Braumeister Jürgen Scholz lässt das Bier langsam in ein Glas fließen. Ein bräunlicher, feinporiger Schaum entsteht. Seit 20 Jahren arbeitet er in der Klosterbrauerei Andechs unterhalb des Heiligen Berges. Wenn er das für Andechs typische dunkle Starkbier testet, achtet er zuerst auf die Farbe. Dunkel, fast wie Kaffee soll der Doppelbock aussehen. Beim Geruch entscheidet für ihn das Zusammenspiel von Malzaroma und Hopfenblume. „Wichtig beim Geschmack ist, dass Karamellaroma und Hopfenbittere fein ausgewogen sind“, erklärt sein Kollege Andreas Stürzer, ein in Weihenstephan ausgebildeter Diplom-Braumeister. So schmecke selbst ein Doppelbock angenehm schlank. Oder wie man in Bayern gerne sagt: süffig.
Bayern und Bier, das gehört zusammen. Das liegt nicht nur am Münchner Oktoberfest. Nirgendwo in Deutschland ist die Dichte an Braustätten höher. Mehr als jede dritte der 1492 deutschen Brauereien liegt im Freistaat. Bier, das bezeichnen Bayern gerne als ein „Grundnahrungsmittel“. Weshalb, das kann man hier in Andechs nachvollziehen.
Im Kloster Andechs brauten die Mönche erst für den Eigenbedarf
Bis ins 12. Jahrhundert reicht die Geschichte der Wallfahrt in Andechs zurück, seit 1455 betreuen die Benediktiner die Wallfahrer, berichtet Martin Glaab, Sprecher des Klosters. In früheren Jahrhunderten habe Bier eine wichtige Funktion als Nahrungsmittel genossen: „Bier ist durch die Gärung ein extrem reines, hygienisches Produkt“, sagt Glaab. Wasser war das damals nicht immer. Das Bier aus der Brauerei diente den Mönchen zur Eigenversorgung, hinzu kam die Verpflegung der Pilger.
Gut 30.000 organisierte Pilger und rund eine Million Besucher kommen jedes Jahr auf den Heiligen Berg, um Reliquien zu verehren und Gott zu suchen. In der derzeitigen Fastenzeit hatte das Bier eine besondere Bedeutung. Wenn die Mönche in früheren Tagen fasteten, ersetzten sie einen Teil der Kalorien durch Bier. Dabei müsse man wissen, dass Bier in früheren Jahrhunderten nicht so alkoholhaltig gewesen sei wie das Starkbier heute, sagt Glaab. In der Gegenwart ist die spirituelle Bedeutung der Fastenzeit für die Mönche vielschichtiger geworden. Sie klären mit ihrem Abt, worauf sie ein Augenmerk richten wollen – sei es, sich mehr um kranke Mitbrüder zu kümmern, sei es, etwas für die Gesundheit zu tun.
Die Brauerei des Klosters Andechs spiegelt die Biervielfalt wider, die es in Bayern noch gibt. Starkbier – dunkel und hell – braut man am Heiligen Berg das ganze Jahr. Daneben gibt es die im Freistaat typischen hellen Biere, Weißbier und alkoholfreies Weißbier. Zwischen dem 11. November und dem 19. März schenkt das Kloster im Bräustüberl zudem ein „Winterbier“ aus – dunkel und naturtrüb. In ganz Bayern, berichtet der Bayerische Brauerbund, lassen sich rund 40 Biersorten zählen.
Die Zahl der Brauereien hat dabei lange Jahre abgenommen. In vielen Kleinstädten, wo in der Nachkriegszeit noch zwei oder drei Brauhäuser arbeiteten, gibt es inzwischen keine mehr. In Andechs stemmte man sich durch Investitionen gegen diesen Trend. Ab den 70er Jahren zog die Klosterbrauerei Schritt für Schritt aus den alten Gebäuden an den Fuß des Heiligen Berges. 1984 wurde das Sudhaus eröffnet, daneben schließt sich der Lagerkeller an.
