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Verkehr: Kostenloser Nahverkehr – Utopie oder Zukunft?

Verkehr

Kostenloser Nahverkehr – Utopie oder Zukunft?

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    Nachdem ein Brief der Bundesregierung an die EU öffentlich wurde, wird über einen kostenlosen Nahverkehr diskutiert. Kritiker warnen vor Überfüllung in den Bussen und Bahnen.
    Nachdem ein Brief der Bundesregierung an die EU öffentlich wurde, wird über einen kostenlosen Nahverkehr diskutiert. Kritiker warnen vor Überfüllung in den Bussen und Bahnen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Es klingt ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Völlig kostenlos mit Bus und Bahn durch die Stadt fahren. Ein Traum wird wahr. Nie mehr Monatskarte vergessen, nie mehr teure Streifenkarte kaufen, nie mehr zu wenig Kleingeld fürs Einzelticket. Aber geht das überhaupt? Während die einen in Gedanken schon gratis durch die Stadt kutschiert werden, sprechen die anderen vom Boden der Tatsachen. Theoretisch sei die Idee vom kostenlosen Nahverkehr ja eine prima Sache, meinen die Kritiker. Aber wer soll das bezahlen?

    Der Deutsche Städte- und Gemeindebund geht davon aus, dass sich die Einnahmen der Verkehrsbetriebe bundesweit auf 13 Milliarden Euro belaufen. „Dieser Betrag müsste gesamtgesellschaftlich gegenfinanziert werden“, erklärt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. „Die Verkehrsunternehmen brauchen das Geld, um ihre Leistungen zu verbessern.“ Zudem sei davon auszugehen, dass der kostenlose Nahverkehr die Zahl der Kunden deutlich steigen ließe. Dafür fehle es schlicht an Personal. Gratisfahren könne höchstens ein langfristiges Zukunftsprojekt sein. Denn schon jetzt fahren Jahr für Jahr mehr Menschen mit den Öffentlichen. Zuletzt waren es 10,3 Milliarden Fahrten im Jahr – ein neuer Rekord. Die geplante Große Koalition plant deshalb, das Budget für den öffentlichen Nahverkehr aufzustocken. Von bisher 350 Millionen auf eine Milliarde Euro.

    Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist ein Draufzahlgeschäft. In München lagen die Einnahmen durch Fahrkarten 2016 bei rund 872 Millionen Euro. Dem gegenüber stehen jedoch milliardenschwere Ausgaben. Allein für den Neu- und Ausbau von vier U-BahnLinien sowie zwei Trambahn-Tangenten würden voraussichtlich Investitionen von mehr als 5,5 Milliarden Euro benötigt, erklärt Münchens zweiter Bürgermeister Josef Schmid (CSU). Sinnvoll wäre aus seiner Sicht deshalb ein ÖPNV-Sonderprogramm von 20 Milliarden Euro für ganz Deutschland, aus dem ein Teil auch nach München fließe. Die Aufstockung der Bundesmittel für die Öffentlichen auf eine Milliarde Euro hält Schmid hingegen für „unzureichend“. In Augsburg würde das Gratisfahren nach Angaben der Stadtwerke 48 Millionen Euro kosten. Hier werden jährlich rund 60 Millionen Fahrgäste befördert. Ins Rollen gebracht hat die Diskussion ein Brief der Bundesregierung an die EU-Kommission.

    Darin wenden sich Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU–Umweltkommissar Karmenu Vella. Zusammen mit Ländern und Kommunen denke die Bundesregierung über einen kostenlosen Nahverkehr nach, um die Zahl privater Fahrzeuge auf den Straßen zu verringern. Hintergrund der Überlegungen ist zum einen Druck aus Brüssel. Denn in Sachen Luftverschmutzung hinkt Deutschland wohl hinterher. Dem Land droht eine Klage, weil seit Jahren in vielen deutschen Städten die Grenzwerte zum Ausstoß von Stickoxid überschritten werden. Zum anderen drohen gerichtlich erzwungene Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Mit dem Vorschlag zum kostenlosen Nahverkehr möchte die Bundesregierung dem wohl entgegensteuern.

    Kostenloser Nahverkehr: Konkrete Pläne gibt es noch nicht

    Konkret sind die Pläne dazu jedoch noch lange nicht. Wie die Vorschläge zum Gratisverkehr umgesetzt werden sollen, ist unklar. Im Brief der Bundesregierung an die EU-Kommission ist die Rede von fünf Städten, in denen der kostenlose Nahverkehr getestet werden könne: Bonn, Essen, Herrenberg (Baden-Württemberg), Reutlingen und Mannheim. Diese Städte seien ausgewählt worden, um Beispiele mit niedrigen, mittleren und höheren Grenzwertüberschreitungen in der Luft abzudecken, sagt ein Sprecher des Umweltministeriums. Dass bei den fünf genannten Städten keine bayerische dabei ist, ist also wahrscheinlich Zufall. „Rein theoretisch“ könne es aber sein, dass keine dieser Städte die genannten Maßnahmen letztlich auch umsetze. Denn letztlich könnten die Kommunen selbst bestimmen, was sie machen. Der Brief an die EU-Kommission enthalte lediglich Vorschläge zur Verbesserung der Luftqualität, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert.

    Die Diskussion ums Gratisfahren ist nicht neu. In Deutschland hat zuletzt die baden-württembergische Stadt Tübingen den Kostenlosversuch gestartet – allerdings nur samstags. Weil ein Parkhaus in der Innenstadt zur Zeit saniert wird, haben die Tübinger Händler Angst vor sinkendem Geschäft. Um dem entgegenzuwirken, entschied sich die Stadt für das 200.000 Euro teure Projekt. Vor fünf Tagen fuhren die Tübinger zum ersten Mal kostenlos mit den Stadtbussen. Die Zahl der Fahrgäste stieg danach rasant. Kurz vor den Sommerferien soll entschieden werden, wie lange das Projekt dauern soll. Geht es nach Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, düfte der Kostenlosversuch wohl langfristig Bestand haben. Bei Facebook schreibt er zum Vorschlag, den kostenlosen ÖPNV bundesweit auszubauen: „Sensationell. Daran arbeiten wir jetzt schon fast zehn Jahre. Endlich Bewegung!“ Palmers Parteikollege und Fraktionsvize Oliver Krischer wirft der Bundesregierung jedoch Aktionismus vor. Die Idee sei zwar interessant, löse aber nicht die Probleme verschmutzter Luft. (mit dpa, afp)

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