Wie stabil sind die Lebensversicherer? Diese Frage hat der Bund der Versicherten (BdV) mit seiner Analyse der Solvenzberichte zuletzt gestellt. Diese wurde unter dem Titel „Tektonik der Lebensversicherer in Gefahr“ veröffentlicht und hat für einiges Aufsehen gesorgt. Denn laut BdV „driftet die Branche auseinander“, sagt der Vorstandssprecher des Vereins, Axel Kleinlein. Und: „Mehr als ein Viertel der untersuchten Unternehmen hat ernste Probleme.“ 22 von 84 der analysierten Versicherer hätten entweder eine „zu geringe Solvenz oder eine negative Gewinnerwartung“.
Solvenzberichte, die Versicherungsunternehmen jährlich abgeben müssen, sollen den Versicherten zeigen, wie finanzkräftig und krisenfest die Unternehmen aufgestellt sind, etwa, wenn es heftige Turbulenzen an den Kapitalmärkten, Naturkatastrophen oder wie jetzt eine Pandemie gibt. Der Kunde soll laut BdV wissen: Verfügt mein Versicherer über genügend Kapital „um nachhaltig und auch in Extremsituationen die Leistung zu erbringen, die er zugesagt hat.“ Solvenzberichte seien so eine Art Body-Mass-Index für die Versicherungsunternehmen. Sind manche von ihnen also zu dürr?
BdV-Vorstandssprecher kritisiert unbewegliche Kapitalanlagepolitik bei Lebensversicherungen
Derzeit seien diese laut Kleinlein jedenfalls vor großen Herausforderungen. Sprich: die anhaltende Niedrigzinsphase, die unsicheren Aktien- und Anleihenmärkte und eben die Folgen der Corona-Pandemie, die das globale Wirtschaftsleben auf historisch-gravierende Art und Weise beeinträchtigt haben. Kleinlein kritisiert, dass die Lebensversicherer in ihrer Kapitalanlagepolitik „unbeweglich“ seien. Und zugleich müssten sie ihr Eigenkapital stärken, „ohne wieder in die Taschen der Versicherten zu greifen. 100 Milliarden aus Kundengeldern sind genug, jetzt sind Unternehmen und Aktionäre selber dran“, betont der BdV-Vorstandssprecher weiter.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft widerspricht der Analyse des Bundes der Versicherten und teilt auf Anfrage mit: „Lebensversicherungen sind nach wie vor geeignet für die Altersvorsorge und bieten lebenslange Sicherheit.“ Alle Lebensversicherer hätten „ausreichende Eigenmittel und Sicherheitspuffer im gesetzlich geforderten Umfang“. Im Mittel stellten sie das Doppelte oder Dreifache der gesetzlich geforderten Eigenmittel bereit. Und ein Sprecher betont: „Trotz des Drucks der Niedrigzinsen können sämtliche Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Versicherten erfüllt werden.“
Lohnt sich eine Lebensversicherung noch?
Was denn nun? Niels Nauhauser ist Finanzexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Er sagt: „Über Rating-Methoden kann man immer streiten. Aber im Kern geht es darum, dass einige Lebensversicherer Probleme haben. Das ist nicht neu. Die Bafin hat sich schon dazu geäußert. Das Thema gehört auf den Tisch und diskutiert.“ Im Großen und Ganzen liege das Geld von Lebensversicherungen von 80 bis zu 90 Prozent in Zinspapieren. Sprich: „Wenn es auf den Aktienmärkten gut läuft, dann hilft das nicht.“ Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg rate in Sachen Lebensversicherungen daher schon länger nicht mehr zu Neuabschlüssen. Zugleich empfiehlt Nauhauser mutmaßlich beunruhigten Verbrauchern – in Deutschland gibt es immerhin rund 83 Millionen abgeschlossene Lebensversicherungsverträge – zur Gelassenheit: „Es gibt keine konkreten Anzeichen für eine Gefährdung der Garantieleistung. Wenn es diese gäbe, müsste die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) einschreiten.“ Nauhauser fasst zusammen: „Die Ratings sind gut und wichtig, aber wir raten, einen gut verzinsten Altvertrag nur wegen eines schlechten Ratings nicht gleich zu kündigen“ Aus einem jüngeren Vertrag mit hohen Kosten und geringen Renditen allerdings sollte man aussteigen.
Reiner Will, Geschäftsführer der Ratingagentur Assekurata, beobachtet den Markt – gerade in Corona-Zeiten – genau. Er sagt: „Es gibt keine gänzlich neue Situation.“ Die Niedrigzinsphase mache der Branche zu schaffen, natürlich. Will stellt aber auch die europäische Perspektive her und da gilt: „Der neuerliche Verfall an den Zinsmärkten 2019 hat zwar Spuren hinterlassen, allerdings sind deutsche Lebensversicherer im europäischen Vergleich weiterhin solide aufgestellt.“
Bafin: Deutsche Lebensversicherer sind „erstaunlich robust“
Und was sagt die Bafin selbst, die als Aufsichtsbehörde derzeit wegen des Wirecard-Skandals heftig in der Kritik steht? Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit: „Nach unserer aktuellen Einschätzung können alle deutschen Lebensversicherer die Ansprüche ihrer Kunden erfüllen.“ Die Solvenzquoten der deutschen Lebensversicherer seien „erstaunlich robust – auch im internationalen Vergleich“. Das aktuelle Zinsumfeld sei bereits seit Jahren herausfordernd für die deutschen Lebensversicherer. Die Corona-Krise komme indes „erschwerend hinzu“. Auf die Studie will die Bafin im Einzelnen nicht eingehen, da sie „wesentliche Aspekte der Berechnung der Kapitalausstattung der Versicherer“ ausblende. Derzeit, so erklärt die Sprecherin weiter, „haben wir 20 Lebensversicherer unter intensivierter Aufsicht“.
Lesen Sie dazu auch:
- Niedrige Zinsen: Wie lege ich mein Geld rentabel und nachhaltig an?
- Wie man in der Krise die Vorsorge-Kosten senken kann
- Verbraucher können im zweiten Halbjahr noch mehr bei Strom- und Spritkosten sparen