Heidelbergs. Fast noch einmal so viele sollen zum Arbeiten hierherkommen. Dann dürften, so Schätzungen, rund zwei Milliarden Euro verbaut worden sein.

    Es ist eine Investition in die Zukunft. Denn die Städte von morgen müssen weit weniger Energie verbrauchen als die Städte von gestern und heute. Das Klimaziel für 2050 lautet: minus 80 bis 95 Prozent Treibhausgase im Vergleich zu 1990. Zwar wurde in Deutschland im ersten Halbjahr 2018 erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als aus Kohle, das ist die gute Nachricht. Doch zu einer erfolgreichen Energiewende gehören neben der Strom- auch eine Verkehrs- und eine Gebäudewärmewende. Hier aber sind die Zahlen weniger sonnig. Beim Verkehr steigen die Emissionen sogar.

    Heidelbergs jüngster Stadtteil ist ein energiegenügsames Musterstädtle. Nicht nur bei den Immobilien. Auch bei der Mobilität. Die Bahnstadt ist eine Stadt der kurzen Wege. Wohnen und Arbeiten, Einkaufen und Freizeit, Kindergarten und Grundschule, alles soll in fußläufiger Entfernung sein. Wie in der guten alten Altstadt. Schon jetzt, da erst gut die Hälfte der Bahnstädter eingezogen ist, sind fünf Kindergärten, eine Grundschule und die ersten Geschäfte geöffnet. Friseure, Cafés, ein Supermarkt. Ein Zahnarzt, direkt neben einer Eisdiele.

    In den Innenhöfen und zwischen den Häusern: großzügige Flächen mit Wiesen und Wasser. Viele der Flachdächer: begrünt. Ein Großteil der Autos wurde unter die Erde verbannt, in Tiefgaragen. Dafür gibt es 3,5 Kilometer Radwege. „Man kann schon sagen, dass die Bahnstadt eine Ökosiedlung ist“, sagt Volker Schmidt. Aber andere Aspekte waren den Schmidts mindestens ebenso wichtig wie eine gute Klimabilanz. Wenig Autoverkehr. Spielplätze. Eine lebhafte Nachbarschaft. „Der soziale Faktor“, sagt Volker Schmidt. Kurz darauf springen durch die offene Terrassentür Nachbarskinder in die Wohnung, Freunde von Sohn Arian. „Tja, so läuft das hier“, sagt er.

    Im neuen Augsburger Stadtviertel sollen einmal bis zu 12.000 Menschen leben

    Und wie wird das mal in Augsburg laufen, wenn die ersten Kinder durch das neue Viertel im Süden springen? In der boomenden Stadt mit ihren schon fast 300.000 Einwohnern geht der Platz für Neubaugebiete aus. Deshalb soll dort, wo jetzt noch Ackerflächen sind, in einigen Jahren das Quartier „Haunstetten Südwest“ entstehen. Nach der Fertigstellung sollen hier bis zu 12.000 Menschen eine neue Heimat finden. „Wir planen nicht für unsere Generation, sondern für die Generation unserer Kinder und Enkel“, sagt der Augsburger Baureferent Gerd Merkle (CSU).

    Auf diesem Areal im Südwesten des Augsburger Stadtteils Haunstetten soll ein riesiges Baugebiet entstehen.
    Auf diesem Areal im Südwesten des Augsburger Stadtteils Haunstetten soll ein riesiges Baugebiet entstehen. Foto: Ulrich Wagner

    Entsprechend zukunftsorientiert soll das Viertel ausfallen – eine neue Straßenbahnlinie vor der Haustür, wenig Autos im Viertel, begrünte Dächer, auf denen vielleicht Lebensmittel angebaut werden, eigene Schulen, Kitas und Läden. Neben großen Grünflächen ist auch die Ansiedlung eines Gewerbegebiets vorgesehen – im Idealfall liegen Wohnen und Arbeit nah beieinander, um Verkehr zu vermeiden.

    Auf diesem Areal im Südwesten des Augsburger Stadtteils Haunstetten soll ein riesiges Baugebiet entstehen.
    Auf diesem Areal im Südwesten des Augsburger Stadtteils Haunstetten soll ein riesiges Baugebiet entstehen.

    Und dann ist da natürlich noch das Thema Energie. Die ursprüngliche Vision, dass das Viertel mehr Energie erzeugen könnte als es verbraucht, ist inzwischen etwas der Ernüchterung gewichen. Momentan läuft ein Wettbewerb unter Planungsbüros aus ganz Europa, die sich überlegen, wie das Viertel konkret aussehen soll. Angestrebt ist eine CO2-neutrale Energieversorgung: Fassaden und Dächer sollen für die Nutzung von Sonnenenergie herangezogen werden, auch Erdwärme aus tieferen Schichten – in Augsburg bisher noch nicht genutzt – könnte zur Versorgung beitragen. Die Digitalisierung soll dabei helfen, erzeugte Energie effizient zu verteilen und zu speichern.

