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Archiv: Das war das letzte große Interview mit Rupert Stadler vor seiner Haft

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Das war das letzte große Interview mit Rupert Stadler vor seiner Haft

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    Der damalige Audi-Chef Rupert Stadler sprach im Mai 2018 mit uns ausführlich über die Diesel-Krise - und wies zurück, von Manipulationen gewusst zu haben.
    Der damalige Audi-Chef Rupert Stadler sprach im Mai 2018 mit uns ausführlich über die Diesel-Krise - und wies zurück, von Manipulationen gewusst zu haben. Foto: Ulrich Wagner

    Die Staatsanwaltschaft München hat am Mittwoch Anklage gegen den früheren Audi-Chef Rupert StadlerStadler erhoben. Ihm wird im Diesel-Skandal vorgeworfen, früh von den Manipulationen gewusst zu haben.

    Im Mai 2018 hatte Stadler in einem Interview mit unserer Redaktion noch beteuert, die Tricksereien seien ihm nicht bekannt gewesen. Es war das letzte Mal, dass sich der damalige Audi-Chef öffentlich dazu äußerte. Einen Monat später wurde er verhaftet und saß für vier Monate im Gefängnis Augsburg-Gablingen. Im Herbst kam er gegen Auflagen frei.

    Die Staatsanwaltschaft München wirft Stadler in der Anklage jetzt unter anderem Betrug vor. Wie er das in seinem Interview noch zurückgewiesen hatte, lesen Sie hier:

    Hier lesen Sie unser Interview mit Rupert Stadler aus dem Mai 2018:

    Warum haben Sie nicht die Kanzlerin auf ihrer China-Reise begleitet, wo der Markt für Audi doch so wichtig ist?

    Rupert Stadler: Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess nimmt teil und ich kann Ihnen deshalb in Ingolstadt dieses Interview geben.

    Auf Ihrem wichtigsten Einzelmarkt in China tobt ein harter Preis-Wettbewerb. Wie behauptet sich Audi dort?

    Stadler: Wir sind bereits seit über 30 Jahren im Geschäft und waren auch im vergangenen Jahr wieder Marktführer im Premiumsegment. Daher kennen wir den Markt sehr genau und stellen fest, dass er zunehmend reift. Das bringt vor allem im Massenmarkt einen Absatz- und Preisdruck mit sich, wie wir ihn aus anderen Märkten schon lange kennen. Inzwischen sind auch chinesische Anbieter in der Lage, gute Autos zu fertigen. China ist und bleibt der weltweit größte Einzelmarkt. Man spürt das Tempo, in dem sich dort Veränderungen vollziehen. Die chinesische Regierung hat klar festgelegt, wie hoch die Rate der Elektroautos in den nächsten Jahren sein soll. Da kämpft jeder um seinen Platz. Wir kennen einen solchen beinharten Wettbewerb aus den USA. Für schwache Marken wird der chinesische Markt härter.

    Wird Audi in China weiter stürmisch wachsen?

    Stadler: Der chinesische Markt wird weiter wachsen. Pro Jahr werden hier 25 Millionen Autos verkauft, davon etwa zehn Prozent Premiumfahrzeuge. In den nächsten zehn Jahren wird die Nachfrage nach solchen Premiumfahrzeugen in China von heute 2,5 Millionen auf drei bis vier Millionen steigen. In China steigt der Wohlstand. Es entsteht eine Mittelschicht. Das wird dazu führen, dass wir im Premiumbereich mehr Wettbewerber sehen werden und trotzdem weiter wachsen können.

    Viele deutsche Unternehmen klagen, dass die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern schwieriger geworden ist. Spüren Sie das?

    Stadler: Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern läuft gut und auf Augenhöhe. Natürlich ist das Selbstbewusstsein der chinesischen Partner deutlich gestiegen. Hier hat auch ein enormer Kompetenzaufbau stattgefunden. Gerade in Sachen Digitalisierung stehen die Chinesen weltweit an der Spitze. Wir verkaufen heute rund 600.000 Fahrzeuge pro Jahr in China. Das sind gut 30 Prozent unseres weltweiten Absatzes. Dieses Volumen wollen wir bis 2023 verdoppeln.

