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Wirtschaft: So geht es den vergessenen Branchen in der Corona-Krise

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So geht es den vergessenen Branchen in der Corona-Krise

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    Ballonkünstler Tobias Diesner kann derzeit kaum arbeiten.
    Ballonkünstler Tobias Diesner kann derzeit kaum arbeiten. Foto: Andreas Brücken (Archiv)

    Die Auswirkungen der Corona-Krise sind branchenweit zu spüren. Schaufenster waren lange Zeit verhangen, die Gaststätten sind verwaist. Wie ergeht es aber den Branchen, denen die Krise nicht sichtbar anzumerken ist?

    Von den Ausgangsbeschränkungen und Veranstaltungsverboten gleich zu Beginn getroffen wurden freischaffende Künstler, deren Honorar von Auftritten abhängt. Zu diesen gehört auch Tobias Diesner aus Reisensburg bei Günzburg, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Tobi van Deisner, mit dem er als Ballonkünstler und Zauberer weltweit auftritt. Doch seit Mitte März sind alle Auftritte abgesagt. 80 Stück sind es bis dato, und Diesner schätzt, dass noch mehr dazukommen. „Für den Ausfall bekomme ich keine Entschädigung“, erklärt er. Für viele Künstler ist die Lage prekär. Mit einem durchschnittlichem Jahresgehalt von 17.000 Euro hätte kaum wer den finanziellen Rückhalt, um ausfallende Honorare zu verkraften, sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Tobias Diesner hat noch Glück, dass durch seine Frau, die Lehrerin ist, Geld reinkommt, sagt er.

    Für Freischaffende gibt es bundesweit unterschiedliche Hilfspakete

    Für Freischaffende hat der Bund daher den Zugang zur Grundsicherung erleichtert. In Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin gibt es darüber hinaus finanzielle Hilfen der Länder. Auch bayerischen freischaffenden Künstlern, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, steht bald eine monatliche Unterstützung in Höhe von 1000 Euro zu. Momentan werde an der Umsetzung des Hilfspakets gearbeitet, ist auf der Homepage des bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst zu lesen. Tobias Diesner hofft auf die 1000 Euro pro Monat. Denn Soforthilfe bekommt er nicht. „Ich falle durchs Raster, da ich keine großen laufenden Kosten für Saalmiete oder Angestellte habe.“ Wie ihm gehe es knapp 200.000 freischaffenden Künstlern bundesweit – die genaue Zahl liege laut Zimmermann aber deutlich höher, weil in diese Zählung nur in der Künstlersozialkasse Versicherte einflössen.

    Viele Künstler haben in der Zwischenzeit andere Verbreitungswege gefunden, wie das Internet. Doch das würde sich finanziell für ihn nicht rechnen, sagt Tobias Diesner. Olaf Zimmermann erklärt, es gehe vielmehr darum, nicht in Vergessenheit zu geraten. Doch für Künstler hänge viel davon ab, wie lange die Beschränkungen noch gelten. „Wenn die Corona-Krise bald vorübergeht, können wir schnell zur Normalität zurückkehren.“ Das hofft auch Tobias Diesner. Hält sie jedoch länger an, könnte sich die Kunstbranche langfristig verändern, sagt Zimmermann. Das Internet könnte so doch zwangsweise für Künstler wichtiger werden.

    Bühne geschlossen, Musiker im Home-Office. Freie Künstler gehörten zu den Ersten, die die Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren bekamen.
    Bühne geschlossen, Musiker im Home-Office. Freie Künstler gehörten zu den Ersten, die die Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren bekamen. Foto: Daniel Karmann, dpa (Symbolbild)

    Forderung nach Zeitplan für Künstler und Veranstalter

    Vonseiten der Regierung wünscht sich Zimmermann einen Zeitplan, anhand dessen Veranstalter mit Künstlern die kommenden Monate planen können. Eine schnelle Öffnung etwa von Theatern sieht der Geschäftsführer jedoch nicht. Viele Hygienekonzepte seien auf der Bühne schlichtweg sinnlos. „Wie sollen Schauspieler eine Liebesszene spielen, wenn sie Sicherheitsabstand halten sollen?“

    Seit Mitte März sind auch alle Tanzschulen geschlossen. Ein schwerer Schlag, erklärt Heidi Schumacher, Pressesprecherin des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbands (ADTV). Das bestätigt auch Rudolf Trautz von der Augsburger Tanzschule Trautz & Salmen. Doch Not macht erfinderisch, und so hätten viele Tanzschulen, vor allem die größeren, schnell die Kurse ins Internet verlegt, sagt Schumacher. Bei Trautz & Salmen ist das aber nur beschränkt möglich. Zudem sei das digital eine sehr einsame Sache, sagt Schumacher.

    Hygienekonzept für Tanzschulen bereits erarbeitet

    Das Hauptproblem sieht die ADTV-Pressesprecherin darin, dass Tanzschulen als Freizeiteinrichtungen eingestuft werden. Doch diese Zuordnung sei nicht die richtige. „Eigentlich verstehen sich Tanzschulen als Bildungseinrichtungen, als Orte kultureller Vermittlung und der Gesundheitsprävention.“ Schumacher hofft, dass das endlich bei den Verantwortlichen in der Politik ankommt. Denn ein umfangreiches Hygienekonzept sei bereits erarbeitet worden, das die Wiedereröffnung der Tanzschulen möglich mache. So ist Paartanz etwa nur möglich, wenn die Personen aus derselben Haus- oder Hygienegemeinschaft kommen. Einige Tanzschulen würden sogar mit Klebestreifen am Boden Quadrate anbringen, sodass der Mindestabstand zwischen den anderen Paaren gewahrt werden kann.

