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Kommentar: VW und Ferdinand Piëch: Ein Patriarch mag nicht mehr

Kommentar

VW und Ferdinand Piëch: Ein Patriarch mag nicht mehr

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    Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch verkauft den größten Teil seiner VW-Aktien.
    Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch verkauft den größten Teil seiner VW-Aktien. Foto: Julian Stratenschulte (dpa)

    Ferdinand Piëch hatte lange den Nimbus, unbesiegbar zu sein. Der einstige General-Motors-Manager Bob Lutz nannte ihn „einen Diktator, der sich immer durchsetzt“. Heute lässt sich jedoch konstatieren: Der Österreicher ist nicht allmächtig, sondern ein normaler Mensch. Und zum Menschsein gehört stets das Scheitern.

    Nach all den Siegen (und die gab es zuhauf) steht Piëch nun vor den Trümmern seines Volkswagen-Lebenswerks. Einst hat er als Chef in Ingolstadt die VW-Tochter Audi geführt. Dem Autohersteller haftete das Image an, von Rentnern, die gehäkelte Klorollen lieben, gefahren zu werden. Piëch küsste

    Eine Zäsur in der Geschichte von VW

    Doch auf dem Gipfel des Triumphs wurden die Schwächen des Patriarchen offenbar. Der Mann, der es hasst, Zweiter zu sein, unterließ es, bei VW eine Kultur der Kritik einzuführen. Wie so viele Patriarchen umgab er sich mit ihm willfährigen Dienern. Einer hieß Martin Winterkorn und hat es als VW-Chef versäumt, den Diesel-Skandal im Keim zu ersticken.

    Chronologie der Abgasaffäre bei VW und Audi

    VW steckt tief in der Krise. Der Abgas-Skandal hat Konzernchef Martin Winterkorn den Job gekostet - nun müssen sein Nachfolger Matthias Müller und der neue Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch die Affäre aufklären.

    3. September 2015: Volkswagen räumt gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Abgastests ein.

    18. September 2015: Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    22. September 2015: Der Konzern gibt eine Gewinnwarnung heraus und kündigt Milliarden-Rückstellungen an. VW-Chef Martin Winterkorn bittet um Entschuldigung.

    23. September 2015: Rücktritt Winterkorns. «Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren», erklärt er seinen Schritt.

    25. September 2015: Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen.

    28. September 2015: Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen.

    29. September 2015: Volkswagen legt einen Aktionsplan zur Nachbesserung von Dieselwagen mit manipulierter Software vor und will fünf Millionen Fahrzeuge der Kernmarke VW in die Werkstätten holen.

    1. Oktober 2015: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig rudert zurück: Entgegen früheren Angaben führt sie kein formelles Verfahren gegen Winterkorn. Neuer VW-Finanzchef wird nach dem Wechsel von Hans Dieter Pötsch in den Aufsichtsrat der Leiter der Finanzsparte, Frank Witter.

    2. Oktober 2015: Auf speziellen Internetseiten können Kunden von VW und Audi prüfen, ob ihr Wagen die Manipulations-Software verwendet.

    4. Oktober 2015: Laut «Bild am Sonntag» sollen VW-Ingenieure der internen Revision gesagt haben, sie hätten 2008 die Software installiert.

    6. Oktober 2015: Betriebsratschef Bernd Osterloh und Müller sprechen bei einer Betriebsversammlung in Wolfsburg zur Belegschaft. Osterloh betont, bisher gebe es noch keine Konsequenzen für Jobs - laut Müller stellt die Abgas-Affäre aber bereits geplante Investitionen infrage.

    7. Oktober 2015: Erneutes Krisentreffen der VW-Aufseher, Pötsch wird an die Spitze des Kontrollgremiums gewählt. Nach Aussage Müllers in einem «FAZ»-Interview kann der Auto-Rückruf im Januar 2016 beginnen.

    8. Oktober 2015: Razzia bei Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ordnet Durchsuchungen in Wolfsburg und an anderen Orten an. VW-US-Chef Michael Horn muss dem US-Kongress Rede und Antwort stehen.

    9. Oktober 2015: US-Bundesstaat Texas verklagt Volkswagen. VW habe seine Kunden über Jahre hinweg vorsätzlich getäuscht, sagt ein texanischer Staatsanwalt.

    15. Oktober 2015: Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) lehnt die von Volkswagen angebotene freiwillige Reparatur ab. Rund 2,4 Millionen betroffene Fahrzeuge von VW werden zurückgerufen.

