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Weltbild-Insolvenz: Wer trägt die Schuld?

Weltbild-Insolvenz

Wer trägt die Schuld?

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    Respekt sieht für Timm Boßmann anders aus. Die Art und Weise, wie man die Beschäftigten am Freitag bei Weltbild über den Insolvenzantrag informiert habe, ist für den Vertrauensmann der Gewerkschaft Verdi nicht hinnehmbar. Dass man den Mitarbeitern im Lager von einer „technischen Störung“ erzählt habe, als die Systeme kurzzeitig ausfielen, dass viele die Nachricht von Bekannten erfuhren oder über die Medien, findet er untragbar. Boßmann sagt: „Da haben sich Leute dumm und dusselig gearbeitet für Weltbild und dann werden sie nicht mal informiert.“

    Erst am Freitagabend hat die Geschäftsführung eine E-Mail an die Belegschaft verschickt. „Wir verstehen, dass es für die Mitarbeiter unglücklich wirkt“, sagt Weltbild-Sprecherin Eva Großkinsky. Sie verweist aber auf gesetzliche Vorgaben, die man einhalten müsse.

    "Die Beschäftigten sind zum kirchenpolitischen Spielball geworden.“

    Das Einzige, was Boßmann noch mehr ärgert als diese aus seiner Sicht verfehlte Informationspolitik, ist das Verhalten der katholischen Kirche – genauer gesagt der zwölf deutschen Bistümer, der Katholischen Soldatenseelsorge Berlin und des Verbandes der Diözesen Deutschlands, denen die Verlagsgruppe gehört. „Die Kirche hat Weltbild einfach zum Teufel gejagt“, sagt Boßmann und ist sich mit Verdi-Vertreter Thomas Gürlebeck einig. Er sagt: „Die Beschäftigten sind zum kirchenpolitischen Spielball geworden.“

    Es sind die Ereignisse der vergangenen Tage, die Gewerkschaft und Betriebsrat nicht nachvollziehen können. Sie haben kein Verständnis, dass es für die Verlagsgruppe mit insgesamt rund 6300 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von zuletzt fast 1,6 Milliarden Euro keinen anderen Ausweg als einen Insolvenzantrag gegeben haben soll.

    Die Schuldenlast liegt im dreistelligen Millionenbereich

    Lange war von 65 Millionen Euro die Rede, die Weltbild zur Neustrukturierung gebraucht hätte – und die die Gesellschafter zugesagt hatten. Am Freitag sprach der Weltbild-Aufsichtsratsvorsitzende Peter Beer, Generalvikar der Erzdiözese München und Freising, dann von „135 bis 160 Millionen Euro“, die für die Sanierung des operativen Geschäfts in den kommenden drei Jahren nötig wären. Beer verwies auf das Weihnachtsgeschäft, das hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei, und auf die Schuldenlast des Unternehmens – mittlerweile ein dreistelliger Millionenbetrag.

    Der Zorn der Gewerkschafter ist groß. Gürlebeck sagt: „Man hat einfach die Chance gesehen, sich Weltbild zu entledigen und hat den Stecker gezogen.“ Dabei habe es nach Aussagen der Arbeitnehmerseite einen Sanierungsplan gegeben, der mithilfe der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG im Herbst ausgearbeitet worden sei.

    Wie es heißt, soll das Gutachten tief greifende Veränderungen gefordert haben – weg vom Kataloggeschäft hin zum Onlinehandel, defizitäre Filialen sollten geschlossen, das Sortiment überarbeitet werden und die Marke Weltbild neu ausgerichtet werden. Wie es heißt, sollen Aufsichtsrat und Banken dem Konzept zugestimmt haben – nur die Eigentümer nicht.

    Der Niedergang von Weltbild

    Mit Pornoliteratur fing vor knapp zweieinhalb Jahren der Niedergang des Weltbild-Verlages an.

