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Porträt: Siemens-Chef Kaeser legt Bilanz vor: "Es hätte auch schlimmer laufen können"

Porträt

Siemens-Chef Kaeser legt Bilanz vor: "Es hätte auch schlimmer laufen können"

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    Joe Kaeser legte seine letzte Siemens-Bilanz vor.
    Joe Kaeser legte seine letzte Siemens-Bilanz vor. Foto: Matthias Balk, dpa

    Joe Kaeser geht auf Abschieds-Tour. Mit der Hauptversammlung am 3. Februar kommenden Jahres endet die Zeit des 63-Jährigen an der Siemens-Spitze. Der Niederbayer wird sich vor allem auf den Aufsichtsratsvorsitz der großen und inzwischen börsennotierten Siemens-Energiesparte konzentrieren. Sein 55-jähriger Nachfolger Roland Busch, der schon jetzt gemeinsam mit ihm den Riesen lenkt, kann dann allein die Geschicke der nach all den Abspaltungen (Osram, Gesundheitssparte, Energiebereich) auf das Industrie-, Digital- und Bahngeschäft zugeschnittenen Siemens AG bestimmen.

    So legt Kaeser seine letzte Bilanz für die Aktiengesellschaft vor, der er rund 40 Jahre und damit sein ganzes Berufsleben treu war, seit 2013 als Vorstandsvorsitzender. Der Manager muss sich, das wird bei der digitalen Pressekonferenz am Donnerstag deutlich, ein gehöriges Maß an Zurückhaltung auferlegt haben.

    Kaeser lässt die Zufriedenheit über seine Arbeit bei Siemens erahnen

    Wie intensiv Journalisten auch nachhaken, Kaeser will sich an dem Tag nicht zu offensichtlich selbst für seine Lebensleistung loben. Dabei lächelt er ein ums andere Mal verschmitzt, als würde es ihm Spaß machen, sich auch einmal zu bändigen. Der meinungs- und austeilungsstarke Twitter-König unter den deutschen Top-Managern will die Bewertung der Leistung seiner Person „den Medien und Aktionären überlassen“.

     Immerhin lässt der Manager erahnen, wie zufrieden er mit seiner Arbeit für den von ihm heiß geliebten Siemens-Konzern ist, den er 2013 vom eher glücklosen Österreicher Peter Löscher übernahm: „Das Fundament ist gelegt, jetzt kann die Wertsteigerung beginnen.“ Kaeser wäre demnach ein solider Bau-Unternehmer, der einen festen Grund fertiggestellt hat, auf dem Busch nun ein noch gewinnträchtigeres Haus errichten kann.

    Als der Noch-Siemens-Chef gefragt wird, ob er nicht Bitternis verspüre, weil ihm bei der virtuellen Hauptversammlung am 3. Februar Aktionäre keine Ovationen bereiten können, meint er, wobei wiederum ein Lächeln über sein Gesicht huscht: „Es zahlt sich jetzt aus, dass ich mich immer dann geäußert habe, wenn es etwas zu sagen gab und mir nichts aufgespart habe.“

    Der Siemens-Chef setzte sich auf Twitter gegen Ausländerfeindlichkeit ein

    Damit spielt Kaeser auf seine politischen Twittereien an, in denen er sich gegen jede Form von Ausländerfeindlichkeit zur Wehr setzte und etwa gegen die AfD stichelte. Für solche Bekundungen sei er ja auch kritisiert worden, merkt Kaeser ganz ruhig an und wird plötzlich – was neu an ihm wirkt – philosophisch. Ganz im Duktus des deutschen Überdichters Johann Wolfgang von Goethe meint er: „Es kommt auf den Augenblick an. Wichtig sei, was bleibt.“ Selbst wenn Menschen für ihn zu Ovationen aufstünden, würden sie sich auch wieder hinsetzen. Schwingt da nicht neben Ironie ein wenig Wehmut bei dem Mann mit, der sich wohl durchaus zugetraut hätte, zwei Jahre länger Siemens-Chef zu sein?

