Es regnet in Strömen auf dem Saint Balikuddembe Market von Kampala, einem der größten Märkte in Uganda. Händler Haruna Nyombi zerrt eilig hunderte Jeans und T-Shirts in seine Betonwabe, schließlich hält die Plastikplane vor dem Stand das Wasser nur mühsam fern. Es ist Samstagnachmittag, normalerweise eine Stoßzeit mit dutzenden Kunden. Doch nun, wo das Wetter das Geschäft bremst, bleibt Zeit zum Lästern.
Nyombi, 25 Jahre alt, glaubt, dass er gerade Zeuge einer gewaltigen Verschwörung wird. Die ugandische Regierung strebt das Importverbot seiner Ware an. Gebrauchte Kleidung, importiert aus Industrienationen wie Deutschland, erdrücke die lokale Textilbranche, lautet die Argumentation. Wenn diese Konkurrenz wegfalle, könnten zehntausende neue Jobs entstehen, versprach ein Minister.
„Alles Propaganda“, sagt Nyombi, „da wollen sich ein paar Herren eine goldene Nase verdienen.“ Der Händler hält zwei Jeans in die Höhe. Die neue aus China bietet er für 50000 Schilling an, umgerechnet elf Euro. Die gebrauchte aus England hat an den Fußenden ein paar Fransen, sie kostet fast sieben Euro mehr. Trotzdem verkauft Nyombi zu 80 Prozent Gebrauchtware wie diese. Der Baumwollanteil ist höher, sie hält länger, sagt Nyombi. Warum er diese Kleidung künftig nicht mehr verkaufen soll? „Die Politiker hängen mit im Geschäft mit den Chinesen, sie wollen deren Konkurrenz rausdrängen.“
Das Thema bewegt die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) seit dem Jahr 2015. Damals beschlossen die Mitgliedstaaten Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi, bis zum Jahr 2019 das Geschäft mit alten Klamotten zu unterbinden. „Wir werden unter Konsequenzen zu leiden haben“, ahnte Ruandas Präsident Paul Kagame, „aber wir müssen unsere Industrien entwickeln.“ Er treibt seit dem Jahr 2014 eine groß angelegte „Made in Ruanda“-Kampagne voran.
Bis in die 70er war die Textilindustrie eine der wichtigsten Branchen in Ostafrika
Bis in die 1970er Jahre war die Textilindustrie eine der wichtigsten Branchen in Ostafrika, eine halbe Million Menschen fand hier Arbeit. Dann kamen die Konkurrenten aus Asien und vor allem Altkleider-Anbieter, die die Region zu einem ihrer wichtigsten Absatzmärkte machten. Nur die wenigsten lokalen Firmen hielten dem Preisdruck stand. Heute verdienen in der Region nur noch 20.000 Menschen mit der Kleiderherstellung ihren Lebensunterhalt.
Wiederbelebungsversuche der Industrie hat es immer wieder gegeben. So ernst und geschlossen wie zuletzt traten die Länder aber wohl noch nie auf. Uganda hat den Importzoll auf Altkleider im vergangenen Jahr von 15 auf 20 Prozent erhöht. In Ruanda wurden die Gebühren innerhalb von zwei Jahren sogar auf das Zwanzigfache angehoben.
Der internationale Gegenwind ist erheblich. Besonders die USA, die mit dem Export von Gebrauchtkleidung jährlich rund eine halbe Milliarde Euro verdienen, fuhren schwere Geschütze auf. Das angestrebte Verbot verletze das gemeinsame Handelsabkommen AGOA, hieß es. Dieses ermöglicht den EAC-Ländern weitgehend zollfreien Export in die USA, aber sieht im Gegenzug Importerleichterungen für viele US-Produkte vor. Der Widerstand der USA fiel wohl auch deswegen so vehement aus, weil niemand mehr Kleidung wegwirft als die Amerikaner: im Schnitt 35 Kilogramm pro Person und Jahr.
Im Juni 2017 zog bereits Kenia, der größte Profiteur des Handelsabkommens, seine Pläne zurück. Die eigene Bevölkerung hatte die Pläne mit wenig Begeisterung registriert, schließlich gibt es nicht genug konkurrenzfähige Textilunternehmen im Land. Es hapert schon an grundlegenden Dingen: Die Strompreise in Ostafrika etwa sind deutlich höher als in asiatischen Billiglohnländern, die Infrastruktur insgesamt schlechter. Auch die anderen ostafrikanischen Länder einigten sich zuletzt darauf, dass man vorerst kein Importverbot gegen Gebrauchtware verhängen werde.
