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Schlecker: Wo ist Anton Schlecker abgeblieben?

Schlecker

Wo ist Anton Schlecker abgeblieben?

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    Anton Schlecker, der Chef des Drogerie-Imperiums Schlecker: Ein Phantom, das kaum Spuren hinterlässt.
    Anton Schlecker, der Chef des Drogerie-Imperiums Schlecker: Ein Phantom, das kaum Spuren hinterlässt. Foto: Stefan Puchner dpa/lsw

    Am Rande eines Ehinger Wohngebietes soll er leben, herrschaftlich und abgeschottet. Das sagen Gewährsleute. Auch nach der Pleite seines Drogeriemarkt-Imperiums vor dreieinhalb Jahren habe Anton Schlecker seine Heimatstadt mit ihren gut 25 000 Einwohnern nicht verlassen. Dort, 30 Kilometer südwestlich von Ulm, muss einer der bekanntesten und doch unbekanntesten deutschen Unternehmer mit 70 Jahren versuchen, sein Scheitern zu begreifen. Doch wo ist der Mann, der nach einer Metzgerlehre einen Konzern mit über 50 000 Menschen geformt hat? Er wirkt unsichtbar. Er ist ein Phantom.

    Es gibt keine neuen Bilder von ihm. Immer noch bestimmen Aufnahmen, die 1999 entstanden, sein Bild. Sie zeigen einen keck in die Kameras blickenden schlanken Mann mit hoher Stirn und rötlich-blondem vollem Haar, das an den Schläfen angegraut ist. Der Unternehmer trägt ornamentartig verzierte bunte Hemden. Dann doch der Tipp eines Informanten: Schleckers Haar sei längst schlohweiß.

    Drogeriekette: Die Schlecker-Pleite in Zahlen

    25.000 Menschen kostete die Schlecker-Pleite den Job.

    50.000 Mitarbeiter hatte Schlecker zu Bestzeiten.

    9000 Schlecker-Märkte gab es vor der Insolvenz im In- und Ausland.

    Rund 1000 der insgesamt 6000 deutschen Schlecker-Filialen hätten nach Einschätzung von Verdi wiederbelebt werden können.

    Nur 73.000 Euro zahlte ein Hilfsfonds an Ex-Mitarbeiter.

    Eine Milliarde Euro forderten Gläubiger nach der Pleite.

    10,1 Millionen Euro zahlte Anton Schleckers Familie an die Insolvenzverwaltung.

    Und er soll einen weißen Porsche Cayenne mit den Initialien UL-AS-1944, seinem Geburtsjahr, gefahren haben. Hat er das Auto noch? Wer sich auf die Fersen des Journalisten-Meiders heftet, den führt der Weg irgendwann in das Ehinger Wohngebiet. Hier leben die Schleckers nach wie vor. Hier prallen Welten aufeinander.

    Anton Schleckers Grundstück wird gut bewacht

    Während auf der einen Straßenseite ein Mann mit Jogginghose, Muskelshirt und tätowiertem Oberarm im Vorgarten arbeitet, zieht sich gegenüber eine hohe, apricotfarbene Mauer, die neckisch mit einem Ziegeldächlein verziert ist, den Hügel hinauf. Dahinter hohe Bäume. Ein großer Besitz, etwa 250 Schritte lang und 75 breit. „Privatgrundstück. Betreten verboten“, steht dort. Natürlich gibt es kein Namensschild, dafür Kameras und das Bild zweier schraffierter, Rottweiler-artiger Hundeköpfe mit dem informativen Hinweis: „Hier wachen wir.“ Also besser nicht klingeln. Ein Tor wurde weiß-rosa gestrichen. Dient das der Tarnung? Kein Schlecker-Blau allerorten. Am Ende des Grundstücks erhebt sich ein Villen-Klotz, der besser nach Paris als Ehingen passt. Von hier aus erreicht Anton Schlecker in wenigen Minuten mit dem Auto den drei Kilometer entfernten früheren Konzernsitz. Den soll er nach wie vor regelmäßig ansteuern. Über die Tiefgarage kann Schlecker allein mit dem Aufzug in den siebten Stock und in das von der Familie angemietete wohl rund 300 Quadratmeter große Büro fahren.

    Schlecker - von der Pleite zum Ermittlungsverfahren

    Nach der Pleite der ehemals größten deutschen Drogeriemarktkette Schlecker wurden schwere Vorwürfe gegen den Firmengründer laut. Medien berichteten, womöglich sei viel Geld beiseitegeschafft und dem Zugriff der Gläubiger entzogen worden. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Anton Schlecker. Ein Überblick:

    23. Januar 2012: Anton Schlecker e.K., die Schlecker XL GmbH und die Schlecker Homeshopping GmbH melden Insolvenz an, später folgt die Schlecker-Tochter IhrPlatz Gmbh & Co. KG.

    1. Juni 2012: Die größten Gläubiger kommen in Berlin zusammen und stimmen für die Abwicklung des Unternehmens.

    4. Juni 2012: Die Schlecker-Insolvenzverwaltung will prüfen, wie viel Geld sie aus dem verbliebenen Vermögen der Familie Schlecker holen kann. Sollte Anton Schlecker nach dem Insolvenzrecht beanstandbares Vermögen an Angehörige übertragen haben, könne dies auf bis zu fünf Jahre zurück rückgebucht werden.

    5. Juni 2012: Bei einem Treffen in Ulm beschließt die Gläubigerversammlung das endgültige Aus von Schlecker. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz zufolge werden Forderungen in Höhe von 665 Millionen Euro angemeldet. Auch die Schlecker-Kinder Lars und Meike haben millionenschwere Forderungen: Meike Schlecker will 48,43 Millionen Euro und ihr Bruder 48,9 Millionen Euro, heißt es in der Forderungsliste.

