Peter Breiter müsste mal wieder sauber machen. Er steht in seiner Bank, blickt auf den Boden, die braunen Fliesen, den gestreiften Teppich. Zuletzt hat es geschneit und geregnet, die Kunden haben noch den Winter an den Schuhen. Breiter spricht davon, dass er „dringend nass rauswischen“ muss. Er zuckt mit den Schultern. Putzen gehört nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, er ist kein Ordnungsfanatiker. Aber manche Dinge, sagt er, müssen eben sein.
Breiter ist ein zurückhaltender Mann, 46 Jahre, graues Sweatshirt, die Haare sehr kurz und weiß. Banker stellt man sich irgendwie anders vor. Wenn man ihm eine Frage stellt, blickt er manchmal nach unten und lächelt, bevor er zu einer Antwort ansetzt. Er lebt in Gammesfeld, einem Gemeindeteil von Blaufelden im Nordosten Baden-Württembergs. Am Ortseingang wirbt ein Schild für ein Neubaugebiet, es gibt eine Kirche, einen Edeka-Markt und die Dorfattraktion: Breiters Arbeitsplatz, die kleinste Raiffeisenbank Deutschlands. Er ist einziger Angestellter, zugleich Vorstand, Sachbearbeiter, manchmal auch Putzmann. Neben ihm gibt es nur noch nebenamtliche Vorstandsmitglieder und einen Aufsichtsrat.
Dies ist ein Ort, an dem das Bankwesen noch fast so wirkt wie zur Zeit Friedrich Wilhelm Raiffeisens: überschaubar, bodenständig. Hinter der Tür hängt ein Porträt des Mannes, ohne den Breiter hier nicht stehen würde: Raiffeisen, Sozialreformer aus dem Westerwald und Vater der Genossenschaften. Er wurde vor genau 200 Jahren geboren. Der Geburtstag wird überall im Land groß begangen, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist Schirmherr der Jubiläumskampagne.
Hier sieht alles so aus wie in früheren Zeiten
Die Bank ist in einem grün-orangefarbenen Zweckbau untergebracht. Darin: ein winziger Vorraum, Stühle, ein Tisch, auf der Fensterbank ein paar Gläser Honig, die Breiter für den örtlichen Imker verkauft. Alles hier sieht fast so aus wie vor zehn Jahren, als Breiter die Bank von seinem Vorgänger übernommen hat: ein lang gezogener Raum, viel Holz, vorne der Schalter, an den Wänden stehen Regale mit Aktenordnern, ganz hinten hängt ein Waschbecken, daneben der Tresor, grau und massiv.
Die knapp 1000 Kunden kommen ausschließlich aus dem Dorf oder sind ehemalige Einwohner, Fremde dürfen kein Konto eröffnen. Online-Banking gibt es nicht, auch keine EC-Karten. Wer Geld braucht, holt es direkt bei Peter Breiter in der Filiale. Kontoauszüge schreibt der Bank-Vorstand per Hand, Überweisungen tippt er auf einer alten Adler-Schreibmaschine.
Es ist eine Welt, die vor einigen Jahrzehnten noch ganz alltäglich war. Heute wirkt sie aus der Zeit gefallen. Und doch oder gerade deswegen ist die Bank eine kleine Sehenswürdigkeit. Ein Filmemacher war hier, Reporter, manchmal Reisegruppen, ganze Busladungen voll. Und immer wieder kommen Menschen, die ein Konto eröffnen wollen. Das liegt auch an Fritz Vogt, Breiters Vorgänger. Vogt war 1990 bis vors Bundesverwaltungsgericht gezogen, weil die Bankenaufsicht das Prinzip der Ein-Mann-Bank verbieten wollte. Er setzte sich durch – und war fortan bekannt als furchtloser Bankenrebell. Noch bis vor einigen Jahren saß er regelmäßig in Talkshows.
Während der Finanzkrise wurde es seinem Nachfolger aber fast ein wenig zu viel mit der Aufmerksamkeit. Ständig drängten Fremde Breiter am Telefon, ihr Geld in Gammesfeld anlegen zu dürfen. Ein Manager aus Stuttgart fuhr mit seinem Porsche vor, auf dem Beifahrersitz ein Koffer mit 200.000 Euro in bar. Breiter schickte ihn wieder weg.
Damals bot die Bank noch 3,5 Prozent Zinsen und – was noch wichtiger war – ein Gefühl von Sicherheit. Und das in einer Zeit, als in der Bankenwelt ziemlich wenig sicher schien. Peter Breiter ist seitdem so etwas wie der Gegenentwurf zum gierigen Banker, die Kleinbank die Alternative zum internationalen Finanzkapitalismus.
