„Hammer and Dance“ – mit diesem Ansatz zur Corona-Bekämpfung ist Tomas Pueyo weltbekannt geworden. Monate nach dem Hammer-Shutdown befindet sich Deutschland nun auf immer rutschigerem Parkett im „Tanz“ mit dem Virus. Die Infektionszahlen steigen dabei. Wie schätzen Sie derzeit Deutschlands Taktgefühl ein?
Clemens Fuest: Die steigenden Infektionszahlen müssen wir im Auge behalten, sie sind aber meines Erachtens kein Grund zur Panik. Es kommt darauf an, lokale Ausbrüche, die wir in den kommenden Monaten immer wieder sehen werden, schnell unter Kontrolle zu bringen. Außerdem ist es wichtig, die Risikogruppen zu schützen.
Spanien und Teile Kroatiens sind erneut Risikogebiet. Ist es wieder schwieriger geworden, „unsere Wirtschaft zu retten“?
Fuest: Es war zu erwarten, dass es lange dauern wird, bis die Pandemie überwunden ist. Deshalb betone ich in meinem Buch, dass wir lernen müssen, in Gegenwart des Virus zu leben und zu wirtschaften. Wir können nicht warten, bis das Virus verschwindet.
Übersteht Deutschlands Wirtschaft eine zweite Welle?
Fuest: Zweifellos, die Frage ist nur, in welchem Zustand. Wir haben ja bereits so etwas wie eine zweite Welle. Wir sind aber auch besser darauf vorbereitet, damit umzugehen, als wir es Anfang März waren. Wir müssen regionale Ausbrüche entschlossen eindämmen und einen zweiten flächendeckenden Shutdown verhindern.
Bayern hat die Testkapazitäten ausgeweitet. Mit Problemen, aber immerhin. Reicht das? Oder müsste noch mehr getestet werden?
Fuest: Die Ausweitung der Tests ist der richtige Weg, aber kein Allheilmittel. Leider gibt es bei einer wachsenden Zahl Getesteter auch immer mehr Testfehler. Deshalb ist es wichtig, neben der Zahl der Tests auch ihre Verlässlichkeit zu erhöhen und die Zeit zwischen Test und Mitteilung des Ergebnisses zu verringern.
Wer soll das bezahlen? Müsste sich etwa die Wirtschaft mehr beteiligen, die Unternehmen eigene Testkapazitäten aufbauen?
Fuest: Es besteht ein großes öffentliches Interesse daran, dass die Menschen sich testen lassen, deshalb ist eine staatliche Finanzierung richtig. Die Tests sind eine gute Investition, nicht nur eine Investition in Gesundheit, sie ermöglichen mehr wirtschaftliche Aktivität.
Der Wirtschaft drohe eine „Corona-Sklerose“. Was meinen Sie damit?
Fuest: Wenn die öffentliche Hand, Unternehmen und private Haushalte hoch verschuldet sind, werden Investitionen und Konsumausgaben reduziert, und die Wirtschaftsentwicklung leidet. Die Corona-Krise unterbricht außerdem für viele Menschen die Schulbildung und die Berufsausbildung. Gleichzeitig greift Protektionismus um sich. All das kann eine lähmende Wirkung auf die wirtschaftliche Erholung haben. In den Achtzigerjahren sprach man angesichts des schleppenden Wachstums in Europa von Euro-Sklerose.
Welche Medikamente verordnen Sie?
Fuest: Derzeit geht es darum, die akute Phase der Krise zu überstehen. Dazu gehört es, Unternehmen, Arbeitnehmer und Selbstständige zu unterstützen, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Gleichzeitig müssen wir die Krisenzeit nutzen, um Investitionen auf den Weg zu bringen, die in normalen Zeiten schwerer umsetzbar sind. Zum Beispiel war die Bauindustrie lange Zeit so stark ausgelastet, dass öffentliche Investitionen gehemmt wurden. Das sollte jetzt besser vorangehen.
Wie bewerten Sie die Effekte des Konjunkturpaketes der Bundesregierung?
Fuest: Es war richtig, die Wirtschaft in dieser Krise massiv zu stützen. Wir sehen derzeit Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung, die ohne diese Pakete wohl nicht möglich gewesen wäre. Es wird allerdings noch dauern, bis daraus ein selbst tragender Aufschwung wird.
Wo muss wann nachjustiert werden?
Fuest: Derzeit sollte man die Konjunkturpakete erst einmal wirken lassen. Ob und wo nachjustiert werden muss, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Sich jetzt auf eine Politik für die kommenden Monate festzulegen, wäre nicht sinnvoll, die Unsicherheit über die weitere Entwicklung ist zu groß.
Bis wann sollte die Kurzarbeit verlängert werden?
Fuest: Die derzeit diskutierte Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate kommt meines Erachtens zu früh. Die Krise ist ja erst sechs Monate alt. Kurzarbeitergeld hat den Vorteil, Arbeitsplätze zu erhalten, die nach dem Ende der Krise wieder wie vor der Krise weiterlaufen können, aber gleichzeitig den Nachteil, dass notwendige Veränderungen verzögert werden können. Wir sollten die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Monate abwarten und dann entscheiden, ob die Verlängerung angemessen ist.
Ist die von der IG Metall geforderte Viertagewoche ein guter Therapieansatz?
