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Reportage: Unterwegs im Osten: Ins sterbende Kohlerevier wird viel Kohle fließen

Noch blasen die Kühltürme des Kohlekraftwerks Schwarze Pumpe helle Schwaden in die Luft. Spätestens 2038 soll damit Schluss ein.
Foto: Soeren Stache, dpa
Reportage

Unterwegs im Osten: Ins sterbende Kohlerevier wird viel Kohle fließen

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    Immer wieder Helmut Kohl. Stochert man ein wenig in der Seele der Lausitz herum, kommt der Kanzler der Einheit zum Vorschein. Direkt unter der Oberfläche. Man muss nicht tief graben. Mit dem Graben kennen sie sich aus in diesem Landstrich im Osten. Sie tun es seit über 150 Jahren. Wühlen die Erde um und holen Braunkohle heraus. Jetzt soll bald Schluss sein damit. Das Klima muss geschützt werden. In der Lausitz wissen sie nicht recht, wie das gehen soll ohne Kohle und Wühlerei. Denn damit verdienen sie ihr Geld.

    Helmut Kohl kann nichts dafür, dass das Kapitel zu Ende geht. Er ist seit vier Jahren tot. Im Juni 1998 war er sogar in die Lausitz gekommen und weihte das Kraftwerk Schwarze Pumpe ein. Mit einem symbolischen Knopfdruck warf der Kanzler die Generatoren an. Dankbar ist ihm dafür keiner mehr. Statt an den Knopfdruck erinnern sich die Menschen hier an ein Versprechen, das er nicht gehalten hat. Es ging dabei um blühende Landschaften auf der Brache der sozialistischen Planwirtschaft.

    Diese Brache wurde in der DDR mit einem enormen Einsatz von Arbeitskräften bewirtschaftet. Im Braunkohlerevier in der Lausitz waren es 80.000 Werktätige in Kraftwerken, Gaswerken und Kohlelöchern. Die Arbeit war hart, dreckig, gut bezahlt. Die Masse schrumpfte nach der Wende rapide auf 8000 zusammen. Ihr berufliches Schicksal ist durch den kürzlich von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Kohleausstieg besiegelt. Spätestens in 18 Jahren wird das letzte der drei Großkraftwerke abgeklemmt. Vorher wird schon kräftig ausgedünnt.

    Die Schwarze Pumpe verfeuert 36.000 Tonnen Braunkohle – pro Tag

    Drei dieser 8000 stehen an einem Sommermorgen vor einem Imbiss am verlassenen Busbahnhof. Um die Ecke liegt der Eingang zum Industriepark Schwarze Pumpe. Im Hintergrund blasen die Kühltürme des Kraftwerks gräuliche Schwaden in die Luft, die am Himmel mit den tief hängenden Wolken verschwimmen. 36.000 Tonnen Braunkohle werden hier verfeuert – pro Tag. Stahlsaurier fressen sie aus der Erde. Trotzdem liegt kein Dreck in der Luft, so wie früher, als sich die Wäsche auf der Leine schwarz färbte.

    „Wir sind schon einmal runter von 80.000 auf 8000.“

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    Die drei Männer haben die letzten Bockwürste ergattert. Das Stück kostet 1,50 Euro, mit Brötchen 30 Cent mehr. Die Fragen nach der Zukunft schmecken ihnen nicht. „Ich bin mir nicht sicher, ob der Staat Firmen wirklich dazu bringen, dass sie dauerhaft hier bleiben“, sagt der eine. Und der andere mit dem grauen Bürstenhaarschnitt ist schon wieder bei der Wende und Helmut Kohl. „Wir sind schon einmal runter von 80.000 auf 8000.“

    Niemand käme hier auf die Idee, Wiedervereinigung zu sagen. Nach knappen Auskünften verspeisen sie die letzten Bissen ihrer Bockwürste und falten die Pappen exakt zusammen. Sie haben einen Termin.

    Wenn sich die Deutschen mit der Zukunft schwer tun, tun sie sich in der Lausitz besonders schwer. Was soll werden, wenn der wichtigste Wirtschaftszweig verschwindet? Die Braunkohle-Bergleute und die Kraftwerksmannschaften gehören zu den Spitzenverdienern in Brandenburg und Sachsen. Sie sind die Autobauer der Lausitz.

    Ein CDU-Bundestagsabgeordneter muss sich um die Zukunft kümmern

    Klaus-Peter Schulze muss sich um diese Zukunft kümmern. Beruflich. Schwarze Pumpe liegt in seinem Wahlkreis. Der CDU-Abgeordnete begrüßt mit kräftigem Händedruck, wie es alle in der Lausitz machen. Die Corona-Zahlen sind niedrig. Schulze war früher Bürgermeister in Spremberg, der kleinen Stadt in der Nähe. Kerniges Lächeln unter einem Schnauzbart. In seinem weinroten Ford geht es durch den Industriepark, der zur Hälfte in Brandenburg und zur anderen in Sachsen liegt. Die Straßen tragen hier Nummern. Der 66-Jährige zeigt mit dem Finger umher. Da stand die alte Kohlewäsche, da hinten das alte Kraftwerk, dort die Brikettfabrik. Rekord-Briketts heizten die Stuben der DDR-Bürger.

