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Porträt: VW-Chef Diess und der Kampf gegen alte Strukturen

Porträt

VW-Chef Diess und der Kampf gegen alte Strukturen

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    Bei der Vorlage der Bilanz für das schwierige Corona-Jahr 2020 trug VW-Chef Herbert Diess natürlich keine Batman-Maske. Doch in einem Werbefilm tritt der Vorstandsvorsitzende derart maskiert auf.
    Bei der Vorlage der Bilanz für das schwierige Corona-Jahr 2020 trug VW-Chef Herbert Diess natürlich keine Batman-Maske. Doch in einem Werbefilm tritt der Vorstandsvorsitzende derart maskiert auf. Foto: dpa

    Die Schwärze der Nacht wird kurz durchbrochen. Über einer Stadt mit Hochhäusern prangt ein seltsam zackiges Symbol am Himmel. Fledermäuse fliegen aufgeregt durcheinander. Der Rhythmus der Musik schwillt an. Der Schriftzug „Cupra“ erscheint. Ist das ein Werbe-Video für einen Action-Film?

    Es folgt ein harter Schnitt. Es wird ein Auto mit 310 PS eingeblockt. Im dunklen und bulligen Cupra Formentor mit wuchtigen Rädern sitzt nicht ein Schauspieler, sondern der Chef des größten deutschen Konzerns VW mit rund 670.000 Mitarbeitern. Herbert Diess sagt: „So, jetzt noch eine Runde Cupra. Auf geht’s.“ Er trägt wieder eines seiner rustikal-groß-karierten Sakkos und gibt auf der Teststrecke Gas. Diess steuert das Auto aus dem Reich der spanischen VW-Marke Seat mit Wucht durch Kurven. Ein Blatt Papier fliegt auf der Rücksitzbank hin und her, während der 62-jährige Münchner mit österreichischem Pass das Steuer rumreißt.

    VW-Boss Herbert Diess bremst im "Batmobil" und treibt den Vertrieb von Elektro-Autos voran

    So weit, so werblich, so normal für einen Autohersteller. Doch dann bremst der VW-Boss, die Musik schwillt weiter an und durch das Beifahrerfenster erlaubt die Kamera einen kurzen Blick auf den sportlich-schlanken Vorstandsvorsitzenden: Er trägt eine Batman-Maske, was in der VW-Chef-Geschichte einzigartig ist. Weder Martin Winterkorn noch Ferdinand Piëch waren so weit gegangen, obwohl Letzterem eine Batman-Maske gestanden hätte. Heiko Fernitz, Financial Controller bei VW Sachsen, kommentierte launig das auf der Karriere-Plattform LinkedIn veröffentlichte Video: „Er: Ich bin Batman!“ Sie: Is’ klar. Aber zum Mittag bist Du wieder da, oder?“ Er: „Schaff ich... Cupra Formentor.“

    Diess setzt seine Art des Humors taktisch ein, um – wie schon oft – via soziale Medien Botschaften an die VW-Festung Wolfsburg zu senden, wo aus seiner Sicht vieles zu langsam geht und Arbeitnehmervertreter um ihren mächtigen obersten Chef Bernd Osterloh ihn immer wieder ruppig auflaufen lassen. So verwundert es nicht, dass der Werbeclip schnell dahin gedeutet wurde, Diess sitze in seinem Batmobil, was der Cupra optisch mit etwas Fantasie hergibt, und mache sich auf, den Konzernsitz in Wolfsburg von den Mächten des Beharrens auf Privilegien, also dem Osterloh-IG-Metall-Klüngel zu befreien. Wie also Bruce Wayne im Fledermauskostüm in seiner Heimatstadt Gotham City Schurken in die Schranken weist, ist auch Herbert „Batman“ Diess zum Äußersten entschlossen.

    Der Bayer in Wolfsburg kann es nicht lassen, auch wenn der Manager weiß, wie er mit seiner kantigen Art Osterloh immer wieder vor den Kopf stößt und zur Gegenwehr animiert. Diess stand vor dem Rauswurf. Er musste den Zusatz-Job als Chef der Marke VW abgeben und bekam, auch wenn er den Aufsichtsrat unter Druck gesetzt hatte, seinen bis 2023 laufenden Vertrag nicht wie gefordert frühzeitig verlängert.

    Volkswagen verkauft immer mehr Elektro-Autos

    Dennoch kommt Diess als Mister Elektrik im VW-Konzern mit vorsätzlicher Beharrungskraft in Wolfsburg City doch immer weiter voran, sodass ihm Stephan Weil, der als niedersächsischer Ministerpräsident das Bundesland als Großaktionär im Aufsichtsrat vertritt, schon Kränze der Anerkennung geflochten hat. Diess hat auch Freunde im Norden – und das geht vor allem auf die „ordentliche“ Bilanz des Auto-Konzerns im Corona-Jahr 2020 zurück. Die Elektro-Offensive des Mannes, der sich vorgenommen hat, den Klimawandel mit der Kraft des zweitgrößten Autobauers der Welt einzudämmen, greift immer besser: Der Volkswagen-Konzern hat 2020 rund 230.000 vollelektrische Fahrzeuge verkauft, drei Mal mehr als im Vorjahr. Bis spätestens 2025 soll Volkswagen zum Weltmarktführer für E-Mobilität aufsteigen.

    Doch noch ist Diess kein Superheld wie sein Comic-Vorbild. Damit er und der Konzern bis 2025 wirklich abheben und die amerikanischen Elektro-Mächte vertreiben, müssen die Ergebnisse noch besser werden und bald eine Million Elektroautos pro Jahr – wie versprochen – an die Kunden gehen. Einstweilen ist der VW-Chef froh, dass der Konzern in der Corona-Krise nicht abgestürzt ist. Doch die Pandemie hat dunkle Spuren in der Bilanz hinterlassen: Das Unternehmen konnte zwar im vergangenen Jahr rund 9,31 Millionen Fahrzeuge an Kunden ausliefern, das waren aber 15,2 Prozent weniger als 2019. Folglich ging der Umsatz um 11,8 Prozent auf 222,9 Milliarden Euro zurück. Immerhin stand am Ende noch ein operatives Ergebnis von 10,6 gegenüber 19,3 Milliarden Euro im Vorjahr zu Buche. Diess kann also passend zur schwarzen Batman-Maske schwarze Zahlen vorweisen. Er wird sich im Bestreben, dass die Ergebnisse noch schwärzer werden, wohl mit Osterloh anlegen.

    Manchem Beobachter erscheint das Wolfsburger Theater als Comic mit regelmäßigen Knalleffekten. Der Manager hat solchen Zoff sicher eingepreist. Sein Gehalt ist entsprechend großzügig bemessen: Der VW-Chef konnte sich 2020 über Bezüge von insgesamt 7,93 Millionen Euro freuen. Ohnehin lautet sein Lebensmotto: „Rückschläge stärken den Charakter.“ Vom größten Rückschlag in der VW-Geschichte ist bei der digitalen Bilanzpressekonferenz am Dienstag nur noch am Rande kurz wiederum als „Diesel-Thematik“ die Rede.

    Lesen Sie dazu auch Stefan Stahls Kommentar Deutsche Autobauer holen elektrisch auf

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