Was haben Sie für Erinnerungen an die Zeit vor 25 Jahren, als der Euro vorangebracht wurde?
Theo Waigel: Wir hatten den Vertrag schon im Dezember 1991 vorab verhandelt. Damals hatte ich massive Meniskusprobleme am linken Bein. Ich konnte fast nicht laufen.
Das sind schlechte Voraussetzungen für einen historischen Kraftakt.
Theo Waigel: Ich durfte mir nichts anmerken lassen. Nur unter größten Schmerzen bin ich gerade gelaufen.
Warum so viel Heldenmut?
Waigel: Die Erklärung ist einfach: Was wäre das denn für ein Bild für die Welt gewesen, wenn der deutsche Finanzminister bei den Verhandlungen gehinkt hätte. Das internationale Presse-Echo mit verheerenden Überschriften darauf konnte ich mir damals gut vorstellen. Also musste ich die Zähne zusammenbeißen. Einen Tag danach habe ich mich dann operieren lassen. Es ging schnell. Als ich aus der Narkose aufgewacht bin, haben die Chirurgen gelacht.
Haben Sie einen Witz gemacht?
Waigel: Nein, aber die Chirurgen sagten, dass meine letzten Worte, ehe ich nach der Narkose weg war, „D-Mark“ und „Maastricht“ gewesen seien. Zurück zum 7. Februar. Das waren bewegende Momente, als ich mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher den Maastricht-Vertrag unterschrieben habe. Danach haben wir uns beide tief in die Augen geschaut. Wir wussten, welche Bedeutung der Tag hat. Schließlich hat ein Wirtschaftsjournalist geschrieben, er wisse nicht, ob meine Hand gezittert habe.
Euro: Aus dem Maastricht-Füller ergab sich eine Anekdote
Hat sie in Maastricht gezittert?
Waigel: Meine Hand hat gezittert, aber nicht, weil ich unsicher war, sondern weil der Füllfederhalter so groß war. Genscher und ich durften jeweils den Maastricht-Füller mit nach Hause nehmen. Ganz legal.
Daraus ergab sich eine Anekdote.
Waigel: Ja, eine interessante Geschichte. Genscher ist ja 2016 leider gestorben. Vor vielen Jahren hatte er mich überraschend angerufen. Ich fragte ihn, was mir die Ehre verschaffe. Ob es vielleicht um die FDP gehe, wollte ich wissen. Das verneinte er. Es sei noch schlimmer, meinte Genscher humorvoll. Denn sein Maastricht-Füller sei ihm gestohlen worden. Er bat mich, ihm ein Foto meines Maastricht-Füllers zu schicken, damit die Polizei damit nach seinem Modell fahnden könne. Das habe ich gerne gemacht.
War die Füller-Hilfe erfolgreich?
Waigel: Ein paar Wochen später rief mich Genscher an. Er sagte, die Lumpen hätten zwar den Schmuck, den sie gestohlen haben, nicht zurückgegeben, aber den Füller. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu Genscher. Natürlich mussten wir auch Spannungen aushalten. Einige Monate vor seinem Tod hat er gesagt, Europa sei das Wichtigste für Deutschland, und er fügte hinzu: Etwas Besseres hätten wir nicht. Diese Haltung unterstütze ich uneingeschränkt. Deshalb würde ich heute wie vor 25 Jahren wieder für Europa und den Euro unterschreiben. Der Euro war keine Sturzgeburt. Unter den damaligen Umständen haben wir das Bestmögliche gemacht.
Was machen Sie jetzt mit dem Füller?
Waigel: Den Füller habe ich immer noch. Es gibt eine Reihe von Museen, die ihre Fühler nach ihm ausgestreckt haben, unter anderem das neue Landesmuseum in Regensburg.
Geht der Füller des Schwaben Waigel in die Oberpfalz?
Waigel: Noch gebe ich den Füller nicht aus den Händen. Irgendwann werde ich ihn als Leihgabe zur Verfügung stellen. Aber ich muss noch überlegen, ob ich nicht in München oder Augsburg einen Platz für den Maastricht-Füller finde.
Theo Waigel gilt als einer der Väter des Euro
Sie sind einer der Väter des Euro. Da liegt Sympathie für das Kind nahe. Umfragen zeigen aber, dass die Währung Deutschland spaltet. Es gibt etwas mehr Euro-Skeptiker als -Befürworter. Was sagt da der Euro-Vater?
