Herbert Diess gerät in Bedrängnis. Der Bayer an der Spitze des Volkswagen-Konzerns muss derart den Zorn des mächtigen Betriebsrats auf sich ziehen, dass die Arbeitnehmerseite dem Vernehmen nach eine Art Misstrauensvotum gegen ihn eingeleitet hat. Selbst für die zu Aufwallungen neigende Volkswagen-Familie ist das ein Novum.
Derartige Misstrauensbekundungen stammen aus dem politisch-parlamentarischen Betrieb. In der bundesdeutschen Geschichte scheiterte hier einst CDU-Herausforderer Rainer Barzel gegen SPD-Kanzler Willy Brandt, während CDU-Mann Helmut Kohl gegen den Sozialdemokraten Helmut Schmidt mehr Glück hatte. Kann sich Diess wie Brandt im Amt halten oder ereilt ihn das Schmidt’sche Schicksal?
Was machen die VW-Großaktionäre?
Die Antwort können nur die Volkswagen-Großaktionäre aus den Reihen der Familien Porsche und Piëch geben. In den Kreisen der Industriellen soll der 63-jährige VW-Chef trotz der nicht enden wollenden Unruhe im Konzern nach wie vor zumindest einige Sympathien genießen. Schließlich hat der Münchner mit dem österreichischen Pass das nach dem Diesel-Skandal angeschlagene Unternehmen Richtung Elektromobilität getrimmt und das VW-Image erheblich verbessert. Den Porsches und Piëchs soll es durchaus behagen, dass der Manager den Konzern aufwecken will, um den Kampf mit Herausforderern wie Tesla zu bestehen. Diess stilisiert sich immer wieder zu einer Art Chef-VW-Trägheits-Fighter.
Doch was Barzel für Brandt und Kohl für Schmidt gewesen waren, dazu könnte sich eine durchsetzungsstarke zierliche Frau mit langen dunklen Haaren für Diess aufschwingen. Denn es war die VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, die ihm das Vertrauen entzogen haben soll.
Diess scheint die Widerstandskräfte der 46-Jährigen unterschätzt zu haben. Cavallo kann auch Krawallo. Die Hoffnung des Managers auf weniger Gegenwehr seitens des Betriebsrates erfüllt sich nicht. Diess waren also nur wenige Wochen der Schonung vergönnt, nachdem Cavallo Nachfolgerin von Bernd Osterloh, 65, wurde. Das breitschultrige und kahlköpfige VW-Urgestein rumpelte verlässlich mit dem Volkswagen-Boss zusammen. Die beiden Herren konnten sich nicht riechen, sodass in Wolfsburg die Geschichte erzählt wird, Diess habe Osterloh nach München zur VW-Lkw-Tochter Traton in den Vorstand weggelobt.
