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Razzia bei Audi: Rupert Stadler – der Audi-Chef in Erklärungsnot

Razzia bei Audi

Rupert Stadler – der Audi-Chef in Erklärungsnot

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    Das sonst Zuversicht ausstrahlende Lächeln für Fotografen fiel Audi- Vorstandschef Rupert Stadler am Mittwoch schwer.
    Das sonst Zuversicht ausstrahlende Lächeln für Fotografen fiel Audi- Vorstandschef Rupert Stadler am Mittwoch schwer. Foto: Christof Stache, afp

    Rupert Stadler steht, umringt von rund hundert Journalisten, vor einem knallgelben, blank polierten Audi SQ5 und versucht sich an einem Lächeln für die Fotografen. Er, der Erfolgsverwöhnte, der es gewohnt war, viele Jahre mit einem Strahlen immer neue Bestmarken zu verkünden, scheitert. Er verzieht leicht die Mundwinkel, das war’s.

    Schon allein die Zahlen, die Stadler und seine Vorstandskollegen ein paar Minuten später bei der Bilanzpressekonferenz von Audi am Mittwoch verkünden mussten, hätten die Miene erklären können. Doch die ganze Wucht der Dieselaffäre hatte das Unternehmen knapp drei Stunden zuvor getroffen. Pünktlich um 7 Uhr morgens war eine Kolonne von Fahrzeugen mit Münchner Kennzeichen vor dem Vorstandsgebäude angerückt. Auf der Rückbank lagen Aktentaschen und Blaulichter. Die Staatsanwälte und Polizisten begannen mit ihrer Razzia in der Konzernzentrale eine halbe Stunde, bevor Stadler an seinen Arbeitsplatz kam. Der Einsatz war von langer Hand geplant und konnte wohl nicht mehr verschoben werden.

    Wie tief steckt Audi im Dieselskandal?

    Diese laut Staatsanwaltschaft München II „unglückliche Terminkollision“ mit der Jahrespressekonferenz brachte Rupert Stadler am Mittwoch mächtig in Erklärungsnot. Die Konferenzräume im Museum Mobile, das die glanzvolle Geschichte von Audi (→ Kommentar zur Bedeutung der deutschen Autoindustrie) widerspiegelt, waren voll besetzt mit Journalisten, die alle nur eines wissen wollten: Was hat es mit dieser Razzia auf sich? Wie tief drin steckt Audi wirklich im Dieselskandal? Was kommt noch alles auf das Unternehmen zu und welche personellen Konsequenzen wird es geben? Antworten gab es nicht, stattdessen war bei Nachfragen immer und immer wieder nur ein Satz zu hören: „Wir arbeiten voll umfänglich mit den Behörden zusammen.“

    Chronologie der Abgasaffäre bei VW und Audi

    VW steckt tief in der Krise. Der Abgas-Skandal hat Konzernchef Martin Winterkorn den Job gekostet - nun müssen sein Nachfolger Matthias Müller und der neue Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch die Affäre aufklären.

    3. September 2015: Volkswagen räumt gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Abgastests ein.

    18. September 2015: Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    22. September 2015: Der Konzern gibt eine Gewinnwarnung heraus und kündigt Milliarden-Rückstellungen an. VW-Chef Martin Winterkorn bittet um Entschuldigung.

    23. September 2015: Rücktritt Winterkorns. «Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren», erklärt er seinen Schritt.

    25. September 2015: Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen.

    28. September 2015: Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen.

    29. September 2015: Volkswagen legt einen Aktionsplan zur Nachbesserung von Dieselwagen mit manipulierter Software vor und will fünf Millionen Fahrzeuge der Kernmarke VW in die Werkstätten holen.

    1. Oktober 2015: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig rudert zurück: Entgegen früheren Angaben führt sie kein formelles Verfahren gegen Winterkorn. Neuer VW-Finanzchef wird nach dem Wechsel von Hans Dieter Pötsch in den Aufsichtsrat der Leiter der Finanzsparte, Frank Witter.

    2. Oktober 2015: Auf speziellen Internetseiten können Kunden von VW und Audi prüfen, ob ihr Wagen die Manipulations-Software verwendet.