Waigel: Wer nach 25 Jahren Bilanz zieht, muss sich vergewissern, was in dem Zeitraum alles passiert ist. So hat Deutschland insgesamt rund zwei Billionen Euro für die deutsche Wiedervereinigung aufgebracht. Und heute stehen wir wirtschaftlich besser als alle anderen Länder in Europa da. Wir können Spitzenwerte bei Wachstum und Beschäftigung aufweisen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist niedrig, und wir erzielen große Erfolge im Export.
Sie wollen darauf hinaus, dass der Euro einen hohen Anteil an alledem hat. Ist das wirklich so?
Waigel: Ja, ein stabiler Euro stützt in hohem Maße unsere Ausfuhren. Denn das Schreckgespenst von starken Währungsschwankungen, wie wir sie mit der D-Mark in den 70er, 80er und 90er Jahren erlebt haben, existiert heute so nicht mehr. Die bayerische Landwirtschaft exportierte allein im vergangenen Jahr Produkte im Wert von gut 8,9 Milliarden Euro – und das vor allem in andere europäische Länder. Das ist der siebte Exportrekord in Folge. Würde die Währung um 20 Prozent aufwerten, brächte das allein der bayerischen Landwirtschaft einen enormen Einkommensverlust. Die meisten realisieren das leider nicht.
Weil viele den Euro krisenbetont wahrnehmen; schließlich bekommen Südländer wie Italien ihre Finanzen nicht in den Griff. Und allein Deutschland hat sieben Mal die Defizit-Obergrenze, also das wichtigste Maastricht-Kriterium, gerissen. Wie sehr blutet Ihnen da das Herz?
Waigel: Mich ärgert, dass ausgerechnet Deutschland als Land, das den Stabilitätspakt durchgefochten hat, die Kriterien wiederholt nicht einhalten konnte. Und dass Deutschland mit Frankreich den Vertrag sogar aufgeweicht hat, ärgert mich besonders. Mit den Euro-Kriterien verhält es sich ähnlich wie mit den Zehn Geboten. Die sind zwar von Gott selbst gekommen und von Moses überbracht worden, es halten sich aber nicht alle Menschen daran.
Was sind die Euro-Todsünden?
Waigel: Neben dem Fehler, Griechenland in den Euro aufzunehmen, war die Aufweichung des Stabilitätspaktes die größte Sünde in der Euro-Geschichte.
Die Amerikaner glauben, eine noch viel größere Euro-Sünde entdeckt zu haben. Trumps Wirtschaftsberater Navarro behauptet, Deutschland würde sich mit einem deutlich unterbewerteten Euro auf Kosten der USA Handelsvorteile erschleichen. Von Ausbeutung ist die Rede. Stimmt das?
Waigel: Das ist Quatsch. Die Amerikaner haben keinen Grund, sich aufzuregen. Wenn man die letzten Jahrzehnte heranzieht, befindet sich der Euro gegenüber dem Dollar auf einem durchschnittlichen Niveau. Der Wechselkurs entwickelt sich am Markt und wird nicht manipuliert. Es ist vielmehr so, dass Deutschland die wirtschaftliche Spitzenposition mit fairen Mitteln erreicht hat. Wir haben uns eben angestrengt und beuten niemanden aus. Die Lasten der Deutschen Einheit haben uns schwer gedrückt. Aber wir haben die richtigen Konsequenzen daraus gezogen und trotzdem unsere Haushalte konsolidiert.
Klingt so, als könnten Trump und die USA einiges von Deutschland lernen.
Waigel: Ja, wir haben wie in fast keinem anderen europäischen Land Wirtschaftsreformen durchgeführt, wie etwa die Agenda 2010 des Ex-Kanzlers Schröder oder die Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch Müntefering. Gegen all diese Reformen haben CDU und CSU nicht opponiert. Wir haben sie vielmehr unterstützt. Hinzu kommt eine verantwortungsvolle Politik der Gewerkschaften, die mehr auf zusätzliche Arbeitsplätze als auf kräftige Lohnerhöhungen ausgerichtet ist. Und dann haben natürlich tüchtige Unternehmer ihre Firmen restrukturiert. So ist Deutschland stark geworden.