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Versandhandel: Weltbild-Chef sieht Konkurrenz gelassen

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Weltbild-Chef sieht Konkurrenz gelassen

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    Der Kontra-Revolutionär wirkt aufgeräumt und sagt: „Sie sehen mich gelassen.“ Weltbild-Chef Carel Halff verzichtet auf martialische Gesten. Schmetterlinge umschwirren in der Werbung sein neuestes Produkt Tolino. Mit dem elektronischen Lesegerät – kurz E-Book-Reader genannt – will der 61-Jährige den Herausforderer und Online-Revolutionär Amazon im deutschsprachigen Raum zurückdrängen. Das US-Unternehmen hat sich mit seiner Bücher-Lesmaschine Kindle frühzeitig eine beachtliche Machtposition erarbeitet.

    Für jeden Herausforderer kommt es einer Herkulesaufgabe gleich, dagegenzuhalten und verlorenes Terrain vom Konzern aus Seattle zurückzuerobern. Halff wagt es. „Das Kartenspiel beginnt von Neuem“, sagt er und meint damit das Geschäft mit E-Books, die man sich aus Internetshops herunterlädt. Seines Erachtens wird aus einem Nischen- jetzt in Deutschland ein Massenprodukt.

    Weltbild liegt im deutschen Geschäft noch vor Amazon und Thalia

    „In diesem Jahr kommt es zu entscheidenden Weichenstellungen“, sagt der Manager wie immer im ruhigen Tonfall. Die niederländische Muttersprache schimmert nach all den Jahrzehnten im deutschen Verlagsgeschäft noch durch. Von der Weltbild-Zentrale in Augsburg aus wagt er den Gegenangriff aus einer Position der Stärke heraus, sieht er sein Unternehmen zusammen mit dem verbündeten Unternehmen Hugendubel im deutschen Verlagsgeschäft doch nach wie vor als Nummer eins vor den etwa gleichauf rangierenden Größen Amazon und Thalia. Dabei zählt der Weltbild-Chef alle Umsätze zusammen, ob sie online oder in den Buchläden erzielt wurden.

    Damit Amazon – wie viele glauben – nicht auch Weltbild überrennt, „wird derzeit die gesamte Kapitalkraft des Unternehmens für heftige Investitionen benötigt“. Konkrete Zahlen nennt Halff, der Weltbild wieder einmal neu zu erfinden versucht, nicht. Der Branchendienst Buchreport schreibt von einer siebenstelligen Millionensumme, die von der deutschen Anti-Amazon-Koalition allein aufgebracht wird, um das neue E-Reader-Produkt Tolino zu bewerben. Hand in Hand mit Weltbild gehen neben Hugendubel Konkurrenten wie Thalia und der Club Bertelsmann, technisch unterstützt von der Telekom. Das Signal zur Gegenrevolution auf dem Markt für elektronische Bücher löste ein beachtliches publizistisches Echo aus, so als hätten viele auf das Signal gewartet.

    Tolino könnte Konkurrenz für das Kindle werden

    Liest man die Kommentare der Experten, ist viel Euphorie, aber auch Skepsis zu spüren. Während die Spezialisten der Frankfurter Allgemeinen glauben, der Tolino könnte „zur Plattform für den ganzen deutschen Buchhandel und zur einzig nennenswerten Konkurrenz für das Kindle werden“, ist Robert Vossen, der für die Universität of Southern California arbeitet, skeptischer. Der Experte schreibt in seinem Blog „Basic thinking“: „Wäre der Tolino Ende letzten Jahres auf den Markt gekommen, hätte es Amazon im Weihnachtsgeschäft sicher schwer gehabt.“ So sei bereits viel Zeit verschenkt worden. Vossen stellt dem Gerät aber ein wohlwollendes Zeugnis aus. Sein Fazit: Der Einstand sei gelungen. Vossen befürchtet jedoch, der Tolino sei zu spät auf den Markt gekommen, um die Gewichte entscheidend zuungunsten von Amazon zu verschieben.

    Das Echo fiel jedoch überwiegend positiv aus, auch weil der Tolino im Gegensatz zum Kindle von Amazon ein offenes System darstellt. Wer den E-Reader für den Preis von 99,99 Euro kauft, kann online Bücher von Weltbild, Hugendubel, Thalia und dem Club Bertelsmann herunterladen, während er bei Amazon sozusagen eingesperrt ist und ihm nur Produkte aus dem US-Imperium zur Verfügung stehen.

    Ob Tolino oder der Kindle ab 79 Euro: Es ist kein Geheimnis, dass die Geräte von den Konzernen bezuschusst werden, um Kunden zu binden und möglichst viele E-Books zu verkaufen. Wie der Hersteller verspricht, hält der Akku des Tolino bis zu sieben Wochen. Der Speicher des Geräts bietet Platz für maximal 2000 elektronische Bücher.

    Für Weltbild sind das „herausfordernde Zeiten einer digitalen Revolution“, wie Halff sagt. Und das seien eben nicht die Jahre der höchsten Erträge, verrät er und stellt klar: „Wir schreiben aber nach wie vor schwarze Zahlen.“ Der Manager gilt in der Branche als „Visionär“, der wie der Buchreport formuliert, „unbequeme Trends, ohne mit den Wimpern zu zucken, ausspricht“.

    Bei unserem Besuch bestätigt sich der Eindruck. Halff sagt: „Heute stehen die Kunden mit dem Smartphone in unseren Filialen und konfrontieren die Händler mit Informationen über Bücher aus dem Internet.“ Die Branche stehe eben auf dem Kopf. Der Weltbild-Chef macht mit bei der Turnübung und meint lächelnd: „Das ist eine großartige Chance.“ Und dann folgt so ein typischer Halff-Satz, der auch von Apple-Legende Steve Jobs stammen könnte: „Der Kunde hat kein Problem. In der Onlinewelt hat er nur mehr Möglichkeiten.“

    Damit nicht der Eindruck entsteht, die Amazon-Eroberer hätten es mit einem zu sanften Intellektuellen zu tun: Halff kann verbal auch die Ellenbogen ausfahren, wenn er darauf zu sprechen kommt, dass Weltbild als deutsche Firma auf E-Books 19 Prozent Mehrwertsteuer veranschlagen müsse, während Amazon mit drei Prozent davonkomme, weil das US-Unternehmen das Geschäft über die Steueroase Luxemburg abwickle. „Das kann ja nicht sein“, schimpft er, ohne mit den Wimpern zu zucken: „Bücher sind mehr als normale Wirtschaftsgüter. Sie sind ein Stück Kultur.“

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