    11. Juni 2012: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart will prüfen, ob die Unternehmenspleite mit möglichen Straftatbeständen in Verbindung steht.

    27. Juni 2012: Es wird bekannt, dass Anton Schlecker sein Privathaus im Wert von zwei Millionen Euro vor der Insolvenz an seine Frau übertragen hat. Ein weiteres Grundstück soll an seinen Sohn gegangen sein.

    8. Juli 2012: Frühere Berater werfen Anton Schlecker schwere Fehler vor. Der Unternehmer habe bei einem Restrukturierungsprogramm nicht über Finanzierungsfragen sprechen wollen. Außerdem habe er die Schließung unrentabler Filialen verhindert.

    18. Juli 2012: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Untreue, Insolvenzverschleppung und Bankrott gegen Anton Schlecker und 13 weitere Beschuldigte ein.

    Der frühere Drogeriemarkt-König thront immer noch in der Kommandozentrale. Wer in den Lift steigt, für den ist im sechsten Stock Endstation. Das Schild für die siebte Etage fehlt. Nur mit einem Schlüssel führt der Weg zum Schlecker-Rückzugsgebiet. Der aus mehreren glasverzierten Gebäudekomplexen bestehende frühere Firmensitz würde sich zumindest von außen gut in den USA als Headquarter von Apple oder Google machen. Hier hat der sonst radikal sparsame Unternehmer nicht an Protz gegeizt. Scheu wie er ist, lässt sich von innen die Welt prima sehen, von außen bleibt das Büroleben verborgen.

    Die Stadt konnte die Schlecker-Pleite gut wegstecken

    Drogeriekette: Das ist Schlecker

    Mit 21 Jahren, 1965, steigt der gelernte Metzgermeister Anton Schlecker in die väterliche Fleischwarenfabrik in Ehingen bei Ulm ein.

    Das Unternehmen erwirtschaftet damals mit 17 Metzgerei-Filialen nach eigenen Angaben einen Jahresumsatz von 7,2 Millionen Euro.

    Im gleichen Jahr gründet der Junior-Chef das erste Selbstbedienungs-Warenhaus am Rande der schwäbischen Stadt.

    Damit legt er die Basis für eine europaweit aufgestellte Drogeriemarktkette, zu der seit 2007 auch die Kette "Ihr Platz" gehört.

    Schlecker war mit etwa 10.000 Filialen, einem Umsatz von 7,42 Milliarden Euro und über 50.000 Beschäftigten Europas führender Drogeriemarkt-Unternehmer.

    Auch die deutschen Drogerieketten führte er an, gefolgt von dm und Rossmann.

    Im Januar 2012 geht Schlecker in die Insolvenz.

    Mai 2012: Schlecker wird zerschlagen. Für die insolvente Drogeriemarktkette sieht der Gläubigerausschuss "keine Perspektive" mehr.

    Im November 2017 wird Anton Schlecker wegen Bankrotts zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Seine Kinder erhalten Gefängnisstrafen.

    Derzeit stehen etwa 20 000 Quadratmeter Bürofläche leer. Eine Investorengemeinschaft hat das Objekt gekauft. Der Preis bleibt geheim. Die Stadt Ehingen hält 51 Prozent und hat mit Immobilien-Experten den Businesspark Ehingen Donau GmbH geformt. Die Verantwortlichen glauben, die Flächen vermieten zu können. Denn der wirtschaftliche Großraum boomt. Mit rund 2,5 Prozent ist die Arbeitslosenquote dort so niedrig wie in keiner anderen Region im Südwesten. Bürgermeister Alexander Baumann sagt: „Bei allen harten Einzelschicksalen konnte die Stadt die Schlecker-Pleite gut wegstecken.“ Allein im Raum Ehingen sollen rund 1000 Frauen und Männer für Schlecker gearbeitet haben. Und weil die neuen Eigentümer möglichst viele der Büros vermieten wollen, haben sie Journalisten eingeladen. Die sind jedoch vor allem daran interessiert, ein letztes Mal eine Reise in das Schleckerland anzutreten. So streifen sie über die in Blau gehaltenen Teppiche in den Fluren und suchen wie Archäologen nach letzten Hinterlassenschaften des Phantoms.

    In einer Ecke stehen Plastikstühle – natürlich in Blau. An einer Wand hängt eine Europakarte mit den früheren Logistikstandorten. Im Gang liegen in Blau-Weiß verpackte Stapel mit Mahnschreiben-Vordrucken des Unternehmens, dem irgendwann selbst das Geld ausging. Von der Decke hängt ein Schild mit der Aufschrift „Zentraleinkauf“. Was für eine jegliche Raffinesse vermissen lassende Schrift, ganz dem Wesen des einstigen Chefs entsprechend! Und natürlich weit und breit kein Anton Schlecker. Nur an den Wänden der Flure bleibt er einstweilen verewigt. Dort hängen Fotos von Löwen, Zebras oder Krokodilen. Er soll sie bei einer Safari gemacht haben. Auch im Foyer hat der Schwabe seine Spuren mit Kunstkäufen hinterlassen. Ein Bild zeigt ein in Einzelteile zerlegtes und damit schießunfähiges Gewehr.

    Ist Schlecker gar Pazifist? Es wird wohl sein Geheimnis bleiben. Am Ende keimt doch Hoffnung auf, ihn zu sehen. Im siebten Stock ist ein Fenster weit geöffnet. Zeigt er sich mit schlohweißem Haar? Natürlich nicht. Das Fenster wird zugezogen. Schlecker bleibt ein Phantom.

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