Es klang schlüssig: Heinz-Hermann Thiele hatte einfach zugeschlagen, als es günstig war. Die Lufthansa rutschte in die Krise, der Preis ihrer Aktien fiel und Thiele kaufte fünf Prozent davon. Heute ist die Krise von Deutschlands größter Luftfahrtgesellschaft noch nicht vorbei, Thiele besitzt inzwischen über 15 Prozent der Unternehmensanteile. Er wette eben darauf, dass die Lufthansa sich erholt und seine Aktien dann an Wert gewännen – nahmen viele Beobachter an. Doch dann erklärte Thiele öffentlich, dass er der Beteiligung des Staates an der Lufthansa kritisch gegenüberstehe.
Diese sollte den Konzern vor der Pleite bewahren und damit auch das Kapital all derer schützen, die in die Lufthansa investiert haben – also nicht zuletzt das Geld von Großaktionär Thiele. Auf der Hauptversammlung Ende Juni stimmte der 79-Jährige dem Hilfspaket dann schließlich zu – und machte so den Weg für die Regierungsmilliarden frei. Doch sein Zögern warf Fragen auf: Warum nun hat Thiele Millionen von Euro in die Lufthansa gesteckt? Und vor allem: Was hat die Skepsis zu bedeuten, mit der er dem Rettungspaket gegenüberstand?
Thiele arbeitete sich einst beim Bremsenhersteller Knorr-Bremse vom Angestellten zum Mehrheitseigner hoch und baute den Mittelständler zum Weltmarktführer aus, erst für Schienen-, dann für Nutzfahrzeuge. Er gilt als harter Knochen und Patriarch, der sich sogar mit dem eigenen Nachwuchs immer wieder überwarf, und ist einer der reichsten Deutschen. Was er nun bei Lufthansa vorhat, fragen sich viele.
Eine echte Kehrtwende hat Thiele im Fall Lufthansa-Rettung nie gemacht
Eine Erklärung liefert Thiele selbst. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte er, er sei überzeugt, „dass der Staat nicht der beste Unternehmer“ und die Verhandlungen zwischen Konzern und Regierung nicht transparent gelaufen seien. Ihn schmerzte laut Verhandlungsteilnehmern besonders die harte und aus seiner Sicht arrogante Verhandlungslinie der Staatsvertreter, die etwa auf hohen Zinsen für ihre Hilfsmilliarden bestanden. In seinem Engagement gehe es nicht nur um kapitalistische Gesichtspunkte. Dass dem so ist, glauben auch kundige Beobachter, Thiele gehe es nicht um kurzfristige Gewinne, und auch einen Totalverlust seiner Anteile hätte er leicht verschmerzen können. Explizit gegen die Milliarden vom Bund ausgesprochen hatte er sich ohnehin nie - lediglich gesagt, dass er sich noch keine abschließende Meinung gebildet habe. Eine echte Kehrtwende hatte der Milliardär also nicht gemacht. Doch es dürfte ausgeschlossen sein, dass Thiele seine Bedenken äußerte, ohne damit Absichten zu verfolgen. Nur welche, das lässt selbst Experten im Unklaren.
Vielleicht habe Thiele besser wahrgenommen werden wollen, sagt Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. Seiner Einschätzung nach sei Thiele darauf bedacht gewesen, in die Kommunikation stärker einbezogen zu werden. Vor der Hauptversammlung hatten Beobachter vermutet, Thiele hätte an einer Pleite des Unternehmens verdienen können. Doch das hält Schellenberg für unwahrscheinlich: „Hätte Thiele das gewollt, hätte er mit Nein gestimmt“, sagt er. Zudem wäre Thiele so zum Feindbild der Mitarbeiter geworden.
Dessen Geschichte, dass er der Lufthansa persönlich verbunden sei, hält Schellenberg für glaubhaft. „Viele betrachten die Branche so, Fliegen ist emotional“, sagt er. Es falle auf, dass Thiele dem Unternehmen als Kunde die Treue hält, obwohl er Privatjet fliegen könnte. Insofern könne seine Investition darauf hindeuten, dass Thiele in eine Branche einsteigen wolle, der er verbunden ist.
Gewerkschaft: Thieles Reichtum entsteht auf dem Rücken der Lufthansa-Beschäftigten
Hakan Civelek beschäftigt sich intensiv mit Thiele und seinen Geschäften – und verurteilt diese in weiten Teilen. Er ist Geschäftsführer der Gewerkschaft IG Metall in Velbert bei Wuppertal, in seiner Nähe, in Wülfrath, betreibt Knorr-Bremse ein Werk. Gekauft hat das Unternehmen es 2016, heuer soll die Produktion schon wieder eingestellt werden – unter Widerstand der IG Metall. Civeleks Spekulation: Der Einstieg bei Lufthansa sei für Thiele ein Steigbügel, eigentlich plane er die Übernahme des französischen Marktführers für Bremsen in der Luftfahrtindustrie, Safran Landing Systems. Dazu brauche er ein Netzwerk. So erkläre sich auch, dass der ehemalige Airbus-Chef Thomas Enders inzwischen einen Platz im Aufsichtsrat der Knorr-Bremse hat: Airbus ist riesiger Kunde von Safran. Zudem würde solch eine Expansion zu Thieles Vorgehen passen, seinen Einfluss zu mehren. „Was liegt da näher, als in die bisher renditeträchtige Luftfahrtbranche einzusteigen?“, fragt Civelek.
Doch eine solche Expansion sieht der Gewerkschafter kritisch. Thieles Reichtum entstehe auf dem Rücken der Beschäftigten. In den Werken gilt keine Tarifbindung und eine 42- statt einer 35-Stunden-Woche. Zudem wirft Civelek der Knorr-Bremse vor, dass diese systematisch Unternehmen aufkaufe und das dortige Wissen abschöpfe, ohne Interesse am Erhalt von Arbeitsplätzen zu haben.
Die Theorie der angeblich geplanten Expansion lässt jedoch Fragen offen. „Dann würde ich den Umweg nicht verstehen“, sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Aktionärsvereinigung DSW. Wenn Thiele ein Netzwerk aufbauen wolle, sei ein Einstieg etwa bei Airbus naheliegender gewesen als bei dessen Kunde Lufthansa. Für Investitionen sei die Krise ein günstiger Zeitpunkt. Dennoch habe Thieles Einstieg bei Lufthansa überrascht, sagt Kurz. Dass dieser zwischenzeitlich offenließ, der Staatsbeteiligung zuzustimmen, konnte der Marktkenner nicht nachvollziehen. Mit Knorr-Bremse in die Luftfahrtbranche vorzudringen, würde Kurz „als Zielsetzung überraschend“ finden.
Was Thiele zu den Spekulationen sagt, ist offen. Der Unternehmer äußerte sich dazu auf Nachfrage unserer Redaktion nicht. (mit gps-)
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