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Interview: Wie die Corona-Krise den Münchner Flughafen trifft

Interview

Wie die Corona-Krise den Münchner Flughafen trifft

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    Jost Lammers ist seit Januar diesen Jahres neuer Chef des Münchner Flughafens. Die Corona-Krise fordert ihn enorm.
    Jost Lammers ist seit Januar diesen Jahres neuer Chef des Münchner Flughafens. Die Corona-Krise fordert ihn enorm. Foto: Marcus Schlaf, FMG

    Herr Lammers, Anfang Januar, als Sie neuer Flughafen-Chef in München wurden, schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Längst hat sich die Situation durch Corona dramatisch verändert. Wie geht es Ihnen?

    Jost Lammers: Ich habe jetzt diese magische Marke von 100 Tagen im Amt überschritten. Ich fühle mich aber so, als wäre ich schon 300 Tage im Amt, so viel ist in den letzten Wochen passiert. Die Lage für den Luftverkehr ist dramatisch. Zum Glück kann ich mich hier in München auf eine sehr gute Mannschaft stützen. Der Teamgeist ist großartig. Die Beschäftigten sind wegen des Ausmaßes der Krise betroffen, sie stehen aber emotional zusammen, auch wenn sie die vorgeschriebene körperliche Distanz einhalten.

    Wie viele Flugzeuge sind denn in München derzeit zwangsgeparkt?

    Lammers: Mehr als 100 Flugzeuge stehen bei uns in München auf dem Boden, in erster Linie von unserem wichtigsten Partner Lufthansa. Das ist natürlich ein trauriger Anblick. Ich würde die Flugzeuge lieber in der Luft sehen. Unser Flughafen ist derzeit ein großer Abstellplatz für Flugzeuge. Für einen Luftfahrtmanager wie mich, der lange in der Branche ist und, wie man sagt, Kerosin im Blut hat, fehlen derzeit all die glücksbringenden Emotionen, die ein Flughafen mit quirligen Terminals mit sich bringt: Hier brechen Menschen in die Ferne auf und holen ihre Liebsten ab. Nun herrscht hier weitgehend Stille und Leere. Das ist natürlich ein trauriges Bild, das ich bei meinen Gängen durch den Flughafen erlebe. Das ist alles hochemotional, aber wir als Management müssen rational Maßnahmen ergreifen, um uns an die veränderte Lage anzupassen.

    Welche Schritte mussten Sie ergreifen?

    Lammers: Unser oberstes Ziel ist in dieser Phase der Krise die Vorbereitung unseres Flughafens auf den Tag X, wenn es wieder losgeht. Ich habe viele Krisen als Flughafen-Manager erlebt und daraus gelernt, dass die Nachfrage immer wieder zurückkehrt. Die Sehnsucht der Menschen zu reisen wird nicht durch Corona gebrochen. Sie werden wieder fliegen und wir werden als bester Flughafen Europas von diesem Wunsch der Menschen weiter überproportional profitieren. Ich sehne diesen Moment, wenn unsere Branche endlich wieder Rückenwind bekommt, herbei. Und ich bin sicher, der Moment wird kommen.

    Doch bis auf Weiteres müssen Sie harte Einschnitte vornehmen.

    Lammers: Ja, wir haben schrittweise Modul um Modul von Terminal 1 sowie unser Satellitengebäude beim Terminal 2 geschlossen. Seit 29. April ist die Passagierabfertigung in Terminal 1 nun endgültig eingestellt. Die noch wenigen verbliebenen An- und Abflüge werden nun über das Terminal 2 abgewickelt.

    Wie stark ist der Flugverkehr in München durch Corona eingebrochen?

    Lammers: Was die Flugbewegungen betrifft, verzeichnen wir jetzt nur noch ein Aufkommen von knapp fünf Prozent dessen, was zum Vorjahreszeitpunkt anfiel. Bei den Passagierzahlen ist es ein Prozent gegenüber dem Wert von 2019. In München starten und landen heute im Schnitt pro Tag noch etwa 40 bis 50 Flugzeuge, wobei rund die Hälfte Frachtmaschinen sind. Das ist schon ein Tiefpunkt. Aber der Betrieb des Airports bleibt wichtig: Unser Flughafen ist Teil der kritischen Infrastruktur, sodass hier medizinische Versorgungsgüter wie zum Beispiel Beatmungsgeräte und Masken eingeflogen werden.

    Wann kommt der Tag X, auf den Sie hinfiebern? Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagt, auf 100 Prozent des alten Flugplans kommen wir lange nicht.

    Lammers: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine seriöse Prognose nicht möglich. Doch was mir auch als Präsident des europäischen Flughafen-Dachverbandes ACI wichtig ist: Wir sollten in Europa gemeinsam eine Lösung entwickeln, wie wir den Luftverkehr wieder starten. Nichts wäre schlimmer, als wenn jedes Land eigene Regularien festlegt. Europa muss wieder gemeinsam in die Luft gehen. Wenn das gelingt, können wir wieder Luftverkehr in Europa über Landesgrenzen hinweg organisieren.