    Ob „Haunstetten Südwest“ ein Passiv-Quartier wird, ist noch offen. Die Stadt verweist darauf, dass eine Passivhaussiedlung nur eine von vielen Ideen sei, um Energie einzusparen. Eine Augsburger Delegation hat sich auch die Bahnstadt in Heidelberg angeschaut. Vieles sei dort positiv aufgefallen, sagt Merkle, etwa der sparsame Umgang mit Energie und Fläche. In Augsburg sei keine Trabantenstadt geplant; aber klar sei, dass Häuser angesichts des geringen Platzangebots höher werden müssten. Allerdings, so Merkle, habe man in Heidelberg auch Problemstellen ausgemacht, etwa riechende Gewässer, in denen das Regenwasser im Viertel aufgefangen wird, statt in die Kanalisation fließen zu lassen.

    Baubeginn in Augsburg könnte in etwa vier Jahren sein; bis das Viertel fertiggestellt ist, könnte es 2050 werden. Allein schon deshalb müsse man bei der Planung flexibel bleiben, sagt Merkle. Heute habe man allenfalls eine Ahnung davon, was die Erfordernisse an Viertel in 20 oder 30 Jahren seien.

    Es ist kein Zufall, dass die weltweit größte Passivhaus-Siedlung ausgerechnet in Heidelberg Wirklichkeit wird. Das wird einem klar, wenn man das „Prinz Carl“ im Herzen der Altstadt besucht, früher Grand Hotel mit Gästen wie Goethe, Sisi und Bismarck, heute städtisches Verwaltungsgebäude. Hier, im zweiten Stock, hat Ralf Bermich sein Büro, Abteilungsleiter Klimaschutz und Energie beim Umweltamt. Bermich, Diplomphysiker, randlose Brille, Diplomphysikerbart, hat vor 25 Jahren bei der Stadtverwaltung angefangen. Kurz nachdem Heidelberg ein Klimaschutzkonzept beschlossen hatte, 1992 war das. „Damals hat die erste Weltklimakonferenz in Rio stattgefunden“, erinnert sich Bermich. „Heidelberg startete eine Kampagne mit dem Motto: „

    Die Schmidts könnten sich ihre Wohnung heute nicht mehr leisten

    Aber: Heidelberg hat gehandelt. Der Energieverbrauch der städtischen Gebäude wurde seitdem um mehr als 50 Prozent reduziert. Und schon fast die Hälfte aller Heidelberger Häuser wird heute energieeffizient durch Fernwärme aus Kraft-Wärme-Kopplung beheizt. 2014 hat die Stadt einen Masterplan beschlossen, mit dem sie bis 2050 zur klimaneutralen Kommune werden will. „Hier in Heidelberg sind sehr, sehr viele Dinge Realität geworden“, sagt Bermich. Dazu zählt nun auch die Bahnstadt als weltgrößter Passivhaus-Stadtteil. Wobei dieser Titel wackelt: „Derzeit entstehen in China mehrere große Passivhaus-Projekte, zwei haben sogar den Namen Bahnstadt übernommen.“

    Richtig günstig allerdings ist all das nicht zu haben. Susanne und Volker Schmidt konnten sich die Bahnstadt schon 2012 nur leisten, weil ihre Eltern sie großzügig unterstützten. Rund 450.000 Euro kostete ihre Wohnung, etwa 3200 Euro pro Quadratmeter. Heute, gut sechs Jahre Immobilienboom später, wäre der Kauf für sie illusorisch.

    Die Passivhaus-Bauweise trage zu den hohen Preisen wenig bei, darauf besteht Energie-Experte Bermich. „Passivhäuser sind nicht viel teurer zu bauen, das liegt im Bereich drei bis acht Prozent. Unterm Strich sind sie wahrscheinlich sogar billiger, da man durch den geringeren Wärmebedarf viel Geld beim Heizen spart.“ Trotzdem hat Heidelberg für die Bahnstadt eine Art städtische E-Haus-Prämie ausgelobt: eine monatliche Mietkostenbeteiligung von bis zu vier Euro pro Quadratmeter – oder einen einmaligen Kaufzuschuss, je nach Zahl der Familienmitglieder.

    Auch die Schmidts haben den Eigenheimzuschuss der Stadt genutzt: 15.000 Euro Familienprämie plus 1500 Euro für jedes Kind – damals waren es noch zwei. Die 18.000 Euro reichten genau für den Tiefgaragenstellplatz.

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