Für einen langen Moment weiß die Kanzlerin nicht, was sie sagen soll. Warum sich ausgerechnet hochrangige Männer mit vorrangig monetären Interessen von CDU und CSU für ein Skandalunternehmen einsetzten? Der Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der Ex-Bürgermeister Hamburgs Ole von Beust (CDU), der Ex-Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche (CSU). „Das kann ich nicht bewerten“, sagt Merkel schließlich. Sie muss seit zwei Stunden im Untersuchungsausschuss zu einem der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik unangenehme Fragen beantworten.
Die Wirecard-Pleite hat nicht nur über 20 Milliarden Euro an Börsenwert vernichtet, die Ersparnisse von Kleinanlegern verbrannt, sondern auch Deutschland als einen Finanzplatz mit dilettantischer Aufsicht blamiert.
Merkel für Wirecard in China: "Damit habe mich gar nicht näher befasst"
Merkel selbst hatte sich beim chinesischen Präsidenten Xi Jinping für den Zahlungsdienstleister aus dem Münchner Vorort Aschheim eingesetzt. Das war im September 2019, als es seit Jahren Meldungen über ein unternehmerisches Kartenhaus und Berichte derFinancial Times über Bilanzmanipulationen gab. Merkel, so sagt sie den Abgeordneten, will nicht gewusst haben, was die Firma in China überhaupt wollte. „Damit habe mich gar nicht näher befasst. Die brauchten eine Genehmigung“, sagte die Kanzlerin. Ein dreiviertel Jahr später geht Wirecard Insolvent. Von den kritischen Berichten der Financial Times hatte Merkel ihren Worten nach nichts mitbekommen.
Dass sich die Kanzlerin überhaupt für einen Zahlungsabwickler verwendete, der sein Geld anfangs hauptsächlich in den Bereichen Pornographie und Glücksspiel verdiente, hat mit seinem Erfolg im Bereich Lobbyismus zu tun. Wirecard bohrte – natürlich gegen Bezahlung – gezielt ehemalige Unionspolitiker an. Über 60 Millionen Euro gab die Firma für das Geschäft mit der Beeinflussung aus. Der schillerndste der Lobby-Männer ist zu Guttenberg, der Freiherr aus Franken.
Zwei Tage bevor Merkel nach China aufbrach, besuchte der frühere Minister die Kanzlerin und setzte sich für seinen Auftraggeber ein. Dass er im Auftrag aus Aschheim unterwegs war, hat er Merkel beim Tee verheimlicht. Zumindest behauptet sie das. „Er war ganz interessengeleitet da“, sagt sie und in ihrem Gesicht ist die Abscheu darüber zu lesen. Dabei hatte er sich ohne Agenda angekündigt zum „persönlichen Gespräch“.
Röller meldet bei Vollzug bei Guttenberg in der Sache Wirecard
Nach der Rückkehr aus dem Reich der Mitte meldet Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller Vollzug. Er gibt zu Guttenberg eine kurze Rückmeldung, dass Wirecard zur Sprache gekommen ist und versichert eine weitere „Flankierung“. Was Röller der Kanzlerin nicht angezeigt hat, ist das Interesse seiner eigenen Frau. Sie war die Schnittstelle zwischen Wirecard und dem chinesischen Unternehmen Mintech. Die zwei Unternehmen wollten miteinander ins Geschäft kommen. Bei seiner Aussage im Untersuchungsausschuss hatte Röller erklärt, seine Frau sei Hausfrau.
Merkel stellt sich trotzdem vor ihren engen Berater. „Ich habe keinen Grund, an der Integrität der Arbeit von Herrn Röller zu zweifeln.“ Der Wirtschaftsfachmann Röller hatte die Financial Times in seiner Erinnerung auch nicht gelesen, obwohl sie eines der wichtigsten Finanzblätter weltweit ist.
Ein Eisen im Feuer bei Wirecard hatte auch der CSU-Geheimdienstmann im Ruhestand, Klaus-Dieter Fritsche. Er betätigte sich als Türöffner zum Kanzleramt, wo er als Geheimdienstkoordinator gearbeitet hatte. Für vier Tage Arbeit nahm er 6000 Euro an Honorar. Ein Leichtgewicht sei er damit gewesen, so sieht es Fritsche selbst. Im Vergleich zu KT, wie zu Guttenberg genannt wird, stimmt das sogar.
Bis zu 2,8 Millionen Euro für Karl-Theodor zu Guttenberg
Nach Berechnungen des U-Ausschussmitglieds Jens Zimmermann (SPD) hätten diesem bis zu 2,8 Millionen Euro gewinkt, wäre das Lügengebäude Wirecard nicht zusammengebrochen. Bei seiner Vernehmung vor dem Ausschuss hatte KT noch Wert darauf gelegt, kein Lobbyist zu sein und sich pro bono – also ohne Bezahlung – für den Dax-Konzern zu verwenden.
Der vierte im Bunde war Hamburgs früherer Bürgermeister Ole von Beust, der gegen Rechnung Briefe im Auftrag von Wirecard an seine alte Kollegen in der Politik schrieb. Verwerflich findet das der CDU-Politiker nicht.
Der fürstlich dotierte Einsatz der Parteifreunde hat dazu geführt, dass an den entscheidenden Stellen die lauter werdenden Zweifel an Wirecard gedämpft werden konnten und Anleger in das Unternehmen mit seinem windigen Geschäftsmodell weiter Geld steckten. Die Einflussnahme funktionierte, nicht nur im Kanzleramt, sondern auch im Finanzministerium und der deutschen Botschaft in Peking.
Warum die Parteifreunde im Kanzleramt so leichtes Spiel hatten, kann Merkel nicht erklären. Sie kann auch nicht beantworten, wie in ihrem Apparat persönliche Interessen und politische Arbeit sauber getrennt werden. Sie weiß auch nicht, ob sie und ihre Leute es anzeigen müssten, wenn sie Wirecard-Aktien besessen hätten. „Ich vertraue meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“, sagt die 66-Jährige.
Das Kassemachen mit dem eigenen Adressbuch beschämt sogar Unionspolitiker, die nicht im Verdacht stehen, den Unternehmen ablehnend gegenüberzustehen. Der CSU-Veteran und Finanzpolitiker Hans Michelbach verurteilt die Seilschaften seiner Unions-Amigos und entschuldigt sich während der Sitzung bei der Kanzlerin. „Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht. Ich kann mich nur für meine Partei entschuldigen, dass sie mehr oder minder benutzt werden sollten.“ Für Merkel sind die Worte Entlastung und Belastung zu gleich. Wer wird schon gerne als Werkzeug benutzt, ohne es zu merken? „Dazu gehören immer zwei“, sagt sie selbst.
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