    2. November 2015: Auch Porsche und Audi geraten unter Verdacht. Die US-Umweltbehörde prüft die von Audi gebauten und von Porsche verwendeten Dreiliter-Dieselaggregate.

    4. November 2015: VW, Porsche und Audi stoppen in den USA den Verkauf von Fahrzeugen, die mit der umstrittenen Dreiliter-Dieselmaschine ausgerüstet sind.

    12. November 2015: Martin Winterkorn gibt Vorsitz bei Audi auf. Nach dem Rückzug von VW und Porsche legt Winterkorn auch sein Amt bei Audi nieder.

    5. Januar 2016: Die US-Regierung reicht im Abgas-Skandal Klage gegen Volkswagen ein. Das Justizministerium wirft dem Konzern vor, Betrugssoftware eingesetzt und gegen das Luftreinhaltegesetz "Clean Air Act" verstoßen zu haben.

    27. Januar 2016: VW beginnt mit dem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge. Zunächst ist der Pick-up Amarok dran. Danach folgen die Passat-Modelle.

    15. März 2016: Knapp 300 Großaktionäre verklagen VW auf Schadensersatz in Höhe von rund drei Milliarden Euro.

    22. April 2016: VW muss den höchsten Verlust in der Geschichte des Unternehmens bekannt geben.

    28. Juni 2016: Entschädigungen in Rekordhöhe: 15 Milliarden Dollar kostet der Abgasskandal VW in den USA allein an Strafen an die Umweltbehörden und Entschädigungen an Autofahrer.

    7. September 2016: Auch der Autozieferer Bosch gerät immer mehr in Kritik. Ohne das Stuttgarter Unternehmen habe Volkswagen die Software nicht anpassen können, berichten Medien.

    23. September 2016: Neue Vorwürfe aus den USA belasten VW-Tochter Audi schwer. Bisher bestritt Audi stets manipuliert zu haben.

    22. November 2016: VW will weltweit 30.000 Jobs abbauen. Allein in Deutschland sollen bis zu 23.000 Jobs wegfallen.

    15. Dezember 2016: Sigmar Gabriel (SPD), Peter Altmaier (CDU) und Barbara Hendricks (SPD) sagen im U-Ausschuss aus, sie hätten erst nach Aufdeckung des Skandals 2015 von verbotenen Praktiken erfahren.

    20. Dezember 2016: Nächste Vergleichszahlung: VW und Audi sollen in Kanada bis zu 1,5 Milliarden Euro an Autokäufer zahlen.

    9. Januar 2017: Amerikanisches FBI nimmt einen VW-Manager wegen des Dieselskandals fest.

    11. Januar 2017: VW und das US-Justizministerium einigen sich zu einem Vergleich. VW muss wegen rund 4,3 Milliarden Dollar zahlen.

    19. Januar 2017: Martin Winterkorn wird im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Diesel-Skandal befragt. Der damalige Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns betont erneut, "nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt" worden zu sein.

    27. Januar 2017: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt jetzt auch gegen den früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wegen des Verdachts auf Betrug.

    3. Februar 2017: Ferdinand Piëch, der frühere VW-Aufsichtsratschef, belastet Martin Winterkorn. Demnach soll Winterkorn doch schon früher als von ihm eingeräumt vom Abgasbetrug erfahren haben.

    18. Februar 2017: Interne Dokumente belasten Audi-Chef Rupert Stadler. Er soll schon 2007 von der Schummelei zu den Abgaswerten gewusst haben.

    8. März 2017: Kanzlerin Angela Merkel sagt als letzte Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre aus. Sie will von der Affäre erst durch die Medien erfahren haben.

    15. März 2017: Razzia bei Audi: Kurz vor Beginn der Jahrespressekonferenz durchsuchen Fahnder die Konzernzentrale in Ingolstadt.

    Piëch hat das seinem einstigen Getreuen nicht verziehen. Er leidet auch darunter, aus beinahe allen Ämtern gedrängt worden zu sein. Hinzu kommt, dass sich seine geliebte VW AG in einen Skandal-Konzern verwandelt hat. Deshalb zieht er einen Schlussstrich und verkauft sein Volkswagen-Aktienpaket fast ganz. Dies ist eine Zäsur in der Volkswagen-Geschichte. Dabei hat das Unternehmen Piëch so viel zu verdanken, leidet bis heute aber unter seinen Fehlern.

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