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Interview: Reiserechtler Führich: „Reiseveranstalter sind gefährdet“

Interview

Reiserechtler Führich: „Reiseveranstalter sind gefährdet“

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    Wer muss die Stornogebühren zahlen, wenn eine Reise wegen einer Pandemie abgesagt werden muss?
    Wer muss die Stornogebühren zahlen, wenn eine Reise wegen einer Pandemie abgesagt werden muss? Foto: Roland Weihrauch, dpa

    Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes hat gefordert, dass Urlauber mit Vorerkrankungen und aus Risikogruppen ihren Urlaub auch ohne Reisewarnung kostenlos stornieren können. Inzwischen hat das Amtsgericht Frankfurt Müllers Forderung quasi bestätigt und geurteilt, dass eine Reisewarnung nicht zwingend erforderlich sei, es genüge „eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung des Virus“. Nun hat der Kemptener Reiserechtler Professor Ernst Führich mit seinem offenen Brief an Justizministerin Christine Lambrecht für Aufsehen gesorgt.

    Herr Führich, bisher trägt im Fall der Absage oder Stornierung als Folge von Pandemien allein der Reiseveranstalter das finanzielle Risiko. Warum wollen Sie das ändern?

    Ernst Führich: Ich schlage eine Änderung der EU-Pauschalreiserichtlinie vor, sodass der Reisende bei seiner Stornierung des Reisevertrages aus Gründen einer weltweiten Pandemie eine halbe Stornogebühr zahlt. Die heutige gesetzliche Regelung mit einer völlig kostenfreien Stornierung bei einer Pandemie wie Corona ist nicht interessengerecht.

    Warum das denn?

    Führich: Reiseveranstalter werden durch die Freistellung ihrer Kunden von jeglichen Kosten extrem in ihrer Existenz gefährdet. Wir erleben seit Frühjahr einen GAU in der weltweiten Touristik. Das gilt insbesondere für den Mittelstand, der nicht durch billige Großkredite des Staates abgesichert wird. Ohne Reiseunternehmen gibt es keine Reisen, weder hier noch im Ausland. Andererseits weiß heute der Reisende, unter welchen gesundheitlichen Risiken er nationale und internationale Pauschalreisen bucht. Wer dieses Risiko in Zukunft auf sich nimmt, sollte 50 Prozent der fälligen Rücktrittsentschädigung zahlen.

    Der Bundesverband der Verbraucherzentralen will die Veranstalter aber gar noch weiter in die Pflicht nehmen.

    Führich: Die Verbraucherschützer wollen die kostenlose Stornierung nicht ausweiten, sondern weisen nur auf die derzeitige Rechtslage hin, die nicht für eine weltweite Pandemie geschaffen ist. Eine amtliche Reisewarnung ist das stärkste Indiz für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes, aber nicht unbedingt notwendig für eine kostenlose Stornierung. Das hat die Bundesregierung in ihrer Gesetzesbegründung zur Gutscheinlösung bei Pauschalreisen ausdrücklich bestätigt.

    Führich: Veranstalter schicken Kunden zu den Gerichten

    Was heißt das konkret?

    Führich: Fehlt es zum Zeitpunkt der Stornierung an einer Reisewarnung, reicht es auch aus, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einer gesundheitsgefährdenden Infektionslage gerechnet werden kann. Da Gerichte im Zweifel den Schutz des Reisenden als vorrangig ansehen, reicht nach dem obersten deutschen Zivilgericht BGH eine gewisse Wahrscheinlichkeit und keine erhebliche Wahrscheinlichkeit.

    Wie verhalten sich die Veranstalter?

    Führich: Ich habe den Eindruck, dass viele Veranstalter und Vermittler eher den Schutz der Reisedurchführung in den Vordergrund stellen und sofort die volle Stornorechnung ausstellen und den Kunden auf den Weg zu den Gerichten schicken. Das ist nicht nur kundenunfreundlich und gegen den Willen des Gesetzes, sondern auch geschäftsschädigend. Ein Kunde, der einmal eine Stornorechnung zahlen musste, wird aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr beim Veranstalter buchen.

    Ernst Führich ist Reiserechtler.
    Ernst Führich ist Reiserechtler. Foto: Führich

    Sie sprechen die Verantwortung der Reisenden an, die „sehenden Auges zur Zeit der Corona-Pandemie“ eine Pauschal-Reise buchen.

    Führich: Nach zutreffender Auslegung des bisherigen Stornoparagrafen können außergewöhnliche Umstände bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegen und die Parteien hoffen, bis zur Durchführung der Reise werde sich die Situation derart verbessern, dass es zu keiner Beeinträchtigung kommt. Das heißt, auch der Reisende, der sehenden Auges zur Zeit der Corona-Pandemie eine Pauschalreise bucht, ist derzeit durch das Reiserecht geschützt. Das ist bei einer Pandemie nicht gerecht. Reiserecht ist nur dann gerecht, wenn die Interessen des Reisenden und des Veranstalters ausgewogen berücksichtigt werden. Der GAU in der Touristik durch die Pandemie war für den Gesetzgeber in Brüssel und Berlin weder vorhersehbar noch vermeidbar. Die Reiseveranstalter haben aber zur Vorbereitung der Pauschalreisen erhebliche Vorausleistungen durch ihre eigenen Mitarbeiter, ihren Vertrieb über stationäre und digitale Reisevermittler und mit ihren Leistungsträgern erbracht.

    Führich: Das Reiserecht ist EU-Recht

    Was hat das nun für Konsequenzen für Reiseveranstalter?

    Führich: Wegen fehlender Liquidität durch Neubuchungen und fehlender Rückzahlungen durch die Hotels und Airlines sind sie nun in ihrer Existenz extrem gefährdet. Andererseits weiß der Reisende heute, unter welchen gesundheitlichen Risiken er Pauschalreisen bucht. Deswegen erscheint es für den Reiseveranstalter künftig unzumutbar, seine Kunden völlig frei von Rücktrittsgebühren bei Pandemien zu stellen und die Gefahren einer Pandemie alleine zu tragen. Auch ist es nicht angemessen, durch staatliche finanzielle Sicherungsmaßnahmen und Großkredite an Großkonzerne indirekt alle Steuerzahler zur Kasse zu bitten, um mehr oder weniger teure Erholungsreisen von Reisewilligen abzusichern.

    In Ihrem Vorstoß plädieren Sie nicht nur für eine juristische Reform in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene.

    Führich: Das Reiserecht ist heute volles EU-Recht. Nur Brüssel kann das ändern. Im neuen Jahr ist gesetzlich vorgesehen, die Richtlinie zu überprüfen. Dann könnte im nächsten Jahr die Richtlinie geändert werden, muss aber noch in das nationale Recht der 27 Mitgliedstaaten eingefügt werden.

    Die Resonanz auf Ihren Vorstoß ist groß. Was sagt denn die von Ihnen angesprochene Ministerin?

    Führich: Bis heute nichts. Ich habe bisher keine Reaktion des zuständigen Ministeriums aus Berlin. Offensichtlich machen die gerade Urlaub –und hoffentlich nicht in einem Risikogebiet.

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