Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Exklusiv-Interview: Bayerns Wirtschaftsminister Pschierer fordert neuen Anlauf für TTIP

Exklusiv-Interview

Bayerns Wirtschaftsminister Pschierer fordert neuen Anlauf für TTIP

    • |
    Der Schwabe Franz Josef Pschierer ist als Wirtschaftsminister Nachfolger von Ilse Aigner. Der CSU-Mann spricht sich unter anderem für TTIP aus.
    Der Schwabe Franz Josef Pschierer ist als Wirtschaftsminister Nachfolger von Ilse Aigner. Der CSU-Mann spricht sich unter anderem für TTIP aus. Foto: Sven Hoppe, dpa (Archiv)

    Herr Pschierer, als neuer bayerischer Wirtschaftsminister scheinen Sie einen paradiesischen Job zu haben. Denn Sie sagen selbst, kein anderes Bundesland stehe, was Wachstum, Firmengründungen und den Arbeitsmarkt betrifft, so gut da. Macht Sie das arbeitslos?

    Pschierer: Arbeitslos werde ich nicht. Das Fundament ist zwar dank der Leistungen fleißiger Unternehmer, ihrer Mitarbeiter und dank klug gesetzter politischer Rahmenbedingungen gut. Aber es gibt große Herausforderungen für Bayern.

    Was sind das für Herausforderungen?

    Pschierer: Nehmen wir nur den Fachkräftemangel. In vielen Branchen ist die Lage dramatisch. Für viele Firmen kommt das einer Wachstumsbremse gleich. Diese Entwicklung geht zum Teil auf eine Fehlentwicklung in der Bildungspolitik zurück. Denn der akademische Teil der Bildung wurde in der Vergangenheit stark betont. Entsprechend geringer ist das Ansehen der Ausbildung im Vergleich zum Studium. Es wurde nicht ausreichend für die duale Ausbildung aus Lehre und Berufsschule geworben, sodass die Möglichkeiten und Karrierechancen dieses Berufsweges zu wenig bekannt sind. Wir müssen also noch stärker für die berufliche Bildung trommeln, auch wenn wir das in Bayern schon oft getan haben.

    Das klingt mehr nach harter Arbeit als Paradies. Wo sollen all die Experten – von der Pflegekraft bis zum Ingenieur – herkommen? Brauchen wir ein vernünftiges Zuwanderungsgesetz?

    Pschierer: Zunächst müssen wir die ungenutzten Potenziale am Arbeitsmarkt erschließen. Wir müssen uns anstrengen, etwa Studienabbrecher für eine Lehre zu gewinnen. Wir müssen uns bemühen, die Erwerbstätigenquote von Frauen weiter zu erhöhen. Und ich appelliere an Unternehmer, älteren Arbeitnehmern verstärkt die Chance auf einen Job zu geben beziehungsweise ihnen den Verbleib im Betrieb zu ermöglichen.

    Die Realität sieht oft anders aus. Ab 50 wird es schwer, noch einen Arbeitsplatz zu bekommen. Zu alt, zu teuer und nicht die passende Qualifikation, lautet oft die niederschmetternde Diagnose von Arbeitgebern.

    Pschierer: Ich kann das nicht akzeptieren. In den 80er und 90er Jahren wurde der große Fehler begangen, Menschen mit über 50 aus dem Erwerbsleben zu drängen – und das auf Kosten der Sozialversicherung. Doch heute muss es unser aller Ziel sein, Menschen länger am Arbeitsleben teilhaben zu lassen. Sie sind unverzichtbar auch dank ihrer Erfahrung und ihres Know-hows.

    "Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland"

    Aber auch wenn mehr Ältere und Frauen arbeiten, ja selbst wenn Studienabbrecher Klempner werden, wird das nicht reichen, den Bedarf an Fachkräften zu decken. Noch einmal: Brauchen wir in Deutschland nicht endlich ein Zuwanderungsgesetz?

