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Türkei: Währungsturbulenzen: Die eigentliche Krise kommt noch

Türkei

Währungsturbulenzen: Die eigentliche Krise kommt noch

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    Die türkische Lira schwächelt weiter gegenüber der US-Währung. Die Krise in der Türkei scheint sich unaufhaltsam ihren Weg zu bahnen.
    Die türkische Lira schwächelt weiter gegenüber der US-Währung. Die Krise in der Türkei scheint sich unaufhaltsam ihren Weg zu bahnen. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa (Symbol)

    Normalerweise verdienen Leute wie Yusuf Aslan in diesen Tagen vor dem islamischen Opferfest so viel Geld, dass es für ein ganzes Jahr reicht. Doch diesmal ist es anders. Aslan ist Bauer im Osten der Türkei und bietet Opfertiere für das Fest an, das am Dienstag beginnt.

    Verkaufen kann er aber nur wenige Schafe und Kühe. "Wir gehen mit leeren Händen wieder nach Hause", sagte Aslan einer lokalen Nachrichten-Website. Ähnlich wie ihm geht es tausenden Viehbauern in der Türkei. Wenn die Türken selbst beim traditionellen Kauf eines Opfertieres sparen, dann ist die Lage ernst.

    Nach den Währungsturbulenzen der vergangenen Wochen, bei denen die türkische Lira gegenüber dem US-Dollar in den Sinkflug ging, halten viele Normalbürger ihr Geld zusammen, weil sie nicht wissen, was noch kommt. Wirtschaftsexperten halten das Misstrauen für berechtigt. Sie rechnen für den Herbst mit Firmenpleiten und Entlassungen. Die eigentliche Krise in der Türkei kommt erst noch.

    Erdogan selbst schreckt Investoren ab

    So stufte die Ratingagentur Standard and Poor’s türkische Staatsanleihen ein weiteres Mal in Richtung Ramsch herunter und sagte für das kommende Jahr eine Rezession voraus. Vielleicht dauert es nicht mehr so lange. Einige große Baufirmen in der Hauptstadt Ankara wickeln derzeit nur noch begonnene Projekte ab, neue Aufträge gibt es nicht mehr, wie ein Insider berichtet. Nur zum Teil hat die Entwicklung etwas mit dem Streit zwischen Präsident Recep Tayyip Erdogan und seinem amerikanischen Amtskollegen Donald Trump zu tun. Trumps Sanktionen gegen die Türkei wegen der Inhaftierung des US-Pastors Andrew Brunson haben den Abwärtstrend der türkischen Wirtschaft beschleunigt, aber nicht ausgelöst.

    Eine hohe Unternehmensverschuldung, ein großes Außenhandelsdefizit und eine steigende Inflation sind Probleme, die auch ohne den Trump-Faktor in Ankara für Schwierigkeiten gesorgt hätten. Vor allem aber schreckt Erdogan selbst die Investoren mit seinem Anspruch ab, auch in der Finanz- und Wirtschaftspolitik alles alleine zu bestimmen. Insbesondere Erdogans Widerstand gegen höhere Leitzinsen und seine Betonung staatlich finanzierter Großprojekte werden von Investoren und Experten kritisiert.

    Die türkische Regierung spreche zwar von einer starken Wirtschaft, sagte der Erdogan-kritische Wirtschaftsexperte Mustafa Sönmez unserer Zeitung. Man könne aber nicht 16 Prozent Inflation, 14 Prozent Arbeitslosigkeit und ein großes Außenhandelsdefizit gut nennen.

    Fachleute fordern Leitzinserhöhung auf über 20 Prozent

    Womöglich hat sich das auch in der Erdogan-Partei AKP herumgesprochen. Parteipolitiker spielen mit dem Gedanken, die im März anstehenden Kommunalwahlen auf die kommenden Monate vorzuziehen, um die Türken wählen zu lassen, bevor sich die Hauptwucht der Krise gegen Ende des Jahres bemerkbar macht. Ein Gegensteuern wäre zwar möglich, doch dazu müsste Erdogan über seinen Schatten springen. Einige Fachleute fordern eine Leitzinserhöhung auf mehr als 20 Prozent, doch Erdogan will trotz der Überhitzung der Wirtschaft die Zinsen weiter senken, nicht anheben. Sein Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak sprach vor einigen Tagen einen anderen Bereich an, in dem Erdogan einer Besserung im Weg steht.

    Albayrak erwähnte staatliche Ausgabenkürzungen und ein bescheideneres Wachstum, doch sein Schwiegervater will mit teuren Mega-Projekten das Wirtschaftswachstum weiter ankurbeln. Ob sich Albayrak durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Inzwischen gibt es jedoch sogar in der regierungstreuen Presse leise Kritik am Präsidenten. Der Kolumnist Serkan Demirtas forderte einen Verzicht auf den Kanal Istanbul, eine geplante Wasserstraße, die parallel zum Bosporus das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden soll. Das 15-Milliarden-Dollar-Projekt sei eine unnötige Geldverschwendung, schrieb Demirtas.

    Erdogan hatte erst vor wenigen Wochen erklärt, der Kanal werde trotz aller finanz- und umweltpolitischen Bedenken gebaut. Auch politische Reformen wie eine Ausweitung der Meinungsfreiheit und eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz würden helfen, das erschütterte Vertrauen von Investoren in die Türkei zurückzugewinnen, meint Wirtschafts-Experte Sönmez: "Geld sucht den Rechtsstaat." Doch solche Veränderungen würden die Macht des Präsidenten schmälern, weshalb niemand mit einer Rückkehr zur türkischen Reformpolitik der frühen Erdogan-Jahre rechnet.

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