    Ist die Flughafen München Gesellschaft finanziell solide aufgestellt? 2019 hat das Unternehmen ja noch ein Rekordergebnis von 175 Millionen Euro eingeflogen.

    Lammers: Im Zentrum stand für uns, die Gesundheit von Passagieren und Mitarbeitern sicherzustellen. Gleichzeitig haben wir die betriebswirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens in den Fokus genommen. Die Kosten wurden massiv gesenkt, etwa indem Terminalbereiche geschlossen wurden, ein Einstellungsstopp beschlossen, Überstunden abgebaut und Kurzarbeit vereinbart wurde. Außerdem haben wir Projekte wie den Bau einer neuen Unternehmenszentrale, eines weiteren Hotels sowie eines Parkhauses zurückgestellt. Das sind erhebliche Einspar- und Liquiditätseffekte. Wir investieren sonst mehrere hundert Millionen Euro im Jahr.

    Wie viele Mitarbeiter befinden sich in Kurzarbeit?

    Lammers: Rund 70 Prozent unserer knapp 10.000 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Die Kurzarbeit hilft uns in der schweren Krise, Liquidität im Unternehmen zu halten. Damit sichern wir Beschäftigung.

    Sind Sie ausreichend finanziert? Brauchen Sie staatliche Hilfen? Müssen sich Ihre Eigentümer, der Freistaat Bayern, die Bundesrepublik und die Stadt München, Sorgen machen?

    Lammers: Ja, wir sind auf absehbare Zeit ausreichend finanziert. Und das, obwohl uns auf der Erlösseite fast alles weggebrochen ist. Für uns sind ja auch die Einnahmen aus der Gastronomie, dem Handel oder dem Parken hier am Flughafen sehr wichtig. Hier haben wir wie auch im Luftverkehr an sich so gut wie keine Einnahmen mehr. Wir haben aber überall auf der Ausgaben- sowie der Investitionsseite reagiert und so unsere Liquidität gesichert. Wir sind dadurch für die nächsten Monate finanziell gut aufgestellt. Und in den nächsten Monaten wird es ja hoffentlich auch wieder aufwärtsgehen. Lufthansa hat ja bereits erste Erweiterungen ihres Flugangebotes ab Mitte Mai angekündigt. Auch dank der wirtschaftlichen Substanz, die wir uns in den vergangenen Jahren erarbeitet haben, sind wir für die Krisenbewältigung gut gerüstet.

    Viele Unternehmen erleben jetzt, dass man sich mit Videokonferenzen Flugreisen einsparen kann. Wird nach Corona weniger geflogen?

    Lammers: Es kann schon sein, dass moderne Videotechnik auch nach der Krise vermehrt genutzt wird. Ich glaube aber nicht daran, dass deshalb dauerhaft weniger geflogen wird. Der Flugverkehr wird auch deshalb wieder an alte Größenordnungen anknüpfen, weil das Bedürfnis der Menschen, zu Freunden und Bekannten zu reisen, ja die Welt zu sehen, ungebrochen ist.

    Nach Corona kommt das Thema sicher wieder auf den Tisch: Muss Fliegen klimafreundlicher werden?

    Lammers: Unbedingt. Das galt aber auch schon vor Corona. Ich erwarte mir hier sehr viel von neuen Kraftstoffen, welche weniger CO2-Emissionen verursachen. Das ist eines der Schlüsselthemen für unsere Branche. Langfristig müssen wir den Luftverkehr vollständig dekarbonisieren. Wir haben uns hierzu als Flughafen München in einer gemeinsamen Initiative mit über 200 anderen europäischen Airports explizit verpflichtet.

    Doch die dritte Start-und-Lande-Bahn für München, die Ihr Vorgänger Michael Kerkloh vergeblich erstreiten wollte, ist nun mit Corona doch endgültig Geschichte, oder?

    Lammers: Da gilt weiter das Moratorium der jetzigen bayerischen Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern, nach dem sämtliche Planungen für eine dritte Start-und- Lande-Bahn in der laufenden Legislaturperiode ruhen.

    Sind Sie denn ein Anhänger einer dritten Start-und-Lande-Bahn wie Kerkloh? Verraten Sie es doch.

    Lammers: Ich halte es für richtig, unseren Flughafen nachfragegerecht für die Bürger und die Wirtschaft auszubauen. Dazu gehört – wenn der Bedarf da ist – auch der Bau der dritten Start-und-Lande-Bahn.

    Zur Person: Jost Lammers, 53, stammt aus Oldenburg. Seit 2008 leitete der Vater zweier Söhne den Budapester Flughafen und seit Januar ist er Chef des Münchner Airports. Der Manager ist in den Münchner Norden gezogen und fühlt sich mit seiner Familie dort „sehr wohl“.

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