    Pschierer: Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland- und deshalb ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz. Wir wollen keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme, sondern am Bedarf orientierte Zuwanderung von Arbeitnehmern. Das ist vor allem Aufgabe des Bundes. Aber ich werde zeitnah mit den Vertretern der bayerischen Wirtschaft und Innenminister Joachim Herrmann, dessen Haus zuständig ist, bayerische Eckpunkte für ein entsprechendes Gesetz erarbeiten.

    Wie soll ein solches Gesetz aussehen?

    Pschierer: Wir stehen hier noch am Anfang unserer Überlegungen. Aber bestimmte Kriterien – wie das Alter und der Nachweis der Qualifikation des Bewerbers – sollten eine wichtige Rolle spielen. Hinzu müsste der Bewerber nachweisen, dass ihm ein konkreter Arbeitsplatz in Deutschland zugesagt wurde.

    Bei so viel Reformeifer könnten Sie gleich ein zweites Thema anpacken, das bayerische Unternehmer verärgert. Mancher hat einen Flüchtling als Azubi eingestellt und musste erleben, dass die Nachwuchskraft dennoch in der Lehrzeit abgeschoben wird.

    Pschierer: Hier müssen wir noch einmal genau hinschauen, welche Spielräume es gibt, um jungen Flüchtlingen, die arbeits- und integrationswillig sind, bei uns eine Chance zu geben. Damit will ich jedoch keine Anreizsysteme schaffen, weil Menschen in aller Welt glauben, in Deutschland flössen Milch und Honig. Unsere Asylgesetze machen Sinn, und wer aus sicheren Herkunftsstaaten nach Deutschland kommt, wird ausreisen müssen. Aber wir sollten jeden Spielraum nutzen, um Flüchtlinge, die integrations- und arbeitswillig sind, in Arbeit zu bringen, zumal wenn sie absehbar länger in Deutschland bleiben werden. Natürlich ist das ein schmaler Grat. Ich werde mit Herrmann Möglichkeiten ausloten, wie junge Flüchtlinge in Betrieben ihre Ausbildung abschließen können und den Unternehmen erhalten bleiben. Ich will in dieser Frage den Interessen der Wirtschaft Rechnung tragen.

    "Die meisten bayerischen Exporte gehen in die USA"

    Im Interesse der Wirtschaft liegt es auch, dass Ballungszentren wie München für Beschäftigte attraktiv bleiben. Doch das Gegenteil ist oft der Fall, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung festgestellt hat. Demnach bekommen Frauen in München im Schnitt weniger Kinder, auch weil es kaum bezahlbaren Wohnraum und dürftige Betreuungsangebote für Kinder gibt. Was will die Staatsregierung hier unternehmen?

    Pschierer: Zunächst mal: Bayern bleibt attraktiv: In absehbarer Zeit werden wir die Grenze von 13 Millionen Einwohnern überschreiten. Das ist auch ein Resultat der florierenden Wirtschaft. Natürlich gibt es Licht und Schatten einer solchen Entwicklung – wie in München.

    Reden wir über den Schatten.

    Pschierer: Das von dem Institut beschriebene Problem ließe sich lösen, wenn verstärkt neue Jobs nicht in München, sondern in den vielen anderen attraktiven Regionen Bayerns entstehen. Dank der Digitalisierung könnten Unternehmer Arbeitsplätze aus München heraus in Gegenden mit geringeren Mieten wie Kaufbeuren oder auch Nordschwaben verlagern. Dann müssten auch weniger Menschen mit dem Auto oder Zug nach München pendeln. Die Staatsregierung macht es ja vor: Wir haben Arbeit – also Behörden – aus München in die Regionen verlagert.

    Wo wir schon bei den Defiziten im bayerischen Paradies sind: Was unternimmt die Staatsregierung gegen das Übel der Funklöcher?

