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Themenwoche Konsum: Lieber mieten statt kaufen - ist Teilen eine nachhaltige Alternative?

Themenwoche Konsum

Lieber mieten statt kaufen - ist Teilen eine nachhaltige Alternative?

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    Gerade Angebote Autos über Car-Sharing zu teilen, werden immer beliebter.
    Gerade Angebote Autos über Car-Sharing zu teilen, werden immer beliebter. Foto: Marcus Merk, AZ

    Wie sinnvoll ist es, etwas zu besitzen, das man vielleicht nur sehr selten oder sehr kurz nutzt? Immer mehr Menschen stellen sich diese Frage und immer mehr Menschen kommen zu dem Schluss: wenig sinnvoll. Deshalb entstehen immer mehr "Miet"-Angebote. Junge Eltern können sich Baby-Kleidung über Internetplattformen ausleihen. Ist das Kind zu groß, gibt es neue Strampler, Bodies und Hemdchen. Auch Waschmaschinen müssen nicht länger gekauft werden - stattdessen lassen sie sich mieten. Das Gleiche gibt es für Fitnessgeräte oder Computer. Der Gedanke dahinter: Wer weniger kauft, spart Geld und schont Ressourcen. Recht deutlich wird das am Beispiel von Autos.

    Sharing Economy macht derzeit etwa zwei Prozent des Bruttosozialprodukts aus

    Ein Auto in Deutschland wird im Schnitt 45 Minuten am Tag bewegt. Das ist ein Ergebnis aus der Studie Mobilität in Deutschland, die 2018 erschienen ist. Anders ausgedrückt: 97 Prozent der Tageszeit über steht das Fahrzeug still. Lohnt es sich dafür mehrere tausend Euro auszugeben, Wartungs- und Reparaturkosten einzuplanen und vielleicht noch einen Stellplatz zu mieten? Vor allem in Großstädten beantworten viele Menschen die Frage mit Nein. In der Mobilitätsstudie kam ebenfalls heraus, dass in Metropolen in 14 Prozent der Haushalte mindestens eine Person eine Mitgliedschaft bei einem Car-Sharing-Anbieter besitzt - sich also hin und wieder für Fahrten einen Wagen mietet. Guckt man sich den Durchschnitt für ganz Deutschland an, liegt der deutlich niedriger: Eine Car-Sharing-Mitgliedschaft gibt es bundesweit nur in fünf Prozent der Haushalte. Wie erfolgreich ist dieses "Mieten-statt-Kaufen"-Modell also wirklich?

    Einer, der das genauer weiß, ist Daniel Veit. Er ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Augsburg und forscht zu digitalen Plattformen. Auch deshalb hat er an einem deutschlandweiten Forschungsprojekt teilgenommen, das sich mit der sogenannten Sharing Economy - wie das Wirtschaftsmodell des Teilens statt Kaufens genannt wird - befasst. Veit sagt: "Der Wert der Sharing Economy liegt in Deutschland momentan etwa bei zwei Prozent des Bruttosozialprodukts." Nach einer Berechnung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC könnte er in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren auf bis zu 20 Prozent steigen, sagt Veit. "Das zeigt, das in dem Wirtschaftsmodell ein enormes Potenzial liegt. Auch wenn 20 Prozent vielleicht etwas hochgegriffen sind."

    Tauschhandel war normal bevor es Geld gab

    Eigentlich ist das Teilen nichts neues. Der Tauschhandel war die gängige Wirtschaftspraxis bevor es Geld gab, erklärt Veit. "Aber inzwischen leben wir in einer so spezialisierten Gesellschaft, dass Geld als universelles Tauschmittel nicht mehr wegzudenken ist." Mit der Digitalisierung erleben Teilen und Tauschen wieder einen Aufschwung. Es sind viele Firmen entstanden, die auf diesem Prinzip basieren. Das erklärt Veit so: "Digitale Plattformen bringen Menschen zusammen, die sich sonst nicht gefunden hätten." Wer sein Werkzeug verleihen möchte, kann das im Internet tun. Restaurants, die Essen übrighaben, können es über Apps verteilen. Wer nicht möchte, dass sein Auto ungenutzt in der Garage steht, kann es ebenfalls online zur Verfügung stellen. Die Geschäftsmodelle sind vielfältig.