    Können Sie eigentlich im Zuge der Diesel-Affäre noch in die USA reisen? Ex-VW-Chef Winterkorn droht dort ja die Verhaftung?

    Stadler: Das ist bei mir nicht der Fall.

    Reisen Sie auch in die USA?

    Stadler: Natürlich, immer wenn es meine Agenda erfordert.

    Wann ist die Diesel-Affäre ausgestanden?

    Stadler: Die Diesel-Krise ist noch nicht vorbei. Durch eine maximal lückenlose Aufklärung, wie wir sie betreiben, stoßen wir immer noch auf Auffälligkeiten, die wir unverzüglich den Behörden melden. In der Öffentlichkeit entsteht so nachvollziehbarerweise der Eindruck: Die kommen nie zu Potte. Aber dem ist nicht so: Neue Rückrufe sind nicht die Folge von Untätigkeit, sondern im Gegenteil das Ergebnis konsequenter Aufklärung.

    Wann können Sie wieder ruhig schlafen?

    Stadler: Sobald all diese Themen maximal aufgeklärt sind.

    Warum ist das immer noch nicht der Fall? Haben Sie am Anfang der Affäre nicht entschieden genug aufgeklärt?

    Stadler: Nein. Wir haben uns vom ersten Tag an entschlossen an die Arbeit gemacht. Doch es ist ein hochkomplexes Thema, aus hunderttausenden von Software-Codes für jede Motor-Getriebe-Variante zulässige von unzulässigen Funktionen zu differenzieren. Das ist, wie die berühmte Nadel im Heuhaufen zu finden.

    Besonders misslich für Sie war, dass auch beim gerne als Dienstauto eingesetzten A6 die Software manipuliert wurde. War das wirklich nur die Folge eines „Arbeitsfehlers in einer Fachabteilung“, wie Audi erklärt hat?

    Stadler: Ja, dieser Software-Baustein hätte im A6 nichts mehr zu suchen gehabt.

    Haben Sie die Manipulations-Software einfach übersehen? Ist das ein Altfall?

    Stadler: Solche Software-Bausteine wurden offenbar aus früheren Programmcodes in neuere Versionen übernommen. Wir haben beim A6 trotz aller Tests zunächst keine Unregelmäßigkeiten bemerkt. Erst eine vertiefte Analyse hat den Fehler zutage gefördert.

    Audi lieferte solche Motoren ja auch an die Schwester-Marke Porsche.

    Stadler: Wir gehen damit professionell um. Das Verhältnis zu Porsche ist weiter kollegial. Da gibt es keine Häme. Natürlich kann jedem mal der Kragen platzen. Wir haben ein gemeinsames Interesse, wir wollen die Sache aufklären. Das ist unser Job.

    Bei all diesen Software-Merkwürdigkeiten wäre es doch vernünftig, einfach die Hardware von Problem-Dieseln nachzurüsten. Warum sträuben Sie sich so dagegen?

    Stadler: Solche Hardware-Nachrüstungen sind sehr schwer umzusetzen. So muss man im Kofferraum erst mal schauen, ob der nötige Raum vorhanden ist, zum Beispiel, ob sich die Mulde für das Reserverad eignet, um einen AdBlue-Tank zur Reinigung von Stickoxiden nachzurüsten. Und so eine AdBlue-Anlage muss beheizt werden, weil sie auch bei tiefen Minustemperaturen im Winter funktionieren muss. Dann muss das System in die Motorsteuerung integriert werden, mittels Kabeln und Software. Dazu muss man Löcher in die Karosserie bohren. Das will eigentlich kein Kunde, könnte doch so Rost entstehen. Das muss dann intensiv erprobt und auch noch von den Zulassungsbehörden freigegeben werden. Erst in zweieinhalb bis drei Jahren würde sich so ein aufwendiger Umbau überhaupt positiv auf die Umwelt auswirken. Software-Updates greifen viel schneller.