    Pschierer: Für mich ist der Mobilfunk-Ausbauzustand in Bayern nicht nachvollziehbar. Ich appelliere daher an die drei großen Anbieter Telekom, Vodafone und Telefonica ländliche Gebiete, die noch nicht abgedeckt sind, zu erschließen. Ebenso dramatisch finde ich es, dass man an Hauptverkehrsstrecken wie an den Autobahnen A96 und A8 nicht ohne Unterbrechungen über mehrere Minuten telefonieren kann. Das ist für einen Hightech-Standort nicht tragbar. Bayern wird in enger Abstimmung mit dem Bund Druck für eine bessere Versorgung machen.

    Und wie sieht es mit dem Export-Paradies Bayern aus? US-Präsident Trump droht mit der Zoll-Keule. Wie gefährlich ist das für den Freistaat?

    Pschierer: Ich bekenne mich rückhaltlos zu einem fairen, freien Handel. Deswegen sehe ich mit Sorge, dass der Protektionismus vielerorts zunimmt. Handelsbarrieren und Zollschranken passen nicht in das Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung. Für Bayern ist das Thema von elementarer Bedeutung: Wir verdienen fast jeden zweiten Euro im Export. Die meisten bayerischen Exporte gehen in die USA.

    "Und sei es auch ein TTIP light"

    Der Zorn Trumps würde Bayern also hart treffen. Wie würden Sie ihn überreden, Nachsicht walten zu lassen?

    Pschierer: Wir haben ein gewichtiges Argument auf unserer Seite: Trump verkennt, dass Unternehmen aus Bayern in den USA rund 530 000 Arbeitsplätze sichern. Und das sind nicht nur Konzerne wie BMW und Siemens. Auch Maschinenbau-Firmen aus Schwaben wie Grob und Grenzebach sind Arbeitsplatzgaranten in den USA. Wir hoffen also auf vernünftige Lösungen im Sinne eines fairen Freihandels.

    Experten wie der Chef des deutschen Außenhandelsverbandes, Holger Bingmann, wittern jetzt sogar die Chance, mit Trump grundsätzlich über das Thema „Freihandel“ zu diskutieren. Der Unternehmer sagt, es sei Zeit, das Freihandelsabkommen TTIP aus dem Eisschrank zu holen. Packen Sie hier mit an?

    Pschierer: Ich bedauere sehr, dass wir mit den TTIP-Verhandlungen nicht weiter gekommen sind. Das lag bestimmt nicht an der Bayerischen Staatsregierung. Andere Politiker – auch aus den Reihen der Opposition im Bayerischen Landtag – haben TTIP aber leider auf das Thema Chlorhuhn verengt. Das Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada ist die Blaupause für moderne und faire Handelsabkommen. Wir würden uns heute gegenüber Trump leichter tun, wenn es ein vergleichbares Abkommen mit den USA gäbe. Es war ein Fehler, TTIP nicht unter Dach und Fach zu bringen. Man hat sich an kleinen Dingen aufgerieben und große Chancen übersehen.

    Also raus aus dem Eisschrank mit TTIP?

    Pschierer: Wir sollten gerade angesichts der aktuellen Diskussionen versuchen, ein TTIP-Abkommen zu erreichen – und sei es auch ein TTIP light, das sich auf das gegenseitige Vermeiden von Zöllen beschränkt. Wir müssen aber auch die Rolle der WTO stärken. Und es wäre wichtig, die Diskussion um ein Freihandelsabkommen dieses Mal positiv genauso vehement und aktiv zu begleiten wie es bei TTIP im negativen Sinne der Fall war. Ich würde auch für einen neuen Namen werben. TTIP ist einfach verbrannt.

    Franz Josef Pschierer, 61, vertritt den Stimmkreis Kaufbeuren im Bayerischen Landtag. Seit 1994 gehört er dem Landtag an. Von 2003 bis 2008 war der CSU-Mann dort Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie. Von 2008 bis 2013 folgte die Position des Finanzstaatssekretärs und schließlich die des Wirtschaftsstaatssekretärs.

    Wir möchten wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden