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Wirecard-Skandal: Die verschlungenen Wege des Geldes bei Wirecard

Wirecard-Skandal

Die verschlungenen Wege des Geldes bei Wirecard

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    Nach bisherigem Stand der Ermittlungen machte Wirecard jahrelang Verluste. Ein ehemaliges Vorstandsmitglied kam jetzt aus der Haft frei.
    Nach bisherigem Stand der Ermittlungen machte Wirecard jahrelang Verluste. Ein ehemaliges Vorstandsmitglied kam jetzt aus der Haft frei. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Die Gegend kann man so lassen: Unweit von hier blickt der goldene Friedensengel über München. Hinter seinem Rücken in der Prinzregentenstraße, im eher großzügig bemessenen Bogenhausen, residiert mancher Sterbliche durchaus behaglich. Gediegenes Ambiente bietet auch jene opulente Villa, in der vor nicht allzu langer Zeit noch Jan Marsalek seine Gäste empfangen haben soll.

    Was der Ex-Wirecard-Topmanager und mit internationalem Haftbefehl gesuchte Hauptverdächtige im milliardenschweren Bilanzskandal hier mutmaßlich mit seinen Vertrauten und Geschäftspartnern ausgeheckt haben könnte, kommt vielleicht irgendwann in einem Strafprozess zur Sprache. Bis dahin bleibt das geräumige Anwesen, mit seinen schweren, efeuberankten Eisengittern Kulisse für vielerlei Spekulationen.

    Polizei holt Kunst aus Marsaleks Villa in Bogenhausen

    Zuletzt geriet die cremefarbene Bogenhausen-Villa wieder in die Schlagzeilen. Die Polizei soll dort etliche Kunstgegenstände herausgebracht haben, wie die FAZ unter Berufung auf Augenzeugen berichtet. Die Staatsanwaltschaft München I kommentiert das nicht, bestätigt lediglich „vermögensabschöpfende Maßnahmen“ im Zusammenhang mit dem Wirecard-Verfahren.

    Unkommentiert lässt die Ermittlungsbehörde auch einen mutmaßlichen Einbruch, den es Ende August in der Villa gegeben haben soll. Darüber hatte die österreichische Tageszeitung OE24 unter Berufung auf einen angeblichen Geheimdienstexperten berichtet. Den weiteren Angaben zufolge könnte der Einbrecher dort nach brisanten Informationen gesucht haben.

    Davon gibt es nicht zu knapp in diesem schwer zu überblickenden Skandal, der inzwischen weitere Folgen gezeitigt hat. Denn in besagter Villa hatte bis vor kurzem noch die in Berlin registrierte Firma IMS Capital Partners ein Büro. Ihr Schild hängt noch neben dem Eingangsportal, doch die Firma selbst musste jüngst Insolvenz anmelden. Am 22. Oktober bestimmte das Amtsgericht Berlin Charlottenburg (Aktenzeichen 36i IN 4917/20) den Berliner Anwalt Philipp Grauer zum Insolvenzverwalter. Als Geschäftsführer von IMS Capital ist der Marsalek-Vertraute V. hinterlegt, der in München wohnt und vergangenen Dienstag ebenfalls kurzzeitig in U-Haft – einen Tag später gegen Auflagen aber wieder frei kam.

    Weitere Unternehmen von Wirecard-Skandal betroffen

    Doch der Fall zieht noch weitere Kreise. Denn ein weiteres Unternehmen aus dem Wirecard-Kosmos musste am 26. Oktober auch Insolvenz anmelden. Es handelt sich um die früher in Berlin, nun in München ansässige Getnow New GmbH. Das Unternehmen war mit ambitionierten Zielen in den wachsenden Markt der Lebensmittellieferdienste eingestiegen und hatte eine weitreichende Kooperation mit Metro. Kunden konnten im Internet ihre Lebensmittel bestellen, das Unternehmen packte sie aus dem Metro-Sortiment in Pakete und lieferte am selben Tag noch aus. Konnten, wohl gemerkt.

    Denn wer jetzt auf die Homepage von Getnow gehen möchte, bekommt nur eine Mitteilung über Wartungsarbeiten zu sehen: „Wir arbeiten mit Hochdruck an einer schnellen Lösung unseres technischen Problems. Schau’ doch einfach später noch mal vorbei.“ Ob diese Hoffnung berechtigt ist, versucht gerade Insolvenzverwalter Max Liebig aus der Kanzlei Jaffé herauszufinden. Der erklärt: „Getnow ist als Start-up-Unternehmen nach wie vor auf Fremdkapital angewiesen, um den bis zuletzt defizitären Geschäftsbetrieb aufrechterhalten zu können.“ Es gelang zwar, Investorengelder in zweistelliger Millionenhöhe zu mobilisieren, doch zuletzt floss kein Geld mehr. Aber wo ist die Verbindung zur Prinzregentenstraße?