    Dass ausgerechnet ein von der katholischen Kirche getragenes Medienunternehmen Geld mit Erotikangeboten oder Esoterikbüchern macht, sorgte für Schlagzeilen und stürzte die Augsburger Verlagsgruppe in die Krise.

    Seitdem hat sich Weltbild nicht mehr erholt. Der Insolvenzantrag ist der vorläufige traurige Höhepunkt der Entwicklung bei dem Konzern mit mehr als 6000 Beschäftigten und etwa eineinhalb Milliarden Euro Umsatz.

    Als im Oktober 2011 das Erotikangebot bei Weltbild bekannt wurde, trat zunächst der von der Kirche entsandte Aufsichtsratsvorsitzende zurück. Dann preschte der Kölner Kardinal Joachim Meisner vor und verlangte eine Trennung von Weltbild.

    Seitdem wurde breit darüber diskutiert, wie sich die Diözesen von Weltbild trennen können. Eine Stiftung war im Gespräch, eine Lösung gab es nicht. Die Beschäftigten appellierten dabei immer wieder an die soziale Verantwortung der Bischöfe.

    Doch nicht nur der Wirbel um Buchtitel wie "Zur Sünde verführt" oder "Das neue Kamasutra" setzte dem Unternehmen zu. Im Wettbewerb mit Online-Gigant Amazon hatten es die Augsburger zunehmend schwer mit ihrem eher klassischen Katalog-Versandhandel.

    Seinen stationären Buchhandel hatte Weltbild im Jahr 2007 mit der Familie Hugendubel zusammengelegt. Das damals gegründete Gemeinschaftsunternehmen betreibt seitdem die Filialen unter etlichen Markennamen wie "Hugendubel", "Weltbild plus", "Jokers" sowie die Karstadt-Buchabteilungen.

    Dass die angeschlagene Verlagsgruppe zuletzt ihre zweiköpfige Geschäftsführung extra um den Sanierungsexperten Josef Schultheis erweiterte, konnte Weltbild nicht mehr retten. Er sollte den Umbau des Hauses in Richtung digitalem Handel beschleunigen.

    Möglicherweise kam dieser Schritt zu spät: Obwohl Weltbild im Weihnachtsgeschäft sogar etwas über dem Plan lag, musste das Unternehmen im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres (30. Juni) Einbußen bei Umsatz und Ergebnis verbuchen.

    "Das auch für die nächsten drei Jahre erwartete geringere Umsatzniveau verdoppelt den Finanzierungsbedarf bis zur Sanierung", begründete das Unternehmen den Insolvenzantrag.

    Die Gewerkschaft Verdi warf der Kirche umgehend vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

    Erst im Oktober wurde bekannt, dass Weltbild in Augsburg ihren Kundendienst auslagern will - 140 Mitarbeiter sind davon betroffen. Doch weitere konkrete Zahlen und detaillierte Planungen zur Sanierung waren seit jeher von Weltbild kaum zu erfahren. Denn was Transparenz anging, operierte das Unternehmen ähnlich verschwiegen wie der große Konkurrent Amazon.

    Die Gewerkschaft vermutet, die Insolvenz sei eher aus kirchenpolitischen als aus wirtschaftlichen Gründen angemeldet worden. Die Laienbewegung „Wir sind Kirche“ vermutet, dass interne Differenzen zwischen den kirchlichen Gesellschaftern eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Man könne nicht ausschließen, dass konservative Kirchenkreise – auch aus Ärger über einstige Erotikangebote in der Produktpalette – bewusst versucht haben, den kirchlichen Medienkonzern zu zerschlagen, sagt „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner.

