Vor kurzem waren es zwei halbe Brötchen und eine Frikadelle, dann die Pfandbons im Supermarkt. Jetzt sind es Maultaschen im Wert von drei bis vier Euro, die eine Altenpflegerin aus Konstanz den Job gekostet haben. Am Freitag hat das Arbeitsgericht in Radolfzell die fristlose Kündigung der 58-Jährigen für rechtens erklärt.
Die Frau wollte die sechs Teigtaschen, die vom Mittagessen übrig waren, mitnehmen. Das Gericht wertete dies als Diebstahl, da der Arbeitgeber ausdrücklich verboten hatte, sich vom Essen der Heimbewohner zu bedienen. Die Pflegerin argumentierte, die Reste wären ohnehin im Müll gelandet.
Der Streit über die gefüllten Teigtaschen ist das vorerst letzte Kapitel in einer Serie von Kündigungen wegen vermeintlicher Bagatellfälle. "Es ist schwierig, einem Arbeitnehmer klarzumachen, dass ihm das Gleiche passiert, wenn er sich eine Frikadelle aneignet wie einem Manager, der Beträge in sechsstelliger Höhe veruntreut", räumt Jens Goldschmidt, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Augsburg, ein.
Dabei sind Kündigungen wegen Bagatelldelikten nicht neu: 1984 hatte das Bundesarbeitsgericht die fristlose Kündigung einer Kuchenverkäuferin bestätigt, die ein Stück Bienenstich gegessen hatte. "Es kommt regelmäßig vor, dass Arbeitnehmer nicht sauber trennen zwischen Mein und Dein", so Goldschmidt. Die Konsequenz müsse jedem klar sein: Wer Eigentum der Firma an sich nimmt, müsse mit der Entlassung rechnen. Bei der Kassiererin können das fehlende Cent-Beträge sein. Bei der Sekretärin reicht der Taschenrechner.
"Den Leuten ist oft nicht bewusst, dass es sich um Diebstahl handelt", sagt Jurist Wolfgang Müller (Augsburg). Anders als im Strafrecht gibt es im Arbeitsrecht keine Bagatellgrenze. "Jeder Diebstahl gilt als Vertrauensverlust, egal ob es um 50 Cent oder 50 000 Euro geht." Eine Abmahnung ist nicht nötig. Auch dass die Pflegerin 17 Jahre im Betrieb arbeitete, spielt für Goldschmidt keine Rolle: "Der Schluss wäre ja, dass ältere Mitarbeiter klauen dürfen, jüngere nicht."
Die Gewerkschaft Verdi bezeichnete die Entscheidung als "Schandurteil", das Arbeitgebern Tür und Tor öffne, um unliebsame Beschäftigte zu feuern. Goldschmidt räumt ein, dass Firmen ihren Mitarbeitern in der Krise genauer auf die Finger schauen - gerade, wenn sie Stellen streichen müssen. "Früher hätte man da noch ein Auge zugedrückt." (Sonja Krell)