    So funktioniert das Geschäft von Wirecard

    Geschäftsmodell Wirecard ist eines der Unternehmen, deren Dienste Verbraucher oft in Anspruch nehmen, ohne es zu wissen. Das Unternehmen, das seinen Sitz in Aschheim bei München hat, wickelt Kartenzahlungen sowohl an Ladenkassen als auch im Onlinegeschäft ab. Zu den Kunden zählen zum Beispiel die Airline KLM, der Haushaltsartikelspezialist WMF oder der Paketdienst FedEx.

    Kooperation Für das Kerngeschäft hat Wirecard in Europa eine Bank, die als Mittelsmann dafür sorgt, dass das Geld von den Kartendiensten zu den Händlern kommt. In anderen Ländern, wo Wirecard keine solchen Lizenzen hat, arbeitet die Firma dafür mit Partnern zusammen. Dieser Teil des Geschäfts stand im Mittelpunkt der „Financial Times“-Berichte, in denen von potenziell künstlich aufgeblähten Umsätzen die Rede war.

    Dienstleistungen Zugleich bietet Wirecard eine Palette von Dienstleistungen rund ums Bezahlen an. Neben der Integration in Kassensysteme und der Unterstützung verschiedener Bezahlmethoden gehören dazu Sicherheitsvorkehrungen gegen Betrugsversuche. Ein weiterer Service ist die Auswertung von Daten, die Kunden eine bessere Steuerung ihres Geschäfts ermöglichen soll.

    Aktie Wirecard ist im Dax gelistet. Noch Mitte Juni notierte das Papier bei rund 100 Euro. Binnen eines einzigen Tages verlor die Wirecard-Aktie am vergangenen Donnerstag 61,8 Prozent an Wert. Es war der zweitgrößte Verlust in der Dax-Geschichte. Nur die Hypo Real Estate büßte noch mehr ein (73,9 Prozent am 29. September 2008). Zuletzt rutschte der Titel weiter ab – auf unter 20 Euro.

    Die insolvente IMS Capital Partners war mit 38,7 Prozent der zweitgrößte Anteilseigner von Getnow. 44,2 Prozent der Anteile gehören der Getnow Holding Limited mit Sitz auf der Isle of Man. Wer hinter diesem Investmentkonstrukt steht, ist unklar. Die IMS Capital Partners wollte sich bei der nun gescheiterten Finanzierungsrunde für Getnow nicht mehr beteiligen.

    Laut Süddeutscher Zeitung steht der Verdacht im Raum, Marsalek könnte über V. oder die Holding Geld in das Start-up investiert haben. Doch wenn ja, woher kam dieses Geld? Womöglich auch von Wirecard? Jedenfalls gibt es noch andere Verbindungen zu Wirecard. So bestätigte der Getnow-Manager Torsten Schero die Recherchen des Magazins Gründerszene, nach denen das Unternehmen im Frühjahr 2019 auch ein Darlehen der Wirecard-Bank erhalten hat. Ob der nun ins Visier der Justiz geratene V. mehr Licht in die Affäre und die Verbindungen zu Marsalek bringen kann, bleibt abzuwarten.

    Schadenssumme: Geschätzt 3,2 Milliarden Euro

    Zumindest für das verbliebene Kerngeschäft von Wirecard könnte es nach Angaben des Insolvenzverwalters bald mehr Klarheit geben. Laut Michael Jaffé sind noch zwei Interessenten im Rennen. Spätestens im November sei mit einer Entscheidung zu rechnen, schrieb er jüngst in einer Mitteilung an die noch übrig gebliebenen Wirecard-Mitarbeiter. Das sei durchaus herausfordernd gewesen, denn man sei schließlich „ohne jegliche Liquidität in das Verfahren gestartet, da die Schuldnerin in den Monaten vor der Insolvenz leer geräumt wurde“.

    Der Skandal bedeutet weiter viel Arbeit, auch für die Staatsanwaltschaft, die nach wie vor gegen mindestens vier Beschuldigte unter anderem wegen „gewerbsmäßigen Bandenbetrugs“ ermittelt, darunter Ex-Wirecard-Chef Markus Braun. Es geht um eine Schadenssumme von 3,2 Milliarden Euro.

    Für einen der Beschuldigten, einen früheren Wirecard-Vorstand, gab es indes gute Nachrichten. Wie die Behörde mitteilte, habe sie beantragt, den Haftbefehl gegen ihn „gegen engmaschige Auflagen“ außer Vollzug zu setzen. Nach den bisherigen Ermittlungen sei er im Unterschied zu den anderen Beschuldigten nur bis Ende 2017 an möglichen Taten beteiligt gewesen. „Wesentliche, insbesondere schadensträchtige Taten fanden nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erst nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand statt.“

    Was für den flüchtigen Marsalek mutmaßlich nicht gilt. Der soll sich angeblich unweit von Moskau aufhalten. Beweise dafür gibt es nicht. Aus seiner Ex-Villa hatte er zumindest direkten Blick auf das russische Generalkonsulat. Das liegt gleich gegenüber.

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