    „Wir haben uns hier in der Lausitz zu sehr darauf verlassen, dass unsere Energie immer gebraucht wird. Auch ich“, sagt der Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Schulze.
    „Wir haben uns hier in der Lausitz zu sehr darauf verlassen, dass unsere Energie immer gebraucht wird. Auch ich“, sagt der Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Schulze. Foto: Firma Carsten Handrick

    Auch 30 Jahre nach dem Ende des Sozialismus dominiert die Kohle das riesige Areal. Das Kraftwerk überragt alles. Aber es gibt auch Neues. Die Papierfabrik, die jetzt um ein zweites Werk erweitert wird. Zu den 600 Mitarbeitern kommen 200 neue hinzu. „Das ist mein größter Erfolg als Bürgermeister“, erzählt er. Das Problem ist, dass die Arbeiter in der Papierfabrik weniger verdienen als die Kumpel. Die bekommen im Schnitt 52.000 Euro brutto pro Jahr. Das ist viel im Osten.

    Die Lausitzer Energie und Bergbau Aktiengesellschaft (Leag), die Tagebaue und Kraftwerke betreibt, zahlt in der Lausitz 500 Millionen Euro an Gehältern und vergibt Aufträge im Umfang von 900 Millionen. Dahinter kommt lange nichts. „Wir haben uns hier in der Lausitz zu sehr darauf verlassen, dass unsere Energie immer gebraucht wird. Auch ich“, sagt der Abgeordnete, während er über die am Reißbrett geplanten Straßen steuert.

    „Am Ende importieren wir teuren Strom aus Polen.“

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    Ab Mitte der 50er Jahre hat die DDR ein Kombinat aus der Heide gestampft. Aus Braunkohle wurde Gas gemacht. Zwar galt die Beziehung zu den sowjetischen Brüdern als unverbrüchlich, aber bei der Energieversorgung wollte Genosse Ulbricht lieber autark sein. Vorher stand dort nicht viel außer ein Gasthaus. Im Dreißigjährigen Krieg malte ein Lausitzer eine Wasserpumpe schwarz an, um die marodierende schwedische Soldateska zu vertreiben. Im Mittelalter war Schwarz die Farbe der Pest. Schwarze Pumpe, das ist heute auch ein Stadtteil von Spremberg.

    Bis 2038 werden 17 Milliarden Euro in die Region fließen

    Zweihundert Jahre ward Schwarz zu Gold. Das Grubengold bestimmte die Geschicke der Lausitz. Dafür, dass mehr davon im Boden bleibt, schüttet die Bundesregierung das Füllhorn aus. Zwischen 2020 und 2038 fließen 17 Milliarden Euro in die Region – fast eine Milliarde pro Jahr. Das ist etwa fünfmal mehr als in den letzten Jahren. Mit dem Geld sollen Firmen angelockt, zwischen Berlin, Cottbus und Görlitz der ICE aufgegleist und die Autobahn A113 auf sechs Spuren verbreitert werden. „Wir haben jetzt die letzte Chance, irgendetwas daraus zu machen“, sagt Klaus-Peter Schulze. Der Mann für die Zukunft sagt aber auch, dass die Kohle nicht vollständig kompensiert werden kann.

    Draußen vor dem Tor sperrt die Imbissfrau zu. Sie macht morgens um 4.45 Uhr auf, schließt um 10 Uhr und räumt dann noch auf. Sie hört die Leute reden, Tag ein, Tag aus. „Die glauben nicht, dass das was wird“, erzählt sie. Wie die Männer und Frauen, die bei ihr den Hunger stillen, hält sie die Energiewende-Politik in Deutschland für Heuchelei. Für ein gutes Gewissen würden hier die Kohlekraftwerke abgestellt, während sie in Polen und Tschechien weiterlaufen. „Am Ende importieren wir teuren Strom aus Polen“, meint sie bitter. Bis zur Grenze sind es keine 30 Kilometer.

    Wenn die Frau vom Imbiss für die Vergangenheit steht und der Abgeordnete Schulze für die Zukunft, dann steht Uwe Teubner irgendwo dazwischen. Der Betriebsratschef der Leag hat 1979 in den Werkstätten der Kohlebahn als Lehrling angefangen. Die Berge des Brennstoffs werden über die Schiene in den Schlund der Kraftwerke gebracht. Mit dem Herzen ist er bei den Sorgen seiner Leute.

    Die 90er Jahre haben sich eingebrannt, als im Osten Millionen Biografien einen schweren Schlag bekamen. In der Lausitz war der Sturz besonders tief. Teubner erzählt die Geschichte von den Helden aus dem Tagebau, zu denen sie die DDR-Propaganda stilisierte. Im Winter war das eine Plackerei. Kohlezüge froren fest, bei mildem Wetter wurde alles zu Matsch. „Wir müssen dafür sorgen, dass es die Leute warm haben und das Licht brennt. Das war das Ethos“, sagt Teubner.