    4. Oktober 2015: Laut «Bild am Sonntag» sollen VW-Ingenieure der internen Revision gesagt haben, sie hätten 2008 die Software installiert.

    6. Oktober 2015: Betriebsratschef Bernd Osterloh und Müller sprechen bei einer Betriebsversammlung in Wolfsburg zur Belegschaft. Osterloh betont, bisher gebe es noch keine Konsequenzen für Jobs - laut Müller stellt die Abgas-Affäre aber bereits geplante Investitionen infrage.

    7. Oktober 2015: Erneutes Krisentreffen der VW-Aufseher, Pötsch wird an die Spitze des Kontrollgremiums gewählt. Nach Aussage Müllers in einem «FAZ»-Interview kann der Auto-Rückruf im Januar 2016 beginnen.

    8. Oktober 2015: Razzia bei Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ordnet Durchsuchungen in Wolfsburg und an anderen Orten an. VW-US-Chef Michael Horn muss dem US-Kongress Rede und Antwort stehen.

    9. Oktober 2015: US-Bundesstaat Texas verklagt Volkswagen. VW habe seine Kunden über Jahre hinweg vorsätzlich getäuscht, sagt ein texanischer Staatsanwalt.

    15. Oktober 2015: Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) lehnt die von Volkswagen angebotene freiwillige Reparatur ab. Rund 2,4 Millionen betroffene Fahrzeuge von VW werden zurückgerufen.

    2. November 2015: Auch Porsche und Audi geraten unter Verdacht. Die US-Umweltbehörde prüft die von Audi gebauten und von Porsche verwendeten Dreiliter-Dieselaggregate.

    4. November 2015: VW, Porsche und Audi stoppen in den USA den Verkauf von Fahrzeugen, die mit der umstrittenen Dreiliter-Dieselmaschine ausgerüstet sind.

    12. November 2015: Martin Winterkorn gibt Vorsitz bei Audi auf. Nach dem Rückzug von VW und Porsche legt Winterkorn auch sein Amt bei Audi nieder.

    5. Januar 2016: Die US-Regierung reicht im Abgas-Skandal Klage gegen Volkswagen ein. Das Justizministerium wirft dem Konzern vor, Betrugssoftware eingesetzt und gegen das Luftreinhaltegesetz "Clean Air Act" verstoßen zu haben.

    27. Januar 2016: VW beginnt mit dem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge. Zunächst ist der Pick-up Amarok dran. Danach folgen die Passat-Modelle.

    15. März 2016: Knapp 300 Großaktionäre verklagen VW auf Schadensersatz in Höhe von rund drei Milliarden Euro.

    22. April 2016: VW muss den höchsten Verlust in der Geschichte des Unternehmens bekannt geben.

    28. Juni 2016: Entschädigungen in Rekordhöhe: 15 Milliarden Dollar kostet der Abgasskandal VW in den USA allein an Strafen an die Umweltbehörden und Entschädigungen an Autofahrer.

    7. September 2016: Auch der Autozieferer Bosch gerät immer mehr in Kritik. Ohne das Stuttgarter Unternehmen habe Volkswagen die Software nicht anpassen können, berichten Medien.

    23. September 2016: Neue Vorwürfe aus den USA belasten VW-Tochter Audi schwer. Bisher bestritt Audi stets manipuliert zu haben.

    22. November 2016: VW will weltweit 30.000 Jobs abbauen. Allein in Deutschland sollen bis zu 23.000 Jobs wegfallen.

    15. Dezember 2016: Sigmar Gabriel (SPD), Peter Altmaier (CDU) und Barbara Hendricks (SPD) sagen im U-Ausschuss aus, sie hätten erst nach Aufdeckung des Skandals 2015 von verbotenen Praktiken erfahren.

    20. Dezember 2016: Nächste Vergleichszahlung: VW und Audi sollen in Kanada bis zu 1,5 Milliarden Euro an Autokäufer zahlen.

    9. Januar 2017: Amerikanisches FBI nimmt einen VW-Manager wegen des Dieselskandals fest.

    11. Januar 2017: VW und das US-Justizministerium einigen sich zu einem Vergleich. VW muss wegen rund 4,3 Milliarden Dollar zahlen.

    19. Januar 2017: Martin Winterkorn wird im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Diesel-Skandal befragt. Der damalige Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns betont erneut, "nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt" worden zu sein.