    Und sie sind natürlich auch viel billiger für Audi. Doch das Umweltbundesamt hat errechnet, dass Hardware-Nachrüstungen nicht 5000 Euro, wie von der Industrie behauptet, kosten müssen. Es gehe auch für die Hälfte.

    Stadler: Diese Pauschalierung ist unseriös. Das ist für jedes Modell und jede Motor-Getriebe-Kombination anders. Deshalb kursieren da auch so viele Zahlen.

    Wäre es nicht an der Zeit, einen neuen Diesel-Gipfel einzuberufen, um für bessere Luft in den Städten zu sorgen?

    Stadler: Ja. Das wäre auch sinnvoll, um das Thema zu versachlichen. Wir müssen verhindern, dass wir in Deutschland einen Flickenteppich an Regelungen bekommen, wo hier diese und dort jene Straße für bestimmte alte Dieselfahrzeuge gesperrt ist. Wir sollten konzertiert etwas tun, nicht das eine in Stadt A und jenes in Stadt B.

    Was halten Sie vom Augsburger Modell, den Nahverkehr in der Innenstadt kostenlos zu machen?

    Stadler: Ich weiß nicht, ob man damit den Individualverkehr spürbar besser steuern kann. Ich glaube, dass es sinnvoller wäre, sich zu überlegen, wie man den öffentlichen Busverkehr in den Städten schneller elektrifizieren kann.

    Wie sehr schmerzt es Sie, dass Daimler und BMW Audi, was die Verkaufszahlen betrifft, so wegziehen?

    Stadler: Wir haben sehr schwierige zweieinhalb Jahre hinter uns. Aber wir haben in dieser Zeit viel getan und eine ganze Reihe von Entscheidungen auf den Weg gebracht, um Audi für die Zukunft auszurichten. Wir werden in diesem und im kommenden Jahr mit der größten Produkt-Offensive in unserer Geschichte punkten. Und wir wollen im Premium-Elektro-Bereich die Nummer eins werden. Bis 2025 werden ein Drittel unserer verkauften Autos voll- oder teilelektrisch fahren.

    Warum halten Sie sich trotz der Diesel-Affäre immer noch im Amt? Viele andere Manager aus dem VW-Imperium mussten ja gehen.

    Stadler: Die letzten zweieinhalb Jahre haben uns viel abverlangt. Allen Audianern, aber auch meiner Familie und mir. Ich fühle Verantwortung, und solange ich die volle Unterstützung aus dem Aufsichtsrat und meiner Führungsmannschaft habe, nehme ich diese Verantwortung wahr, löse das Problem und führe das Unternehmen in die Zukunft. Das mache ich mit tiefster Überzeugung und viel Leidenschaft. Natürlich gibt es schwere Phasen. Aber ich bin nicht der Typ, der die Flinte ins Korn wirft.

    Harte Zeiten gab es auch früher für Sie, etwa als Sie in Spanien gearbeitet haben und Mitarbeiter entlassen mussten. Sie haben sich damals geschworen, so etwas nie wieder zu machen.

    Stadler: Ein Manager trägt eine hohe Verantwortung. Er sollte ein Unternehmen so voranbringen, dass die Beschäftigten langfristig einen sicheren Arbeitsplatz haben. Auch wir bei Audi stehen durch die Digitalisierung und Elektrifizierung vor enormen Herausforderungen. Deshalb haben wir unser Aus- und Weiterbildungsbudget für die kommenden Jahre auf eine halbe Milliarde Euro aufgestockt. Wir müssen die Mannschaft für die bevorstehenden Veränderungen motivieren und mitnehmen. Bei Audi gibt es trotz Krise eine Beschäftigungsgarantie bis 2025. Wir müssen aber dicke Bretter bohren. Die Zusammensetzung unserer Mannschaft wird sich verändern. Wir brauchen beispielsweise mehr Software-Ingenieure und Batterie-Chemiker. Andere Tätigkeiten werden dafür im Laufe der Zeit entfallen.

    Versuchen Sie auch über 2025 hinaus, die Zahl von 44.000 Arbeitsplätzen in Ingolstadt zu halten?

