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Rücktritt: Wie Martin Winterkorn als VW-Chef scheiterte

Rücktritt

Wie Martin Winterkorn als VW-Chef scheiterte

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    VW-Chef Martin Winterkorn hat seinen Rücktritt bekannt gegeben.
    VW-Chef Martin Winterkorn hat seinen Rücktritt bekannt gegeben. Foto: Julian Stratenschukte (dpa)

    Vom eher einsilbigen österreichischen Ski-Rennläufer Rudolf „Rudi“ Nierlich soll die philosophische Fundamental-Erkenntnis stammen: „Wonns laft, donn laft’s!“ Auf Volkswagen und die Welt der Dieselmotoren gemünzt, lässt sich die Weisheit ins düstere Gegenteil verkehren. Denn, wie manch Österreicher bis heute trübe sinniert: „Wonns ned laft, donn laft’s ned!“

    Bei Volkswagen läuft es – hochdeutsch gesagt – miserabel. Selbst die Spieler des konzerneigenen Vereins VfL Wolfsburg scheinen in den Abwärtssog des Abgas-Skandals in den USA geraten zu sein. In München ließ ihnen Robert Lewandowski mit fünf Toren in neun Minuten die maximale Schmach zuteilwerden. Was mag der fußballverrückte Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG dabei am Dienstagabend gedacht haben? Wusste Martin Winterkorn schon, dass er am Mittwoch zurücktreten muss, bald ein neuer Chef den Konzern führt?

    Volkswagen wird noch Jahre mit den Folgen des Skandals kämpfen. Das deutete Aufsichtsrats-Chef Berthold Huber gestern an, als er verkündete, Winterkorn habe von sich aus seinen Rücktritt angeboten, was das Kontrollgremium unter seiner Leitung angenommen habe.

    Das Wort Sieg ist erst einmal aus der VW-Sprache gestrichen. Dass Verantwortliche des Unternehmens Abgaswerte von Dieselfahrzeugen in den USA manipuliert und damit Kunden betrogen haben, lässt die Volkswagen AG abstiegsbedroht erscheinen. Wie schwer mag das für einen Mann sein, der so lange das Siegen gewohnt und auf gutem Weg war, VW zur langfristigen Nummer eins vor Toyota und GM zu führen?

    Was sich derzeit in Wolfsburg ereignet, ist, wenn man den Winterkorn-Kennern Dietmar Hawranek und Dirk Kurbjuweit folgt, auch ein Stück Diktatoren-Dämmerung. Die beiden Spiegel-Journalisten durften dem gestürzten Konzern-Lenker so nahe kommen wie kaum Reporter zuvor. Nach einer längeren Beobachtungsphase fällten sie ein vernichtendes Urteil über den Volkswagen-Mann und das dahinterstehende System: „Angst hält diesen Konzern zusammen. Das ist Nordkorea minus Arbeitslager.“

    Winterkorn hat sich, war zu hören, verständlicherweise maßlos über diese Beschreibung geärgert. Er sieht sich selbst natürlich nicht als eine Art „Quälix“, wie der frühere VfL-Meistertrainer Felix Magath wegen seines Faibles für harte Übungsmethoden etwa mit Medizinbällen genannt wird. Winterkorn will zwar als harter Hund, aber eben jovialer Kumpeltyp erscheinen. Auf der Automesse IAA tätschelt er seinen Günstlingen schon mal freundlich den Rücken oder gibt sich bei Grill- und Bierabenden umgänglich.

    Rücktritt von Winterkorn: Er galt nie als bequemer VW-Chef

    Der in Leonberg bei Stuttgart als Sohn eines Arbeiters und einer Hausfrau geborene Manager spricht nicht viel über sich und sein Privatleben. Er ist – und das durchaus auch im positiven Sinn – ein extrem fleißiger und leistungsorientierter „Car Guy“. So nennen Amerikaner Typen, die sozusagen Benzin im Blut haben, für die Autos fast der alleinige Lebensinhalt sind.

    Gut, Winterkorn soll gelegentlich auch mal eine Zigarre rauchen oder ein Glas Rotwein trinken, aber er hat sein Leben Volkswagen verschrieben und muss jetzt ohne diesen Daseinsinhalt auskommen. Was seine fanatische Liebe zum Automobil bedeutet, spiegeln seine Einsätze bei Fahrzeugtests oder Messen wider. So berichten die Spiegel-Männer von einem denkwürdigen Auftritt bei einem Auto-Event in den USA.

    Techniker sprachen über Mängel bei einer Probefahrt. Winterkorn, der früher sowohl bei Audi als auch VW für die Qualitätssicherung zuständig war und daher besonderes Augenmerk auf diese Disziplin wirft, wurde plötzlich wach. Nach der Beschreibung der Zeugen verwandelte sich die Sitzung in ein „Tribunal“. Winterkorn habe Techniker angepoltert, geschimpft, gemotzt und Widersprüche niedergebügelt. „Eure Sitze sind furchtbar“, musste sich demnach ein Werksleiter von dem detailversessenen Boss aus Wolfsburg anhören.

    Winterkorn macht also genau das Gegenteil dessen, was in Seminaren jedem Jung-Manager eingetrichtert wird: Zeige Respekt gegenüber den Mitarbeitern und gehe achtsam mit ihnen um. Seine Frau, berichten Beobachter, habe manchmal versucht, ihn in solchen Momenten des Zorns zu bremsen. Aber Winterkorn glaubt, sagen Kenner seiner Person, dass der Chef des größten deutschen Konzerns mit über 600.000 Mitarbeitern Härte zeigen müsse.