    Manche dieser Internetplattformen sind eher altruistisch - das heißt, sie verdienen selbst nichts am Teilen. Couchsurfing ist dafür ein Beispiel. Dort bieten Menschen Reisenden Übernachtungsmöglichkeiten an. Kostenlos. Andere Anbieter wie zum Beispiel der Fahrdienst Uber oder der Ferienwohnungs-Vermittler Airbnb sind dagegen sehr auf Profit ausgerichtet. Wer dort sein Eigentum mit anderen teilt, bekommt zum einen Geld und muss zum anderen eine relativ hohe Provision an die Plattformbetreiber abführen. Dazwischen gibt es mehrere Abstufungen. Allen Angeboten ist aber gemein, dass sie Privateigentum für viele nutzbar machen, erklärt Veit. Bei Modellen wie dem Car-Sharing, dem Mieten von Waschmaschinen oder Babykleidung sprechen die Forscher deshalb eher von kollaborativer Nutzung. Das heißt, ein Unternehmen stellt ein Produkt zur Verfügung, das viele Menschen gegen Geld nutzen können. Für den Nutzer ist der Effekt jedoch ähnlich wie den bei anderen Geschäftsmodellen: Er kauft sich nichts, er leiht es nur.

    Wie nachhaltig ist die Sharing Economy?

    Die Frage ist: Was passiert, wenn wirklich mehr geteilt wird? Macht das den Konsum überflüssig, kauft dann niemand mehr ein? Und wird das wirklich für alle billiger? Veit ist sich da nicht so sicher. Zwar sei der Grundgedanke der Sharing Economy, dass jeder auch mit wenig Einkommen am Wohlstand teilhaben kann. Doch die Folgen des Teilens können ganz anders aussehen. "Wenn ein Autohersteller weniger Autos produziert, muss er seine Fixkosten auf weniger produzierte Güter umlegen. Das heißt, das Auto wird teurer." Irgendwann wäre es sogar so teuer, dass es genauso viel kosten würde, dann ein Auto zu leihen wie jetzt eines zu besitzen. Das gilt nicht nur für Autos. Diese Regel gilt für alle Dinge, die überwiegend verliehen werden. Auf lange Sicht, davon ist Veit überzeugt, werden sie teuer.

    Dazu kommen andere Folgen für die Wirtschaft: Wenn weniger produziert wird, brauchen Firmen weniger Angestellte, die Arbeitslosigkeit steigt, das verfügbare Einkommen sinkt. "Aber das sind langfristige Folgen. Erst einmal ist Teilen günstiger", sagt er. Zunächst einmal profitiert auch die Umwelt, weil weniger Ressourcen für die Produktion von Gütern verbraucht würden, sagt der Augsburger Professor. Doch das muss nicht so bleiben.

    Die US-Soziologin Juliet Schor hat etwa in einer Studie herausgefunden, dass Menschen, die Airbnb nutzen, häufiger verreisen, weil die Zimmerpreise so günstig sind. In einer Analyse des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags zur Sharing Economy ist zu lesen, dass der Markteintritt von Uber auf den New Yorker Taxi-Markt die Taxifahrten innerhalb von zwei Jahren um zwei Millionen hat anwachsen lassen. Weil sie günstiger wurden. In beiden Fällen spricht die Wissenschaft von einem sogenannten Rebound-Effekt. Er lässt sich häufig beobachten, wenn etwas vermeintlich nachhaltiger wird und bezeichnet das Phänomen, dass die freigewordenen Ressourcen nicht ungenutzt bleiben. Sie werden stattdessen einfach durch neue Dinge aufgebraucht. Wer weniger bezahlt, spart das Geld nicht, er gibt es für neue Dinge aus. Auch das könnte also ein Effekt der Sharing Economy sein.

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    Alle Texte aus unserer Themenwoche Konsum finden Sie hier.

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