    27. Januar 2017: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt jetzt auch gegen den früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wegen des Verdachts auf Betrug.

    3. Februar 2017: Ferdinand Piëch, der frühere VW-Aufsichtsratschef, belastet Martin Winterkorn. Demnach soll Winterkorn doch schon früher als von ihm eingeräumt vom Abgasbetrug erfahren haben.

    18. Februar 2017: Interne Dokumente belasten Audi-Chef Rupert Stadler. Er soll schon 2007 von der Schummelei zu den Abgaswerten gewusst haben.

    8. März 2017: Kanzlerin Angela Merkel sagt als letzte Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre aus. Sie will von der Affäre erst durch die Medien erfahren haben.

    15. März 2017: Razzia bei Audi: Kurz vor Beginn der Jahrespressekonferenz durchsuchen Fahnder die Konzernzentrale in Ingolstadt.

    Die Pressekonferenz lief nach außen wie geplant, Rupert Stadler und Finanzvorstand Axel Strotbek sprachen lieber über Zahlen als über das, was gleichzeitig ein paar Meter weiter vor sich ging. Auch wenn das die Journalisten weit mehr interessiert hätte. Stadler leitete dann auch schnell über zur Bilanz: „Trotz der Tagesaktualität wünsche ich mir, dass wir uns auf das abgelaufene Geschäftsjahr konzentrieren.“ Das war sein einziger Satz zu den Durchsuchungen. Ansonsten: kein Kommentar. Nicht dazu, ob er selbst zurücktreten werde.

    Rupert Stadler: "Meine Frau hat noch nicht angerufen"

    Nicht dazu, wie er den Zeitpunkt der Razzia bewertet, nicht dazu, ob er glaubt, dass die Ermittler relevante Dinge finden könnten. Auf die Frage, ob sein Privathaus durchsucht worden sei, sagt Stadler: Als er morgens aus dem Haus sei, war niemand da und „meine Frau hat mich auch noch nicht angerufen“. Da lachte er sogar ein bisschen. Tatsächlich sind nach Informationen unserer Redaktion keine Wohnräume von Vorstandsmitgliedern durchsucht worden.

    Wie erwartet, spiegelt sich auch in den Zahlen für 2016 die Dieselaffäre wider. Der Gewinn vor Steuern ist deutlich eingebrochen – von 5,3 auf drei Milliarden Euro. Allein die Bewältigung des Diesel Skandals in den USA kostete Audi bereits 1,8 Milliarden Euro. Aber auch, wenn man diesen Faktor herausrechnet, steht unter dem Strich noch ein deutlicher Rückgang.

    Über die derzeitigen Schwierigkeiten von Audi konnte auch ein Absatzplus von 3,6 Prozent auf 1,87 Millionen verkaufte Fahrzeuge nicht hinwegtäuschen. Vor allem auch deshalb nicht, weil das laufende Jahr schwach begann. Weltweit ist der Absatz in den ersten beiden Monaten im Vergleich zum Vorjahr um fast acht Prozent eingebrochen. Ausschlaggebend war das schlechte Geschäft in China.

    Digitalisierung und "pilotiertes Fahren" bei Audi

    Während draußen die Ermittler immer wieder leere Kartons in die Büroräume tragen, um sie mit Akten und Daten aus der Vergangenheit zu füllen, blickt Audi zuversichtlich in die Zukunft. Mit den Themen Digitalisierung und „pilotiertes Fahren“ sowie neuen Produkten und Antriebsmöglichkeiten wie dem g-tron und dem e-tron soll der Konzern wieder zurück in die Erfolgsspur. Das würden sich auch die Mitarbeiter wünschen. Denn der Skandal und der damit verbundene Gewinneinbruch bleiben nicht ohne Folgen für sie. Jahrelang gab es bei Audi eine üppige Erfolgsbeteiligung, die in Bestzeiten bei über 8000 Euro lag – im Durchschnitt. Schon im vergangenen Jahr war die Prämie auf 5420 Euro gesunken, im kommenden Jahr sind es 3510 Euro.

    Rupert Stadler wird viel erklären müssen – den Staatsanwälten und seinen Mitarbeitern.

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