    Er meine das nicht böse. Aber wehe der Boss kam so richtig in Fahrt, wie es in einem Video auf dem Online-Kanal Youtube zu bestaunen ist: Da setzt sich Winterkorn auf einer Automesse in ein neues Hyundai-Fahrzeug, ruft einen Angestellten herbei, zeigt empört auf das Lenkrad und meint im breiten Schwäbisch: „Da scheppert nix!“ Dann fügt „Wiko“, wie ihn Untergebene nur nennen, wenn er nicht in der Nähe ist, hinzu: „Warum kann’s der? BMW kann’s nicht! Wir können’s nicht!“ Der Angestellte versucht vergeblich, die Wut des Chefs zu bändigen: „Wir hatten ja mal eine Lösung gehabt, aber die war zu teuer.“

    Winterkorn befriedigt das ganz und gar nicht. Noch lauter legt er den Finger erneut in dieselbe Wunde: „Warum kann’s der?“

    Viele von dem Ausmaß des Abgas-Skandals geschockte Mitarbeiter werden jetzt sagen: Winterkorn kann’s doch selber nicht. Aufsichtsrats-Chef Huber nimmt den gestürzten Vorstandsvorsitzenden aber in Schutz: „Er hatte keine Kenntnis von Manipulationen bei Abgasanlagen.“

    ---Trennung _Wie geht es nach dem Rücktritt von Winterkorn weiter mit VW?_ Trennung---

    Winterkorn machte sich Feinde bei VW - zu denen auch Ferdinand Piëch gehört

    Doch Winterkorn hat sich mit seiner überforschen Art Feinde im Konzern gemacht. Am Ende ging sogar die Auto-Ehe mit dem österreichischen Ober-Car-Guy Ferdinand Piëch in die Brüche. Beides sind Auto-Erotiker, die mit einem Messgerät nachprüfen, ob die Fugen eines Fahrzeugs nicht zu groß sind. Doch „Fugen-Ferdl“ und „Fugen-Martin“ haben sich im Herbst ihres Lebens nichts mehr zu sagen. Denn der 78-jährige Piëch sprach seinem Ziehsohn schon im Frühling dieses Jahres mit einem seiner typisch kryptischen Fallbeil-Sätze das Misstrauen aus: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“

    Das war schon die erste große Niederlage für den VW-Chef, auch wenn er sich zunächst einmal gegen den Konzern-Übervater durchsetzen konnte und gegen dessen Willen Chef des Unternehmens blieb. Piëch musste sich selbst aus der Machtbastion Wolfsburg zum Familiensitz nach Salzburg zurückziehen. Was für eine Schmach!

    Schon spekulieren einige, „der Alte“ hätte sich jetzt an Winterkorn gerächt und dazu beigetragen, dass die Abgas-Manipulationen an die Öffentlichkeit gekommen sind. Sein österreichischer Biograf Wolfgang Fürweger, der Piëch sehr gut kennt, hält das „für absoluten Schwachsinn“. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt er: „Warum sollte er Winterkorn ärgern und sein Lebenswerk zerstören?“ Piëch könnte, so mutmaßt Fürweger, aber schon Anfang dieses Jahres Lunte gerochen haben, dass in den USA etwas nicht stimmt, und deshalb versucht haben, Winterkorn zur Aufgabe zu zwingen.

    Dabei waren sie einst wie siamesische Auto-Zwillinge. Ein Paar wie Motor und Auspuff. Winterkorn kämpfte durch, was der Meister als Strategie ausgab. So äußerte er einmal sogar Verständnis dafür, dass Piëch einen so hohen Managerverschleiß hat: „Vorstände verdienen sehr viel und tragen hohe Verantwortung. Da haben Fehler sehr schnell gravierende Konsequenzen“, sprang der Schwabe seinem Ober-Chef bei und folgerte: „Entsprechend konsequent muss dann auch bei unzureichenden Ergebnissen gehandelt werden.“ Ein Satz, der jetzt auf Winterkorn selbst zurückfällt und zu seinem eigenen Rücktritt passt.

    Wie geht es nach dem Abgas-Skandal weiter für Volkswagen?

    Und wie geht es weiter, heraus aus dem tiefen Morast für VW? Da hilft kein Allradantrieb. Ein Wunder käme gelegener. Aber es läuft auf jahrelange harte Buße hinaus. Wie das geht, weiß der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel, der Siemens einst erfolgreich als eine Art Kontrolleur half, die Korruptionsaffäre zu überwinden.

    Unserer Zeitung sagt er: „Das Versagen Einzelner in einem Unternehmen wird toleriert, aber nicht das Versagen eines Systems wie bei den Manipulationen von Volkswagen.“ Jetzt müsse der Konzern alles auf den Tisch legen, sich Rat bei US-Juristen holen und voll mit den Behörden in Amerika kooperieren. Wenn es die Regeln in den USA zulassen, empfiehlt Waigel VW, eine unabhängige Persönlichkeit einzuschalten, die nichts mit dem Konzern zu tun hat. Bei Siemens übernahm der CSU-Politiker selbst diese Rolle.

    Warum sollte der Jurist Waigel nicht auch Volkswagen helfen? „Mit 76 Jahren macht man so etwas nicht mehr“, winkt er lächelnd ab. Dann müssen also andere ran. Die Suche dürfte sich schwierig gestalten. Denn Kandidaten wie die früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und Christian Wulff saßen im VW-Aufsichtsrat. Sie waren Teil des gescheiterten Herrschaftssystems Volkswagen. Siemens könnte auf alle Fälle ein Vorbild für die Wolfsburger sein: Nicht nur Konzern-Chef Heinrich von Pierer musste gehen. Auch andere Manager folgten ihm.

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