Thomas Ahlmann, Sprecher des Verbands Fairwertung, in dem 130 deutsche gemeinnützige Organisationen für die Altkleidersammlung organisiert sind, sieht die Debatte kritisch. Er sagt: „Es ist lobenswert, die Wertschöpfungskette verlängern zu wollen. Aber in Tansania fehlt es offenbar schon am Kapital, die am Boden liegende Baumwollindustrie wiederzubeleben. Wie kann man an den Aufbau von riesigen Firmen denken, bevor man das in den Griff bekommen hat?“ Afrikanische Textilhersteller könnten mit der Billigkonkurrenz nicht konkurrieren, glaubt er. „Ein Verbot würde in erster Linie Anbietern asiatischer Neuware nutzen.“
Altkleider aus reichen Ländern überschwemmen den afrikanischen Markt
Dass die Altkleider aus den reichen Teilen der Welt den afrikanischen Markt überschwemmen und den heimischen Herstellern kaum eine Chance bleibt – es klingt nachvollziehbar. Allein die Deutschen sortieren jedes Jahr mehr als eine Million Tonnen Textilien aus. Genug, um eine hunderte Kilometer lange Schlange von Lastwagen zu beladen. Kleidung ist zur Wegwerfware geworden – auch, weil sie zunehmend billiger wird. Fairwertung-Sprecher Ahlmann sagt: „Die Leute kaufen immer mehr und von immer schlechterer Qualität.“
Der Großteil der ausrangierten Klamotten landet in Altkleidercontainern. 4,4 Kilogramm wirft allein jeder Bayer im Schnitt dort ein, wie das Landesamt für Umwelt ermittelt hat. Für die Sammler ein lukratives Geschäft – und ein hart umkämpftes dazu. „Das ist ein Haifischbecken“, sagt Heino Jahn, Leiter der Landesgruppe Bayern beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Darin tummeln sich gewerbliche Recyclingbetriebe, die sich auf Altkleider spezialisiert haben, karitative Einrichtungen, die mit dem Verkauf der Gebrauchtware Projekte finanzieren – und auch immer mehr Kommunen, die mit der Textilsammlung Geld verdienen wollen. „Das größte Problem sind die vielen illegalen Sammler, die einfach irgendwo rechtswidrig Container aufstellen und die Ware zu Geld machen“, sagt Jahn. Ein Problem: Wer das Recht auf die Altkleider hat, ist in Deutschland nicht eindeutig geregelt.
Allein das Deutsche Rote Kreuz sammelt bis zu 100.000 Tonnen Altkleider im Jahr. Davon gehen nur rund fünf Prozent direkt an 1,2 Millionen bedürftige Menschen – der Rest geht an Händler. In Deutschland gibt es dutzende Unternehmen, die die Altkleider vorsortieren und für einige hundert Euro pro Tonne an Großhändler verkaufen. Von dort aus geht sie vor allem nach Osteuropa und Ostafrika.
Fairwertung stand den Textil-Exporten nach Afrika lange kritisch gegenüber – bis der Verband im Jahr 2003 eine Marktuntersuchung in Tansania, Kamerun und Mali durchführte. „Für viele Menschen dort ist Gebrauchtkleidung angesichts mangelnder Kaufkraft die einzige Möglichkeit, Kleidung akzeptabler Qualität zu erwerben“, erklärt Sprecher Ahlmann. Der Verband befürwortet den Export, die Mitgliedsorganisationen müssen sich dabei allerdings zu einem Verhaltenskodex verpflichten. „Altkleider sind nicht unbedingt ein Segen, aber auch nicht der Fluch, zu dem sie gerne gemacht werden“, sagt Ahlmann. In Ostafrika sehen das viele Politiker naturgemäß anders. Dort will man der heimischen Textilbranche neue Chancen eröffnen. Gern verweist man dann auf das Beispiel Äthiopien, wo in den vergangenen Jahren tausende Jobs entstanden sind. Doch der Preis dafür ist hoch: Die Investoren kommen fast durchweg aus Industriestaaten – s.Oliver und Tchibo zum Beispiel. Und die Regierung des Landes duldet mit die niedrigsten Löhne weltweit: Viele Näherinnen verdienen nicht einmal 30 Euro im Monat und damit weniger als Arbeiter in Bangladesch, das lange als Inbegriff der Ausbeutung galt. Hinzu kommt: Nur wenige Afrikaner können sich die heimisch hergestellte Kleidung leisten. In Europa lässt sich die Ware ohnehin für ein Vielfaches verkaufen.
Welche Meinung Experten zu dem Problem haben
Und Experten wenden zugleich ein: Wenn Ostafrika den Import von Altkleidern verbietet, kommen die Textilien über den Schwarzmarkt. Das ist in Äthiopien und Ghana der Fall, wo entsprechende Gesetze in der Praxis kaum Anwendung finden. Es ist zu einfach, mit ein paar Koffern über die Grenze zu fahren und zu sagen, es handele sich um private Kleidung. Gebrauchtware gibt es dann weiterhin – nur eben teurer. Und dem Staat gehen wichtige Zölle verloren.
Auf dem Markt in Kampala packt Händler Nyombi ein ausgewaschenes Hemd in eine Plastiktüte. Umgerechnet sechs Euro verlangt er dafür. Der Kunde arbeitet für eine Versicherung, bei seinem Gehalt könnte er sich vielleicht auch ein neues Kleidungsstück kaufen. Aber locker sitzt das Geld deshalb nicht, sagt der Mann. „Die Miete, das Schulgeld für die Kinder – das ist mir wichtiger.“ Er glaubt nicht, dass es jemals zu einem Verbot kommen wird. „Die Leute lassen sich nicht von der Regierung vorschreiben, was sie zu kaufen haben.“ (mit dpa)