Fuest: Es gibt schon heute viel Flexibilität bei der Arbeitszeit, wenn Unternehmen und ihre Beschäftigten eine Viertagewoche wollen, ist es kein Problem, das umzusetzen. Schwierig ist die Forderung nach Lohnausgleich. In einer schweren Wirtschaftskrise die Lohnkosten pro Arbeitsstunde massiv zu erhöhen, ist riskant, davon würde ich dringend abraten.
Die Krise kostet enorm viel. Sie warnen, der Sozialstaat dürfe nicht überfordert werden. Welche Leistungen müssen auf den Prüfstand?
Fuest: Wir sollten stärker als bisher fragen, ob die Sozialleistungen zielgenau sind und wirklich Bedürftige erreichen. Wir sollten uns am Subsidiaritätsprinzip orientieren: Wer für sich selbst sorgen kann, sollte dazu auch verpflichtet werden. Der Sozialstaat sollte dort einspringen, wo Menschen das nicht können und Hilfe brauchen.
Sie schlagen als eine „Rettungsmaßnahme“ eine Unternehmenssteuersenkung vor. Was braucht es noch, damit Deutschland ein international attraktiver Wirtschaftsstandort bleibt?
Fuest: Die Unternehmensbesteuerung muss so gestaltet werden, dass die Gründung neuer und innovativer Unternehmen attraktiv ist und dass hinreichende Anreize vorhanden sind, in Deutschland zu investieren und hier Arbeitsplätze zu schaffen. Unsere Nachbarländer haben in den letzten Jahren die Unternehmenssteuern gesenkt, Deutschland ist im Steuerwettbewerb zurückgefallen. Vor allem beim Verlustausgleich besteht Handlungsbedarf.
Wie stabil sehen Sie die EU nach dem Gipfel? Droht eine zweite Eurokrise?
Fuest: Eine Rückkehr der Eurokrise erwarte ich kurzfristig nicht, weil die hoch verschuldeten Staaten von der EZB und der Gemeinschaft der Eurostaaten in großem Umfang Liquiditätshilfen erhalten. Diese Hilfen können das hohe Niveau der Verschuldung einiger Mitgliedstaaten aber nicht aus der Welt schaffen. Das wird uns mittelfristig Probleme machen.
Reichen die jüngsten Gipfelbeschlüsse, um Italien eine Perspektive zu weisen? Wie muss mittelfristig mit dem „italienischen Patienten“ umgegangen werden?
Fuest: Der EU-Fonds für wirtschaftliche Erholung wird Italien helfen, aber er kann nicht das Problem lösen, dass Italien seit Jahrzehnten unter einer ausgeprägten Wachstumsschwäche leidet. Hier sind Strukturreformen erforderlich, also Reformen des Arbeitsmarktes, des Steuersystems, des Bildungssystems und der Justiz.
Wird aus der EU dauerhaft eine Transfer-Union?
Fuest: In der EU gibt es seit langer Zeit eine gewisse Umverteilung zugunsten der ärmeren Regionen. Entscheidend ist, ob die Umverteilung über das hinaus ausgedehnt wird, was jetzt im Rahmen des neuen EU-Fonds beschlossen wurde. Ich erwarte das nicht – man ist bereits an die Grenzen dessen gegangen, was in den Nettozahler-Staaten akzeptiert wird. Die Verhandlungen über den Fonds haben das gezeigt.
Sie sprechen sich für eine tiefere Integration der europäischen Kapitalmärkte aus. Wie kann die aussehen?
Fuest: Wir brauchen mehr grenzüberschreitend tätige Banken in Europa, und wir müssen die Kapitalmärkte vertiefen und integrieren. Auch mittelständische Unternehmen müssen die Möglichkeit haben, sich zu überschaubaren Kosten Eigenkapital an Aktienbörsen zu beschaffen.
Greta Thunberg hat beim Merkel-Besuch Druck ausgeübt, mehr für den Klimaschutz zu tun. Haben Bundesregierung und EU die richtige Balance zwischen Klimaschutz und Ankurbeln der Konjunktur?
Fuest: Die Klimapolitik in Deutschland ist seit vielen Jahren extrem teuer und wenig wirksam – ohne den Sondereffekt der Corona-Krise hätte Deutschland seine Klimaschutzziele im Jahr 2020 verfehlt. Im letzten Jahr hat die deutsche Politik eine Kehrtwende vollzogen und den CO2-Preis in den Mittelpunkt der Klimapolitik gestellt. Das ist ein positives Zeichen. Gleichzeitig müssen wir verstehen, dass Klimaschutz globales Handeln verlangt – es kann sich nicht darin erschöpfen, in Deutschland oder in Europa Emissionen abzubauen. Wir müssen stärker global denken und kooperieren.
Mit Corona wird auch das Ende der Globalisierung diskutiert. Was halten Sie davon, die Produktion ins Land zurückzuholen?
Fuest: Die Vorstellung, dass wir besser gegen Krisen gewappnet sind, wenn wir weniger im Ausland produzieren, ist irreführend. Da wir nicht wissen, wo die nächste Wirtschaftskrise oder Naturkatastrophe ausbricht, ist es wichtig, dass Bezugsquellen für wichtige Güter international gestreut sind. Problematisch ist die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten oder Kunden. Der beste Schutz gegen Krisen besteht darin, wirtschaftlich global vernetzt und nicht von einzelnen Ländern, Märkten oder Lieferanten abhängig zu sein.
Zur Person: Clemens Fuest ist einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands und Präsident des Ifo-Instituts. Kürzlich ist sein Buch „Wie wir unsere Wirtschaft retten“ (Aufbau-Verlag) erschienen.
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