    Auch Tanzschulen machen kein Geschäft.
    Auch Tanzschulen machen kein Geschäft. Foto: Cezaro De Luca/epa/efe, dpa (Symbolbild)

    Tanzschulen kommen schlecht an Soforthilfen ran

    Doch die Wiedereröffnung muss rasch kommen. Denn: „Vielen Tanzschulen geht es inzwischen sehr dreckig“, sagt Schumacher „Der Ausfall kann nicht abgefedert werden. Wir haben nur durch treue Kunden, die weiter die Gebühren entrichten, eine Chance, zu überleben“, erklärt Rudolf Trautz. Doch ob das reichen wird? Von den versprochenen Soforthilfen habe die Tanzschule jedenfalls noch keinen Cent gesehen. So steht die Arbeit von 110 Jahren und vier Generationen auf dem Spiel.

    Was aber ist, wenn das Kerngeschäft ausgerechnet die Körperlichkeit zu Fremden ausmacht? Für Sexarbeiter – dazu zählen in Deutschland Prostituierte, erotische Massagen und Dominas – herrscht derzeit Berufsverbot. Zumindest im direkten Kontakt mit Menschen. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen hat nach Aussage von Sprecherin Susanne Bleier Wilp daher Hilfsfonds für Sexarbeiter eingerichtet, die keinen Anspruch auf gesetzliche Unterstützung haben. „Dazu zählen sogenannte marginalisierte Sexarbeiter etwa auf dem Straßenstrich“, erklärt Bleier Wilp. „Das sind Frauen, eine Vielzahl darunter Migrantinnen, die weder Krankenversicherung noch festen Wohnsitz haben.“ Sexarbeiter, die entweder haupt- oder nebenberuflich arbeiten, haben mit einer Steuernummer Anspruch auf Grundsicherung.

    Schwierig wird es auch für Sexarbeiter.
    Schwierig wird es auch für Sexarbeiter. Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolbild)

    Sexarbeiter sind fast immer Freiberufler

    Allerdings, so Bleier Wilp, arbeiteten Sexarbeiter fast ausschließlich freiberuflich und würden so durch die gleichen Raster fallen wie Künstler. Durch die fehlende staatliche Unterstützung würden sich so viele gezwungen sehen, trotz Verbots weiterhin zu arbeiten. „Viele Frauen gefährden dadurch ihre und die Gesundheit der Kunden sowie die aller Personen aus ihrem persönlichen Umfeld“, sagt die Sprecherin. In Privatwohnungen würden noch immer Anfragen von Kunden angenommen werden, schildert sie. Diesen Punkt kritisiert auch der Verein Solwodi, der sich für Frauen in Not einsetzt. Vorsitzende Lea Ackermann sieht in der Schließung der Bordells nur eine „Mogelpackung“ und fordert ein Sexkaufverbot nach Vorbild der Stadt Karlsruhe. Dort ist neben der Prostitution Sexkauf seit dem 18. März verboten.

    Sozialer Hintergrund entscheidet über finanzielle Unterstützung

    Bleier Wilp sieht auch die sozialen Umstände der Sexarbeiter als Problem. Denn nur wer privilegiert ist, könne sich die technische Ausrüstung wie Webcams und Computer leisten und hätte die Möglichkeit, Sexangebote im Internet anzubieten. Allerdings auch hier: Die Finanzierung ist schwierig, die Konkurrenz groß. Umso mehr hofft die Branche, bald wieder arbeiten zu können, ist sich der Hindernisse aber bewusst. „Wir haben ein Hygienekonzept entwickelt“, sagt Bleier Wilp. Lockerungen seien aber vorerst noch kein Thema.

    Tankstellenbetreiber machen ihren Umsatz hauptsächlich durch den Shopverkauf.
    Tankstellenbetreiber machen ihren Umsatz hauptsächlich durch den Shopverkauf. Foto: Lino Mirgeler, dpa (Symbolbild)

    Tankstellenbetreiber haben rund 60 bis 80 Prozent Umsatzeinbußen

    Durch die Ausgangsbeschränkungen haben auch Tankstellenbetreiber zu knabbern, sagt Herbert W. Rabl vom Tankstellen-Interessenverband. Tankstellenbetreiber, oftmals kleinere Unternehmer, seien bislang „mit einem blauen Auge“ davongekommen.

    „Pächter verdienen pro Liter verkauftem Sprit nur einen Cent“, erklärt Rabl. Der Großteil des Umsatzes bestünde aus dem Shopverkauf und anderen Zusatzverkäufen. Rund 60 bis 80 Prozent Umsatzeinbußen hätten Tankstellen so verkraften müssen. Für kleinere Unternehmer sei das nur einen Monat verkraftbar, weil Soforthilfen seitens des Staats oftmals nicht griffen. Durch die Stundung der Miete etwa habe die Pleite vieler Pächter bislang verhindern werden können, so Rabl.

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