Für Volkswagen gilt eigentlich eine Beschäftigungsgarantie
Dabei hätte der Volkswagen-Lenker gewarnt sein müssen, sagte Osterloh doch über seine Nachfolgerin: „Sie ist führungsstark, empathisch und so strategisch denkend, dass sich viele wundern werden.“ Zunächst einmal hat sich Cavallo – und das nicht nur einmal – über Diess gewundert, ja geärgert. Die zwischenmenschliche Situation zwischen der Betriebsratschefin und dem Vorstandsvorsitzenden ist eskaliert. In einer ersten – und schon aus Arbeitnehmersicht maximalen – Provokationsstufe wartete der Manager mit Überlegungen auf, allein bei der Marke Volkswagen könnten bis zu 30.000 Arbeitsplätze – und damit jeder vierte – gefährdet sein. Dabei wurde für VW noch 2019 eine Beschäftigungsgarantie für alle deutschen Standorte bis 2029 ausgehandelt. Osterloh frohlockte einst siegesgewiss: „Damit sind betriebsbedingte Kündigungen in den nächsten zehn Jahren ausgeschlossen.“
All das mag erklären, weshalb Cavallo derart erbost auftritt, auch wenn Diess nach einem Aufschrei der Empörung zurückgerudert ist. Was die eigentlich ruhig und sachlich argumentierende Tochter eines früheren italienischen VW-Arbeiters dem Manager übelnimmt: Er zündelt immer wieder, zuletzt mit der Bemerkung: „Sicherlich brauchen wir einen Abbau von Stellen.“
Am Ende war es aber eine Stilfrage, die zum Misstrauensvotum, ja zur Anrufung des Vermittlungsausschusses im VW-Aufsichtsrat geführt haben mag. Denn Diess schlug zunächst eine Einladung Cavallos zur Betriebsversammlung aus, weil er einen Besuch in den USA dem wichtigen Belegschaftstreffen vorzog. Seitdem geht, so rekonstruieren es Kenner des speziellen Wolfsburger VW-Biotops, ein Riss durch das Verhältnis der Betriebsratschefin zum Konzernherrn. Derart polternd hat man die Gewerkschafterin öffentlich nie erlebt: „Herbert Diess zieht Investoren der Wall Street der eigenen Belegschaft vor.“ Das sei beispiellos in der VW-Geschichte und zeige „einmal mehr, dass der Konzernvorstandsvorsitzende selbst in dieser Krise weder Empathie noch Gespür für die Situation der Belegschaft hat“. All das mündet in die niederschmetternde Diagnose Cavallos: Es interessiere Diess schlicht und einfach nicht, was die Beschäftigten bewege.
Heftige Kritik an Plänen des VW-Chefs für einen Job-Abbau
Bisher scheinen die Versuche des VW-Chefs, die Lage zu deeskalieren, nicht zu fruchten. Auch wenn er seine USA-Reise abgesagt hat und am Donnerstag doch an der Belegschaftsversammlung teilnahm, ist das Misstrauen gegen ihn seitens des Betriebsrates immens. Auf der Veranstaltung rief ihm Cavallo nach all seinen Job-Kahlschlag-Gedankenspielen zu: „Hier ist nicht ein Mensch zu viel an Bord.“ Die Spekulationen über einen Stellenabbau seien „inhaltlicher Unfug“.
VW-Kundige rechnen es der Betriebsratschefin als Punktsieg an, dass sich der Manager letztlich gegen die Wall Street und für den Besuch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entschieden hat. Dort soll Diess aber unverdrossen weiter Richtung Betriebsrat gestichelt und mehr Veränderungsbereitschaft mit zwei provokanten Sätzen eingefordert haben: „Der nächste Golf darf kein Tesla sein. Der nächste Golf darf nicht aus China kommen.“
Cavallo greift Diess an
Der VW-Chef liebt Vergleiche mit dem US-Autobauer und provoziert damit immer wieder die Belegschaft. Tesla-Chef Elon Musk hat er sogar zu einem Management-Treffen zuschalten lassen. Derlei Aktionen scheinen Cavallo unglaublich zu nerven. Sie packt den VW-Chef inzwischen dort, wo er am verwundbarsten ist und kreidet ihm ein mangelndes Management der Versorgungsengpässe im eigenen Haus an. Um ihr Misstrauensvotum gegen Diess zu untermauern, ätzt sie: „Das, was wir bei den Halbleitern sehen, ist ein Armutszeugnis. Sie versorgen uns zwar regelmäßig mit netten Fotos von Ihren Ausflügen, nur mit Halbleitern leider immer noch nicht.“ Mit den „netten Fotos“ nimmt die Beschäftigten-Vertreterin Bezug auf die Leidenschaft des Managers für Selfies beim Testen von Elektroautos oder beim Fahrradfahren. Sie verübelt ihm auch Turteleien mit „dem großen Konkurrenten“ Musk . So viel Lärm um Volkswagen mögen die Familien Porsche und Piëch nicht. Ob sie Diess weiter stützen, ist völlig offen.