Der Bierkonsum in Deutschland sinkt seit Jahren
In modernen, gut zehn Meter hohen Stahltanks reift das Jungbier. Kühl ist es, ein schwerer malzaromatischer Duft liegt in der Luft. Bis zu sechs Wochen geben die Mönche dem Bier Zeit, um zu reifen. „Wir legen Wert darauf, dass das Bier Zeit bekommt“, sagt Glaab. Das habe seine Begründung auch in den Regeln des heiligen Benedikt, nach denen die 15 Mönche in Andechs und St. Bonifaz in München leben. „Es gibt eine Zeit zum Gebet, eine Zeit zum Arbeiten, eine Zeit für Erholung, eine Zeit für den Schlaf“, erklärt er. Der jährliche Ausstoß von über 100000 Hektoliter Bier hat auch eine finanzielle Bedeutung für das Kloster. Über 80 Prozent der Einnahmen stammen aus der Brauerei. Sie finanziere den Gebäudeunterhalt und die klösterliche Obdachlosenarbeit in der Landeshauptstadt. Rund 250 Mitarbeiter hat das Kloster, davon 70 in der Brauerei.
Dort, wo einst die Brauerei war, empfängt heute das Bräustüberl Gäste. Unter schweren Holzbalken sitzen die Gäste bei Haxe oder Braten. Wer will, kann seine Brotzeit gerne mitbringen, sagt Glaab – eine Tradition. Nur ein Andechser Bier sollte man dann schon trinken.
Der Bierkonsum in Deutschland sinkt zwar seit Jahren. Mitte der 70er Jahre tranken die Deutschen im Schnitt noch 151 Liter im Jahr, heute sind es knapp 106 Liter, berichtet der Bayerische Brauerbund. Gleichzeitig entdeckt aber eine neue Gruppe das Bier neu: die Craft-Beer-Fans, die sich für handwerklich gebrautes Bier begeistern. Mit ihnen steigt auch die Zahl der Brauereien wieder. 642 Braustätten gab es Ende 2017 im Freistaat, 18 mehr als ein Jahr davor. Ein Beispiel befindet sich vom Kloster Andechs aus gesehen gleich auf der anderen Seite des Ammersees – in Dießen.
In Dießen entdecken zwei Hobby-Brauer den Biergenuss neu
Zwischen schönen historischen Häusern betreiben der promovierte Chemiker Martin Hug, 52, und der Sportlehrer Claus Bakenecker, 55, seit 2014 den „Craft Bräu“. Ihr Ausstoß ist viel kleiner als der in Andechs. Keine 100.000 Hektoliter im Jahr, sondern 200. Was als Hobby begann, kam bald so gut an, dass die beiden Brauer ihre Aktivität ausbauten und nur noch in Teilzeit arbeiten. Was aber bedeutet „Craft Beer“ für sie?
„Es ist ein handwerklich, in kleineren Mengen gebrautes Bier, das sich geschmacklich weg vom Massenmarkt bewegt“, sagt Hug. „Craft-Brauer sparen nicht bei den Zutaten, sie nehmen häufig mehr Hopfen oder Malz und lagern ihr Bier länger“, erklärt er. „Viele Craft-Biere schmecken wieder so, wie Bier früher geschmeckt hat.“ Damit sehen sich die Dießener Craft-Brauer fest in der bayerischen Brautradition stehen: Das Reinheitsgebot aus dem Jahr 1516 wird eingehalten. Mehr als Wasser, Hopfen, Malz und Hefe kommen nicht in ihr Bier. So entstehen in Dießen ein bernsteinfarbenes Vollbier, das an fränkische Kellerbiere erinnert, ein dunkles Bockbier und ein hopfenbetontes Pils. Und ein fruchtiges, früher in England für die Kolonien gebrautes „Indian Pale Ale“ – auch das ist heute bayerische Braukunst.