Welche Jeans soll ich denn nun kaufen? Diese Frage einer Studentin werden sich viele Verbraucher stellen. Die junge Frau fragte die Experten, die am Montagabend unter dem Titel „Textil – Mit fair geht mehr“ im Augsburger Textil- und Industriemuseum zusammenkamen, um exakt diese Problematik zu erörtern. Auf dem Podium saß auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. Denn der CSU-Politiker will vor allem den Kunden beim Kleiderkauf helfen, denen wie der Studentin soziale und ökologische Kriterien wichtig sind, die aber den Überblick in dem Siegel-Dschungel längst verloren haben. Müller plant daher ein neues, einheitliches Siegel.
Textilbündnis setzt sich für "faire Kleidung" ein
Teurer, das betonte der Minister immer wieder an diesem Abend, der von seinem Ministerium in Kooperation mit unserer Zeitung veranstaltet wurde, würde Kleidung dadurch nicht werden. Aber eben fairer. Denn wie könne es sein, dass wir beispielsweise bei einem Besuch im Augsburger Textilmuseum über die Arbeitsbedingungen in den Augsburger Textilfabriken des 19. Jahrhunderts den Kopf schütteln, die aktuelle Ausbeutung im Ausland aber hinnehmen. Unsere Probleme von früher hätten wir einfach in Länder wie Bangladesch, Kambodscha, Äthiopien exportiert. Für Müller, das wurde deutlich, ist das kein Weg. Er setzt auf Verantwortung – bei den Unternehmern, den Händlern und den Kunden.
Und Müller hat offenbar für seinen Pläne schon viele Mitstreiter gefunden: Über 70 Vertreter aus der Textilwirtschaft, den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft bildeten ein Textilbündnis. Dieses Bündnis habe die gesamte Lieferkette im Blick – von der Baumwolle bis zum Bügel. Bügeltechnik ist das Gebiet von Günter Veit. Der Landsberger Unternehmer unterstützt Müller. Denn Veit ist sich sicher, dass ein neues, vertrauenswürdiges Label bei der Orientierung helfen kann.
Die Kontrolle der Qualität scheint schwierig
Und Orientierung ist seiner Meinung nach nötig. Denn viele Kunden wüssten leider nicht mehr, wie Qualität aussieht und sich anfühlt. Daher berichtete Veit auf dem Podium nicht nur aus eigener Erfahrung über die katastrophalen Zuständen in vielen ausländischen Textilfabriken. Er appellierte vor allem an die Kunden, nicht auf Quantität – also nicht auf 100 Jeans im Jahr – sondern auf Qualität zu setzen. Denn es seien die Kunden im Westen, die Qualität in der Branche erzwingen könnten. Und es sind drei Qualitätskriterien, die Veit für entscheidend hält: Keine gesundheitsschädlichen Stoffe in der Kleidung, faire Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von Umweltstandards.
Die Textilindustrie in Bangladesch
Kleidung ist Bangladeschs Hauptexportgut. 79 Prozent der Ausfuhren sind Textilien, die vor allem nach Europa und in die USA geliefert werden. «Made in Bangladesh» steht auch auf zahlreichen T-Shirts, Hemden, Blusen und Unterwäsche, die es in Deutschland zu kaufen gibt. Das südostasiatische Land war 2011 der viertgrößte Lieferant von Textilien für die Bundesrepublik.
Obwohl Bangladesch in den vergangenen zwei Jahrzehnten Fortschritte gemacht hat, ist es noch immer ein Entwicklungsland. Fast ein Drittel der 164 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze von 1,25 US-Dollar. Viele Menschen sind unterernährt.
Die niedrigen Lohnkosten in Bangladesch haben dazu geführt, dass viele Unternehmen in den vergangenen Jahren das Land als Produktionsstandort für Textilien entdeckten. Derzeit gibt es mindestens 5000 Textilfabriken mit mehreren Millionen Beschäftigten, die meisten davon junge Frauen.
Die Arbeits- und Sozialstandards werden von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) immer wieder kritisiert. So würden keine Frauen über 30 in den Fabriken beschäftigt, da sie die 13- bis 16-Stunden-Schichten nicht schafften. Gewerkschaften würden nur selten toleriert. Außerdem gebe es kaum Kontrollen, sodass der Arbeitsschutz nicht gewährleistet sei.
Doch einfach wird es nicht, diese Qualitätskriterien in einem neuen Siegel festzuzurren und vor allem zu kontrollieren. Das wurde in der Diskussion deutlich, die Stefan Stahl, Leiter der Wirtschaftsredaktion unserer Zeitung, moderierte und zu der viele unserer Leser eingeladen waren. Der Augsburger Textil- und Immobilienunternehmer Christian Dierig etwa ist skeptisch.
Standards müssten international gelten
Dierig, der seine Bettwäsche in Europa nähen lässt, unterstützt zwar den Vorstoß von Müller. Er betonte aber, wie komplex der Textilherstellungsprozess ist. „Und jedes Siegel ist nur so gut wie das Schwert, das es verteidigt.“ Auf seinen vielen Reisen hat Dierig feststellen müssen: „Unser Idealismus stößt an Grenzen.“ Auch dürfe nicht vergessen werden: „Deutschland ist eine Mickey Maus“ im Netz der internationalen Textilindustrie. Und Deutschland ist ein Land, in dem es den meisten Menschen gut gehe. Hier könnten sich Menschen über Umweltstandards Gedanken machen.
In armen Ländern sei das häufig nicht so. Hinzu komme die Korruption in vielen dieser Länder. Und auch die Rolle der Händler, der Unternehmer selbst, beleuchtete Dierig kritisch: So stehe Bangladesch, nachdem die Textilfabrik so viele Menschen unter sich begraben hat, im medialen Fokus. Dieses Land verlassen dann einfach viele Hersteller und Händler. „Sie ziehen weiter.“ Etwa nach Äthiopien. Und dort würden eben um die Fabriken noch höhere Zäune gebaut, damit die Presse nicht reinkomme. Für Dierig steht fest: So gut der Ansatz von Minister Müller auch sei, entscheidende Veränderungen könnten erst gelingen, wenn die Standards international eingehalten werden.
Materialien aus Region fördere regionale Wirtschaftskreislauf
Und festgeschrieben sind all die Standards längst. Darauf machte auch die Augsburger Unternehmerin Sina Trinkwalder aufmerksam. Aber sie würden oft einfach unterlaufen. „Standards sind geduldig“, erklärte Trinkwalder, die mit ihrem Unternehmen Manomama wieder ein Stück Textilproduktion nach Augsburg zurückgeholt hat, indem sie aus dem Nichts rund 150 Arbeitsplätze geschaffen hat.
Die Textilunternehmerin verfolgt einen anderen Ansatz: „Nur wenn wir möglichst viel vor Ort produzieren und auch einfache Arbeiten anbieten, können wir den regionalen Wirtschaftskreislauf in Schwung halten.“ Trinkwalder setzt auf Rohstoffe aus der Region. Das gebe es ja. Aber heute sei es üblich, für die Wertschöpfungskette einmal um den Globus zu gehen. Der Grund liegt für Trinkwalder auf der Hand: „Es ist die Gier.“ Sie habe den Kreislauf, dass immer mehr Menschen immer mehr Klamotten wollen, aber nicht mehr Geld haben und die Klamotten daher immer billiger werden müssen, durchbrochen. Und eine „Augschburgdenim“, also eine Jeans, hat sie auch im Angebot. (AZ)