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Sondierungen: Wie die Ampel ihren Finanzstreit lösen kann

Sondierungen

Wie die Ampel ihren Finanzstreit lösen kann

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    Die Finanzen sind für die möglichen Ampel-Chefs der härteste Brocken der Sondierungen: Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD).
    Die Finanzen sind für die möglichen Ampel-Chefs der härteste Brocken der Sondierungen: Christian Lindner (FDP), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD). Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Kann, wenn es ums Geld geht, eine Freundschaft beginnen? Noch dazu, wenn es sich um hunderte Milliarden Euro dreht und um scheinbar unversöhnliche Grundpositionen über die Rolle von Staat und Privatwirtschaft oder das Schuldenmachen? Diese heiklen Fragen entscheiden dieser Tage und Wochen darüber, wie Deutschlands zukünftige Bundesregierung und mit ihr die Politik der kommenden Jahre aussehen wird.

    Denn bei den Verhandlungen von SPD, Grünen und FDP über einer Ampel-Koalition prallen in der Finanzpolitik die Gegensätze besonders hart aufeinander. Die Steuerpolitik dürfte dabei viele Bürgerinnen und Bürger besonders interessieren.

    Rekordschulden belasten den Neustart der Regierung

    Der Finanzbedarf des Staates stellt sich angesichts der Klima- und Corona-Krise als gewaltig dar. Der mögliche neue Bundeskanzler Olaf Scholz hat als Finanzminister so viele Schulden gemacht wie keiner seiner Vorgänger in so kurzer Zeit: Die Abmilderung der Corona-Folgen auf Wirtschaft und Gesellschaft schlägt bislang mit 470 Milliarden Euro zu Buche. Auch für das kommende Jahr fehlen weitere 100 Milliarden Euro in der Kasse.

    Wie wollen SPD, Grüne und FDP da ihre Wahlversprechen erfüllen, Milliardensummen für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft und mehr Digitalisierung auszugeben und gleichzeitig kleine und mittlere Einkommen zu entlasten? Und ohne die Steuern zu erhöhen, wie es die Liberalen zur Bedingung machen? Wenn es nach der heute pragmatisch statt ideologisch denkenden Ökonomen-Generation geht, sind die Probleme der Ampel-Verhandlungstruppe zwar groß, aber lösbar.

    Ifo-Chef schlägt große Rücklage und danach Schuldenbremse vor

    Ifo-Chef Clemens Fuest präsentierte am Wochenende in derin der Frankfurter Allgemeinenschon mal einen Vermittlungsvorschlag für das leidige Thema Schuldenbremse. Das von SPD und Grünen ungeliebte und von der FDP verteidigte Instrument solle ab 2023 tatsächlich wieder eingehalten werden, aber davor sollte 2022 noch mal aus dem Vollen geschöpft werden: Fuest schlägt vor, eine gewaltige Rücklage für die nötigen Klima- und Zukunftsinvestitionen für die kommenden Jahre zu bilden.

    „Das ganze Paket wäre so etwas wie ein Businessplan für eine digitale und grüne Transformation, den die neue Koalition den Bürgern vorlegt“, erklärt er und schlägt noch ein paar Sicherungsmechanismen vor, damit das Geld in die richtigen Bahnen gelenkt wird.

    Steuerreform nach Ifo-Konzept soll 400.000 Arbeitsplätze bringen

    Schneller und direkter für die arbeitende Bevölkerung könnte sich Fuests weiterer Kompromissvorschlag dieser Woche für die Berliner Ampel-Runde auswirken: eine mehrteilige Steuerreform, die diesen Namen verdienen würde. Sie böte tatsächlich für jede der drei Parteien neben einigen bitteren Pillen die Erfüllung wichtiger Wahlversprechen. Vor allem aber soll sie sich positiv auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft auswirken.

    Einen massiven Beschäftigungseffekt verspricht sich Fuest von einer pragmatischen Reform der Einkommensteuer und einiger Hartz-IV-Regeln. Dabei geht es nicht nur um die – von allen Parteien vor der Wahl versprochenen – steuerliche Entlastung der Mittelschicht und Familien, sondern auch darum, Regelungen abzubauen, die Hunderttausende bremsen, mehr zu arbeiten. Fuest kritisiert zum Beispiel die „Teilzeitfalle“, die viele verheiratete Frauen trifft, aber auch viele Hart-IV-Empfänger, die hinzuverdienen möchten. „Hier gibt es Bereiche, bei denen man, wenn man einen Euro mehr verdient, am Ende netto weniger Geld hat“, kritisiert der Ökonom. Im Hartz-System sollen deshalb maximal 60 Prozent beim Hinzuverdienst abgezogen werden.

    Neues Ehegattensplittung kann neue Beschäftigungsanreize setzen

    Ebenso schlägt Fuest vor, das Ehegattensplitting neu zu regeln. Bislang wird das Einkommen beider Partner zusammengezählt und durch zwei geteilt. Davon profitieren besonders Ehepaare mit einem gut verdienenden und einem weniger verdienenden Partner. In der Praxis führt dies dazu, dass vor allem Frauen in wirtschaftliche Abhängigkeit geraten, weil Beschäftigungsverhältnisse für sie weniger attraktiv werden.

    Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts.
    Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Fuest schlägt vor, dass künftig bei einem „Ehegattenrealsplitting“ auf das Haupteinkommen nur der Unterhaltsfreibetrag zusätzlich angerechnet werden kann, derzeit knapp 14.000 Euro. „Der Unterschied von Verheirateten zu Unverheirateten ist ja, dass sie gegenseitig Unterhaltspflichten haben“, betont er. Zusammen mit der Entlastung unterer und mittlerer Einkommen von bis zu 565 Euro im Jahr verspricht sich Fuest durch diese positiven Arbeitsanreize einen kleinen Beschäftigungsboom mit 400.000 neuen Arbeitsplätzen.

    Soli abschaffen aber Spitzensteuersätzen anpassen

    „Die Hauptmotivation ist, die wirtschaftliche Erholung zu fördern und zu Wachstum zu kommen, dafür braucht man mehr Beschäftigung und mehr Investitionen“, sagt Fuest. Den Solidaritätszuschlag will der Ökonom zwar abschaffen, aber zugleich den Spitzensteuersatz von 42 auf 44 Prozent und den „Reichensteuersatz“ von 45 auf 47 Prozent anheben.

    Dies, sagt er mit Blick auf die FDP, sei keine Steuererhöhung, da die Belastung damit ohne Soli gleich bleibe. Dagegen profitierten untere und mittlere Einkommen besonders von höheren Freibeträgen. „400.000 Arbeitsplätze mehr, ohne dass es den Staat etwas kostet und ohne dass Ungleichheit zunimmt, das kann man eigentlich nur kaufen“, wirbt der Ökonom.

    Kürzere Abschreibungen sind laut Fuest der längste Hebel

    Den Hebel für die Klima- und Wachstumspolitik sieht Fuest bei besseren Abschreibungsmöglichkeiten. Denn 85 Prozent aller Investitionen werden nicht vom Staat, sondern von der Privatwirtschaft getätigt. „Die Musik spielt bei den privaten Investitionen“, betont er. Den größten steuerpolitischen Effekt habe es deshalb, den Abschreibungszeitraum für Investitionen von zehn auf vier Jahre zu verkürzen. Dies koste zwar anfangs den Staat Geld, doch langfristig - nach fünf bis acht Jahren – stiegen die Steuereinnahmen durch den Wachstumseffekt an, der zugleich zu höheren Löhnen und Privatkonsum führen werde, verspricht Fuest.

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