    Stadler: Heute verkaufen wir pro Jahr knapp 1,9 Millionen Autos. Wir wollen den Absatz mittelfristig deutlich erhöhen, auf etwa 2,5 Millionen. Wenn uns das gelingt, dann werden alle Audianer in Ingolstadt und Neckarsulm davon profitieren.

    Das Münchner Ifo-Institut hat Ingolstadt bescheinigt, dass dort die Beschäftigten die höchste Wirtschaftsleistung in Deutschland erzielen. Ist das der Audi-Effekt?

    Stadler: Fest steht, dass unser Standort in den vergangenen Jahrzehnten stürmisch gewachsen ist. Das ist ein gutes Zeichen. Das Unternehmen und die Marke haben eine tolle Perspektive. Wir haben kräftig an unseren deutschen Standorten in Ingolstadt und Neckarsulm investiert. Darauf dürfen wir stolz sein.

    Diese hohe Ingolstädter Produktivität hat aber auch ihren Preis.

    Stadler: Produktivität ist uns hier sehr vertraut, denn wir stehen im weltweiten Wettbewerb. Sie ist die Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und damit Wachstum. Eine maximale Flexibilität in der Fertigung und eine hohe Auslastung bieten dafür die Voraussetzungen, das wissen unsere Mitarbeiter.

    Audi setzt voll auf die Technologie des autonomen Fahrens. Wie groß ist die Herausforderung, die technische Revolution auch moralisch sauber hinzubekommen?

    Stadler: Wir tragen mit unseren Produkten eine enorme Verantwortung, nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch in der Gesellschaft. Daher müssen wir uns mit den ethischen und moralischen Fragen beschäftigen, die das autonome Fahren oder die künstliche Intelligenz aufwerfen. Mit diesen Technologien kann die Zahl der heutigen Unfälle, die zu 90 Prozent auf menschliches Versagen zurückgehen, deutlich verringert werden. Wir werden uns da Stück für Stück heranarbeiten, und das Ziel ist es, dass wir einmal in Autos wie in einer Lounge autonom fahren. Da können Sie dann in Ruhe die Augsburger Allgemeine lesen.

    Haben Sie eigentlich noch Kontakt mit Herrn Winterkorn?

    Stadler: Ich sehe ihn ab und an bei einem Fußballspiel.

    Macht es Ihnen Sorge, dass ein Manager sozial geächtet wird? Das könnte Ihnen ja auch passieren.

    Stadler: Zunächst einmal gilt für jeden Menschen die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen ist. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

    Die Kunden strafen Sie für Ihr Verhalten in der Diesel-Affäre nicht ab.

    Stadler: Wir haben sehr loyale Kunden, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.

    Wie kann man in Zukunft verhindern, dass ähnliche Skandale entstehen?

    Stadler: Da haben wir sehr viel getan. Wir haben das verschärfte Vier-Augen-Prinzip eingeführt. Wir haben nicht nur die unternehmensweite Compliance gestärkt, sondern auch eine eigene technische Compliance eingeführt, die über die Einhaltung von Zulassungsvorschriften wacht. Wir haben unsere Mitarbeiter für Integrität sensibilisiert. Das geht von ganz oben bis ganz unten. Jeder muss sich redlich verhalten. Das ist die Lehre aus dieser Krise.

    Sie haben mal eine Fahrrad-Wallfahrt nach Santiago mit Ihrer Frau gemacht. Wollen Sie das wiederholen, wenn die Diesel-Krise vorbei ist?

    Stadler: Dann gehe ich zu Fuß. Das habe ich mir vorgenommen. Meine Frau kommt mit. Das ist einer meiner wenigen unerfüllten Träume. Bei einer solchen Wallfahrt findet man innere Ruhe und wieder zu sich selbst.

    Wenn Sie auf Wallfahrt gehen, wissen wir also, dass die Diesel-Krise ausgestanden ist.

    Stadler (lacht): Wann das stattfindet, weiß ich nicht. Für 800 Kilometer zu Fuß braucht man auf jeden Fall viel Zeit. Ich hoffe, ich schaffe es noch, ehe ich 70 Jahre alt bin.

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