    Auf alle Fälle wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit nach seiner Abschiedsrede auf der Hauptversammlung mit Publikum lauter Beifall aufgebrandet, schlägt sich doch Siemens selbst im Corona-Jahr 2020 vergleichsweise gut. Kaeser spricht vorsichtig nur von einer „verlässlichen, ja bemerkenswerten Leistung in außergewöhnlichen Zeiten“.

    Siemens hält den Umsatz auch in der Corona-Krise

    Dabei hat der Konzern das Kunststück fertig gebracht, den Umsatz in dem bis 30. September laufenden Geschäftsjahr mit 57,1 Milliarden Euro in etwa auf Vorjahresniveau zu halten und bei leicht rückläufigen Auftragseingängen nach Steuern einen Gewinn von 4,2 Milliarden Euro einzufahren, auch wenn es 2019 noch 5,6 Milliarden waren. Demnach erhalten Aktionäre eine Dividende von 3,50 Euro je Papier, während sie im Vorjahr 3,90 Euro einheimsten. Was aber in düsteren Zeiten das Beste ist: Siemens rechnet für 2021 mit einem „moderat steigenden Gewinn“.

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     All das würde es rechtfertigen, wenn sich der Manager ein wenig beherzter auf die Schultern klopft. Doch er stellt sich sogar selbst kritische Fragen, eine Kaeser-Novität. Der Siemens-Chef will vom Siemens-Chef wissen: „Hätte es besser laufen können?“ Seine Antwort an sich lautet: „Absolut. Aber es hätte auch schlimmer laufen können – viel schlimmer.“

    Siemens-Kennerin: "Joe Kaeser hat einen guten Job gemacht"

    Um es nicht bei Selbstreflexionen zu belassen und Kaesers Bitte zu entsprechen, Vertreter von Anteilseignern nach seiner Bilanz zu befragen, soll die langjährige Siemens-Kennerin Daniela Bergdolt als Vize-Präsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz zu Wort kommen. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt die Expertin, die immer wieder auch Kritik am Siemens-Kurs äußerte: „Joe Kaeser hat einen guten Job gemacht. Seine Bilanz ist positiv.“

    Die Anwältin Daniela Bergdolt äußerte sich zu Siemens-Chef Joe Kaeser.
    Die Anwältin Daniela Bergdolt äußerte sich zu Siemens-Chef Joe Kaeser. Foto: Tobias Hase, dpa (Archiv)

    Der Konzern sei unter seiner Führung ein völlig anderes Unternehmen geworden: „Siemens war einst verschlafen und ist jetzt hellwach und auf dem Weg an die Weltspitze.“ Um das zu erreichen, fordert Bergdolt indes, müsse das Unternehmen noch besser werden. Die Rechtsanwältin schätzt an Kaeser am meisten, „dass er lernfähig und nicht abgehoben ist“. Daniela Bergdolt kommt zum Schluss: „Er ist der beste Siemens-Chef seit Heinrich von Pierer.“ Mit der Wahl von Busch zum Kaeser-Nachfolger wirkt die Aktionärsschützerin zufrieden: „Er kann das, muss sich jedoch frei strampeln.“ Busch und Kaeser haben also Aktionäre auf ihrer Seite.

    Doch wie sehen Gewerkschafter die Leistung des Noch-Siemens-Chefs? Ihre Bilanz fällt insgesamt freundlich aus, wenn auch Arbeitnehmervertreter nicht zu laut Beifall klatschen. Jürgen Kerner, Vorstand der IG Metall und Siemens-Aufsichtsrat, verschweigt gegenüber unserer Redaktion nicht, dass es „Differenzen“ gegeben habe. Bekanntlich kam es im Energiebereich zu massiven Auseinandersetzungen um Jobs und Standorte. Kerner lobt den Manager dann doch: „Kaeser war ein harter, aber immer ein fairer und berechenbarer Verhandlungspartner.“ Am Ende sei es Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite immer darum gegangen, das Beste für das Unternehmen und seine Beschäftigten zu finden. Die Abschiedstour gestaltet sich für Kaeser entspannt.

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