Die Aufholjagd begann von weit hinten. Die Arbeitslosigkeit war hoch, Industrie kaum vorhanden, als die Regierung den großen Sprung wagte. Mit Subventionen und Steuerbefreiungen sollte das Land zur wirtschaftlichen Großmacht werden. Der industrialisierte Westen galt als Vorbild. Die Gier nach ausländischem Know-how war unersättlich. Neue Produkte wurden in den heimischen Fabriken kopiert, verbessert, die Lücke in Auto- und Elektrobranche in atemberaubendem Tempo geschlossen. Die neue Drehscheibe der Welt schien gefunden zu sein. Doch die Sorgen im Ausland nahmen zu. Der Westen fühlte sich unfair behandelt. Er sah sich mit Dumping-Preisen und Protektionismus konfrontiert. Würde er seine Vormachtstellung verlieren? Ausgerechnet an Japan?
30 Jahre ist das her. Doch die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Nur heißt die mutmaßliche Bedrohung jetzt nicht Japan, sondern China. Der rasante Aufschwung des 1,4-Milliarden-Volkes macht einigen Deutschen Angst. Seit sich chinesische Investoren in heimische Großunternehmen wie den Augsburger Roboterspezialist Kuka oder den Münchner Maschinenbauer Krauss-Maffei eingekauft haben, will sich die deutsche Politik wehren. Doch wie gefährlich ist China? Darüber sprach Markus Taube, Professor für Ostasienwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, im Medienfoyer der Augsburger Allgemeinen. Er hatte beruhigende und besorgniserregende Nachrichten.
Schon seit 20 Jahren engagierten sich deutsche Investoren in China, sagt Taube. Dass sich chinesische Geldgeber nun auch auf deutsches Terrain trauen, findet er deshalb nicht verwerflich. „Es beweist, dass China einen ganz erheblichen Reifegrad erlangt hat“, sagt der 52-jährige Wirtschaftsprofessor. Ein ausschwärmendes und selbstbewussteres China verändere die Strukturen der Weltwirtschaft. Während die Volksrepublik einfache Arbeiten in Niedriglohnländer wie Bangladesch und Vietnam auslagere, produziere sie andere Komponenten selbst. Entwicklung und Innovation verlege sie allerdings in Industriestaaten wie Deutschland. Denn nur dort gebe es etwa die entsprechenden Facharbeiter und Forschungsinstitute.
„Betriebe, die von chinesischen Investoren übernommen werden, bleiben so erhalten, wie sie sind“, sagt Taube. So sei das Unternehmen für die Geldgeber am wertvollsten. Das dürfte deutsche Arbeitnehmer beruhigen. Taube sieht einen weiteren Vorteil für deutsche Firmen. Der Zugang zum chinesischen Markt fiele ihnen mit einem Investor aus dem Reich der Mitte leichter. Dementsprechend positiv ist das Fazit des Professors: „So ist das alles wunderbar, hier findet eine Bereicherung der deutschen Wirtschaft statt.“ Doch genug des Lobs.
China sei in Zeiten wachsenden Protektionismus’ in Amerika und Europa keineswegs der Retter der liberalen Weltordnung, sagt Taube. Vielmehr agierten Staatspartei und Regierung als alles beherrschende Wirtschaftslenker. Nicht selten bekleideten Leiter wichtiger Unternehmen zentrale Regierungsämter. Die Trennlinie zwischen Regulierern und Regulierten verschwimme. „Wir haben es in China mit kartellartigen Strukturen zu tun“, sagt Taube. Das freie Spiel der Kräfte sei deshalb nicht gegeben. Es sei von Peking auch nicht gewollt. „Der Präsident des Obersten Gerichtshofes hat erst grundlegende Elemente liberaler westlicher Ordnungsstrukturen für falsch erklärt“, sagt Taube. Doch warum sollte das deutsche Unternehmen kümmern?
Der Professor weist auf Wettbewerbsverzerrungen hin. In einem liberalen Wirtschaftssystem schieden Verlierer aus dem Markt aus, sagt er. In China könnten dagegen Unternehmen auf staatliche Unterstützung bauen. Die Folge seien Überkapazitäten und Dumping-Preise, die die europäische Industrie bedrohten. Taube hält aber nichts davon, den Zugang chinesischer Investoren zum deutschen Markt weiter einzuschränken. Lieber setzt er auf ständigen Dialog.
In jüngster Zeit hat Chinas Aufschwung deutlich nachgelassen. Der Volksrepublik könnten schwierige Zeiten bevorstehen. Auch Japans Wirtschaft kühlte in den 1990er-Jahren sichtlich ab. Als Gefahr sieht das Land heute kaum mehr jemand.