    In der Lausitz waren sie früher Helden. Dann wurden sie vom Sockel geholt

    Nach 1990 wurden die Helden vom Sockel geholt. Sie waren jetzt einfach Leute, die ihren Job machen durften. Nun müssen sie sich den Vorwurf anhören, die Umwelt zu zerstören und den Planeten aufzuheizen. Den Bergmännern geht es wie den Bauern – beider Stolz ist tief gekränkt. „Wir schreien nicht ‚Hurra’, dass wir abgeschaltet werden. Aber die Energiewende ist entschieden“, sagt der Gewerkschafter ruhig. Er weiß: Es gibt kein Zurück.

    Vielleicht geht es sogar schon vorher zu Ende. Während früher die Millionen sprudelten, laufen die Geschäfte der Leag heute schlechter. Wenn die Zertifikate für den Ausstoß von Kohlendioxid weiter im Preis steigen, könnte sogar schon vor 2038 die letzte Turbine zum Stillstand kommen. Teubners Sohn arbeitet im Tagebau. „Ich will, dass er auch noch in dreißig Jahren hier sein wird und er soll nicht nur Tretboote verleihen, sondern eine gute Arbeit haben“, sagt sein Vater.

    Eingang zum Industriepark Schwarze Pumpe.
    Eingang zum Industriepark Schwarze Pumpe. Foto: Christian Grimm

    Im Tourismus gehen die Leute in Brandenburg mit knapp 28.000 Euro brutto nach Hause. Das Geschäft mit Urlaubern am Baggersee soll ein neues Standbein werden.

    Besser bezahlte Jobs bietet die Industrie. Immerhin steht die Bundesregierung zu ihrem Wort. Im Instandhaltungswerk der Bahn in Cottbus werden 1200 Stellen zusätzlich geschaffen. Die Leute sagen immer noch RAW dazu, wie die Ausbesserungswerke der ostdeutschen Reichsbahn abgekürzt wurden. Auf mehr solcher Nachrichten warten die Optimisten. Ob sie die seelischen Wunden schließen können, ist nicht ausgemacht. Die AfD ist stark im Kohleland. Sie lehnt die Klimapolitik ab und gibt dem Zweifel ein Ventil. Ein Viertel der Stimmen ging zuletzt an die Partei.

    Die Eishockey-Mannschaft spielte einst in Augsburg – mit Erfolg  

    Zu den Optimisten zählt auch Dirk Rohrbach. Er ist Manager der Lausitzer Füchse, des Eishockeyklubs aus Weißwasser auf der sächsischen Seite der Lausitz. Gerade zwickt bei ihm der Magen, die letzten Wochen waren extrem stressig. Es ging um nicht weniger als die Existenz des Vereins in Corona-Zeiten. Irgendwie hat es aber gereicht. Die Lizenz für die nächste Saison in der zweiten Liga ist erteilt. Die Geschichte der Füchse steht für die Geschichte ihrer Heimat. Eine ruhmreiche Geschichte zu DDR-Zeiten.

    25 Meistertitel holten die Jungs in der kleinsten Eishockey-Liga der Welt. Eigentlich hatte die DDR-Führung entschieden, den Sport in die zweite Reihe zu verbannen. Aber Stasi-Chef Mielke war Eishockey-vernarrt und brauchte einen Gegner für seine Mannschaft Dynamo Berlin. Also spielten seine Dynamos gegen die Dynamos aus Weißwasser. Nach dem Zusammenbruch blieb nicht viel Gloria. Es folgten Lizenzentzug und Pleite in den Jahren danach, aber es fehlte nie die Kraft, sich wieder aufzurappeln. „Bei uns gibt es den Strukturwandel seit 1990. Jetzt kommt noch einmal richtig viel Geld in die Lausitz“, sagt Rohrbach. „So schlimm wie Anfang der 90er Jahre kann es gar nicht werden“, schiebt er hinterher.

    Der frühere Profi war schon alles in seinem Verein. Spieler, Trainer, Präsident, Geschäftsführer. Er erzählt von einem legendären Spiel in Augsburg, das die Füchse gewannen. „Vor 7000 Zuschauern im Curt-Frenzel-Stadion. Fantastische Stimmung.“

    Eishockey hat in der Lausitz eine lange Tradition.
    Eishockey hat in der Lausitz eine lange Tradition. Foto: Christian Grimm

    Damit es etwas wird mit der Zukunft ohne Kohle, will Rohrbach mehr junge Leute holen. Lausitzer, die irgendwann in den Westen gegangen sind und jetzt Kinder haben. Oder junge Familien, die sich ein Haus im Grünen bauen wollen und denen Berlin und Dresden zu teuer sind. „Das klappt nur, wenn unsere Anbindung besser wird. Jetzt sind wir eine alte Stadt.“

    Als er anfing, als Knirps aufs Eis zu gehen, fegte Rohrbach mit 50 bis 60 Jungs seines Jahrgangs über die glatte Fläche. Heute sind es zehn Kinder – Jungs und Mädchen zusammengenommen.

    Helmut Kohl kennen sie nicht.

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