Das große Vorbild wurde vor 200 Jahren geboren
Passt ja auch zum Grundprinzip der Genossenschaften: einer für alle, alle für einen. Nach dem Vorbild von Friedrich Wilhelm Raiffeisen schlossen sich seit dem 19. Jahrhundert Landwirte zusammen, Kaufleute – und Kleinsparer. Der Aufstieg der Genossenschaftsbanken gehört zu den großen deutschen Erfolgsgeschichten. Erspartes wurde zunächst vielerorts in Darlehensvereinen gebündelt. Aus dem angehäuften Kapital konnten Kredite gewährt werden, die den Grundstein für den Erfolg kleiner Kaufleute oder Handwerker legten. Hilfe zur Selbsthilfe, nannte Raiffeisen das.
Heute gibt es in Deutschland knapp 1000 Genossenschaftsbanken. Viele von ihnen sind besser durch die Krise gekommen als andere Banken, verzeichneten sogar einen Mitgliederzuwachs. Aber auch die Genossenschaftsbanken leiden unter den Problemen, die die meisten Geldhäuser haben: Strukturwandel, Regulierung und vor allem die Niedrigzinsen.
Peter Breiter, der Ein-Mann-Banker, lächelt ein wenig gequält, wenn man ihn darauf anspricht. „Ich denke nur von Jahr zu Jahr“, sagt er. Denn seine Zukunft ist alles andere als gewiss. Mit den Zinsen sind auch die Gewinne der Bank geschrumpft. Jedes Jahr bleibt weniger übrig. Breiter erzählt, dass viele Kunden ihn deshalb sogar drängen würden, Gebühren zu erheben. „Aber das will ich nicht“, sagt er. „Bei uns ist alles kostenlos.“
Breiter ist ein bescheidener Mann. Er kann maximal fünf Urlaubstage am Stück nehmen, in dieser Zeit springt ein Kollege der Nachbarbank ein. Als er vor zehn Jahren angefangen hat, wollte ihm der Aufsichtsrat 100.000 Euro gewähren, für neue Möbel, moderne Gardinen, einen frischen Anstrich. Er lehnte ab. „Damals wusste doch keiner, ob ich das als Vorstand überhaupt ordentlich mache“, sagt er. So viel Geld auszugeben, das sei ihm nicht recht erschienen.
Der Mann ist ohnehin zufrieden mit dem, was er hat. In seinem Büro stehen Arbeitsgeräte aus mehr als fünf Jahrzehnten. Die alte Rechenmaschine. Die Schreibmaschine. Vor einigen Jahren hat Breiter das Wählscheibentelefon gegen ein modernes Tastengerät ausgetauscht. Musste sein, sagt er. Denn Internet und Telefon hängen zusammen, und ohne Internet funktioniert auch in Gammesfeld heute nichts mehr. Wäre es nach ihm gegangen, sagt Breiter, hätte er das Drehscheibenmodell behalten. Er trennt sich nicht gern von Dingen – vielleicht auch, weil das bedeuten würde, einen Teil der Bank aufzugeben.
Eine Fusion? Breiter sagt: „Wir wären sofort tot“
Schon jetzt geht es in Gammesfeld vor allem darum, den Status quo zu bewahren. „Wir sind verwundet“, sagt Breiter. „Und irgendwann werden wir daran sterben.“ Zwei Sätze, die in ihrer Dramatik völlig ungewöhnlich für ihn sind. Umso eindringlicher klingen sie.
Es ist nicht etwa so, dass Breiter das Vertrauen in die Bank und die Idee dahinter verloren hätte. Aber die Welt um sie herum verändert sich rasant, schon jetzt kann die Einrichtung kaum noch Schritt halten. Zwar gibt es Internet, aber bis heute ist er nicht an das Online-System der Genossenschaftsbanken angeschlossen. Einfach zu teuer, sagt Peter Breiter. Um das zu finanzieren, müsste er die Kosten auf die Kunden umlegen, mit hohen Gebühren. Die meisten Gammesfelder haben woanders noch ein Zweitkonto. Weil sie eben doch ab und zu mal eine EC-Karte oder Kreditkarte brauchen – oder schnell Geld online überweisen wollen. Für alle anderen Kunden tippt Breiter oft stundenlang Überweisungen ab und verschickt sie per Post.
Die Arbeit ist mehr geworden in den vergangenen Jahren, auch weil durch die Bankenregulierung viel Bürokratie hinzugekommen ist. Regelmäßig nimmt Breiter den Laptop mit nach Hause, häufig sitzt er bis spätabends an seinem Schreibtisch. Bis vor einigen Jahren hatte er eine Freundin. Aber Bank und Beziehung, das hat irgendwann nicht mehr funktioniert.
Eine Fusion, wie es sie so oft gibt unter Banken, kommt für Breiter nicht infrage. „Wir wären sofort tot“, sagt er. Diese Bank sei nur im Mikrokosmos Gammesfeld überlebensfähig. Sie ist so unabhängig von allen anderen Raiffeisen-Instituten, dass man sie nirgendwo angliedern könnte. Die Konsequenz, glaubt Breiter, wäre eine Schließung.
Also macht er weiter, so lange es geht. Zahlt Geld aus, schreibt Kontoauszüge, tippt Überweisungen. Und greift, wenn es nötig wird, zu Eimer und Wischmopp. Denn manche Dinge, sagt Peter Breiter, müssen eben manchmal sein.