    Marx weist Vorwürfe zurück

    Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx betont hingegen, die Kirche sei vom gestiegenen Kapitalbedarf überrascht worden. „Wir konnten es als Gesellschafter nicht verantworten, auf absehbare Zeit dreistellige Millionensummen aus Kirchensteuermitteln zu investieren.“ Er betont in der Süddeutschen Zeitung: „Wir sind kein skrupelloser Unternehmer, der die Mitarbeiter einfach davonjagt.“

    Allein in Augsburg sind rund 2200 Mitarbeiter von der Insolvenz betroffen. Auch für den erfahrenen Betriebsseelsorger Erwin Helmer und sein Team ist dies eine große Aufgabe. Den Beschäftigten will er in diesen Tagen verstärkt Gespräche anbieten, auch wenn er betriebswirtschaftliche Entscheidungen natürlich nicht mitbeeinflussen kann.

    Das Unternehmen Weltbild

    Zahlen und Fakten zur Augsburger Weltbild-Gruppe:

    Weltbild beschäftigte einst insgesamt rund 6800 Mitarbeiter, davon 2200 am Standort Augsburg.

    Weltbild gehörte den zwölf katholischen Bistümern, dem Verband der Diözesen Deutschlands und der Soldatenseelsorge Berlin.

    Weltbild startete 1948 als Winfried-Werk in Augsburg. Der Verlag gab katholische Zeitschriften heraus. Als zusätzlichen Service gab es einen Bücherdienst.

    In den 1980er Jahren blühte das Unternehmen auf, es kaufte Verlage und Zeitschriften dazu. 1994 eröffnete man die ersten Filialen.

    Seit 1997 gibt es den Onlinehandel. Während das Buchgeschäft floriert, kränkelte das Zeitschriftengeschäft. 2008 stieß Weltbild den kompletten Bereich ab.

    Unter dem Dach der Holding DBH waren die Buchhandlungen Hugendubel, Weltbild und Jokers gebündelt. Zum Konzern gehörten auch die Vertriebsmarken Weltbild, Jokers, Kidoh und buecher.de.

    2012 verkündete die Verlagsgruppe 1,59 Milliarden Euro Umsatz.

    In den vergangenen Jahren geriet das Unternehmen unter Druck - die Konkurrenz von Amazon und anderen machte Weltbild zu schaffen.

    Im Januar 2014 meldete Weltbild Insolvenz an.

    In den folgenden Monaten bekamen hunderte Beschäftigte die Kündigung ausgesprochen.

    Im Mai kündigte Investor Paragon an, Weltbild zu übernehmen.

    Wenig später stieg Paragon wieder aus. Anfang August übernahm dann die Beratungs- und Investmentgruppe Droege die Mehrheit an Weltbild.

    Der Online-Medienhändler bücher.de gehört ab August 2014 vollständig zur Weltbild-Gruppe.

    September 2014: Nach der Mehrheitsübernahme durch den Düsseldorfer Investor Droege gibt es eine neue Geschäftsführung: Gerd Robertz, Patrick Hofmann und Sikko Böhm.

    Nach nur sieben Wochen tritt Gerd Robertz ab und widmet sich wieder nur dem Onlinegeschäft bücher.de.

    Im November kündigt die Geschäftsführung von Weltbild an, in der Verwaltung rund 200 Arbeitsplätze zu streichen.

    2015: Weltbild verkauft 67 Filialen an die kleine Kette "Lesenswert".

    Juli 2015: Rund ein halbes Jahr nach der Übernahme der 67 Filialen ist der Käufer pleite.

    Juli 2015: Knapp ein Jahr nach der Übernahme des Weltbild-Konzerns durch den Düsseldorfer Investor Droege muss der Logistikbereich von Weltbild erneut Insolvenz anmelden.

    Wie es bei Weltbild weitergeht, sollen die Mitarbeiter heute Vormittag vom vorläufigen Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz erfahren, der bereits die Schlecker-Insolvenz bearbeitet hat. Der Geschäftsbetrieb jedenfalls läuft wieder. Sprecherin Eva Großkinsky sagt: „Es kann bestellt werden, die Päckchen gehen raus.“

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