Gute Nachrichten hatte am Mittwoch ohnehin niemand aus Brüssel erwartet. Die Europäische Kommission, die seit der Finanzkrise jeweils im Herbst die Etatentwürfe der Mitgliedstaaten prüft (das Verfahren nennt sich "Europäisches Semester"), konnte in Pandemie-Zeiten wohl kaum Positives zu melden haben. So war es dann auch.
Arbeitslosigkeit trifft besonders Frauen und junge Menschen
Irgendwo in dem Zahlenwerk, das am Mittwoch in Brüssel präsentiert wurde, steckten Daten, die abseits von Infektions- und Todeszahlen den Blick auf eine andere Seite des ökonomischen Einbruchs infolge des Coronavirus lenkten: "Die Covid-19-Krise hat zu einem Einschnitt bei dem seit sechs Jahren anhaltenden positiven Trend auf dem Arbeitsmarkt geführt", sagte EU-Sozialkommissar Nicolas Schmitt. "Das betrifft alle Europäer."
Doch die um sich greifende Arbeitslosigkeit erwischt einige Gruppen besonders hart: junge Menschen, Frauen, vor allem jene in schlechter bezahlten Berufen, sowie Beschäftigte in den Dienstleistungsbereichen wie der Gastronomie, der Kultur sowie der Unterhaltungsbranche. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit sei im Vergleich zu anderen Altersgruppen regelrecht explodiert.
Ohne Kurzarbeit wären die Zahlen noch verheerender
Wie dramatisch die Entwicklung ausfällt, belegen die gestern veröffentlichen Ergebnisse: "Die Gesamtzahl der Beschäftigten, die seit Mitte 2013 um 15 Millionen gestiegen war, ging in den ersten beiden Quartalen 2020 gegenüber dem vierten Quartal 2019 um 6,1 Millionen zurück", heißt es in dem Bericht der EU-Kommission. "Dies stellt den stärksten Rückgang dar, der jemals über zwei aufeinanderfolgende Quartale verzeichnet wurde." Und dabei blieb dieser Effekt sogar noch abgemildert, weil die Mitgliedstaaten und die EU "durch die rasche Annahme von Kurzarbeiter-Regelungen und ähnlichen Maßnahmen" den Anstieg der Arbeitslosenquote eindämmen konnten.
Dagegen setzt die Verwaltung der Union ihren Appell an die Mitgliedstaaten, zu investieren – in Bildung, aber auch in Projekte wie den Green Deal, von dem sich Brüssel eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze erhofft. Deutschland wurde in diesem Zusammenhang für seine Haushaltsführung gelobt. Die massive Neuverschuldung (im kommenden Jahr hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz neue Schulden in Höhe von 96 Milliarden Euro eingeplant) entsprächen den EU-Zielen und dienten dazu, die Wirtschaft zu stützen.
Allerdings solle die Bundesregierung regelmäßig überprüfen, ob die Krisenmaßnahmen wirken und angemessen sind. Der Ratschlag mag lapidar klingen, tatsächlich aber steckt dahinter eine weit verbreitete Angst in Brüssel: "Wir müssen sehr aufpassen, dass vor lauter Corona-Ausgabenprogrammen nun nicht der absolute Dammbruch bei der Staatsverschuldung erfolgt", mahnte der CSU-Finanzexperte und Europaabgeordnete Markus Ferber. "Ansonsten steuern wir auf direktem Weg auf die nächste Schuldenkrise zu."
Die große Angst vor einer neuen Finanzkrise
Um das zu verhindern, hatte die EU-Kommission die geltenden Schuldenregeln im Juli außer Kraft gesetzt, damit die Regierungen mit frischem Geld ihren Unternehmen unter die Arme greifen können. Allerdings sollen diese Zuschüsse befristet sein und auch ein Konzept zur langfristigen Gegenfinanzierung enthalten. Bei Deutschland nickte die Kommission alle Planungen ab. Frankreich, Italien und Spanien bekamen dagegen einen Rüffel, weil einige der Coronavirus-Krisenhilfen eben kein Ablaufdatum haben. Vor allem Paris solle, so die Kommission weiter, mittelfristig auf die Stabilität seiner Finanzen achten.
Der Vizepräsident der Kommission, Valdis Dombrowskis, nutzte die Vorstellung der Daten für einen dringenden Appell: "Da sich Europa nun in der zweiten Welle der Pandemie befindet, müssen wir uns gegenseitig unterstützen, um den Sturm gemeinsam durchzustehen." In Brüssel wurde dies als Kritik an Polen und Ungarn verstanden, die mit ihrem Veto am Montag die Auszahlung der 750 Milliarden Euro aus dem Aufbaufonds gestoppt hatten.
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