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Porträt: Der Seher

Porträt

Der Seher

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    „Der Crash kommt“, schrieb Professor Max Otte im Jahr 2006. Und er kam. Seither ist der Ökonom ein viel gefragter Mann.
    „Der Crash kommt“, schrieb Professor Max Otte im Jahr 2006. Und er kam. Seither ist der Ökonom ein viel gefragter Mann. Foto: Foto: Marcus Kaufhold

    Hambach an der Weinstraße Noch vor vier Jahren kannten ihn nur wenige. Dann kam 2008 die Finanzkrise, und sein 2006 geschriebenes Buch „Der Crash kommt“ wurde entdeckt – und mit ihm Max Otte. Seitdem zieht der Ökonom durch Talkshows, gibt jede Woche mehrere Interviews und verdient als Autor und Unternehmer Geld. Viel Geld. Er könnte sich also ausruhen, zurücklehnen, die Firma verkaufen, seinen Ruhm genießen. Doch Otte will sich noch einmal neu erfinden und wendet sich jetzt dem Staat zu, den er unter dem Druck von „Lobbys und der Finanzoligarchie“ kollabieren sieht.

    Für sein Buch bräuchte Max Otte Zeit

    Für sein geplantes Buch über den Staat aber bräuchte er Zeit. Und die hat er im Moment nicht. Die Kurse an den Börsen laufen zickzack, Banken könnten in einen Mahlstrom geraten, und ein Schuldenschnitt Griechenlands samt Austritt aus dem Euro wird offen diskutiert. Schon 1998 schrieb Otte die Blaupause zur Euro- und Griechenlandkrise. Damals wollte das freilich niemand hören. Warum erklärt er heute: „Wir [die Deutschen] haben uns immer der Illusion hingegeben, wenn man die Börse aufmacht und Geld gibt, dann wird das schon irgendwann was. Wir sehen, dass das dieses Mal nicht der Fall ist.“ Der Euro sei zwar in der Krise, jedoch auch Ursache dieser. Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, drohten Deutschland Ausfälle „um Hunderte von Milliarden, vielleicht um Billionen“. Es gehe derzeit um nicht weniger als die Substanz des deutschen Gemeinwesens, warnt Otte, der kürzlich mit der Streitschrift „Stoppt das Euro-Desaster“ für Aufsehen gesorgt hatte.

    Um seine Botschaften unters Volk zu bringen, schreibt der Ökonom nicht nur Bücher. Er nutzt jede Möglichkeit. Und nicht jede ist so schön wie sein Auftritt beim Demokratie-Forum des SWR am Mittwoch auf dem Hambacher Schloss (Pfalz), das als Wiege der deutschen Demokratie gilt. 1832 hatten Bürger auf dem Hambacher Fest die deutsche Einheit, Freiheit und Volkshoheit gefordert. Die perfekte Bühne für den Mann aus der Mitte der Bevölkerung. Otte, stets im dunklen Anzug gekleidet, ist der Einzige in der Diskussionsrunde, der direkt zu seinen Zuhörern spricht, der ihnen in die Augen sieht, der ihre Sprache spricht und verstanden wird. Otte spitzt zu, eckt an, und das will er auch. Im Fall Griechenland fordert der Ökonom gestern wie heute den Schuldenschnitt, an dem auch Banken beteiligt werden müssten. Strauchelnde Banken sollten verstaatlicht werden, und dann wird er deutlich: „Griechenland muss raus aus dem Euro.“

    Er ist in der Rolle des Anwalts der Bürger angekommen

    Otte ist längst in der Rolle des Anwalts der Bürger dieses Landes angekommen und lässt dieser Tage kein gutes Haar am Krisenmanagement der Politik: „Es geht wie in einem Hühnerhaufen zu. Anstatt über sinnvolle Eigenkapitalregeln, eine Finanztransaktionssteuer und über die Regulierung von Produkten und Geschäftsmodellen Ordnungspolitik zu betreiben, macht man ein extrem hektisches Krisenmanagement und reitet die Sache immer tiefer rein.“ Und er sorgt sich dieser Tage um das Rating einiger Banken: „Viele Banken sind – wenn man ehrliche Buchhaltung machen würde – insolvent.“ Schließlich wüsste niemand, wie es in den Banken tatsächlich aussieht, da diese ihre Buchhaltungsregeln bewusst konfus gestalten. Spricht da wieder der Prophet und Guru?

    Doch Prophet will er nicht sein, sagt er Stunden zuvor auf der sonnenüberfluteten Terrasse des Hambacher Schlosses. Otte lacht, schiebt sich die Sonnenbrille vom Gesicht und gibt zu: „,der Crash kommt‘“ war ein Paukenschlag.“ Mehr als ihn seine Treffsicherheit freut, ärgert ihn, dass zu wenige diese Krise kommen sahen. Schließlich, so Otte, hatte er sich nur Fakten angesehen, die offen liegen, die für sich sprachen. So definiert er sich eher als „Seher“ denn als Prophet.

    Doch damit steht er weitgehend allein: In jeder Talkshow wird darauf verwiesen, in so gut wie jeder Einleitung eines Artikels über ihn steht dieser Satz: „Max Otte hat in seinem Buch die Finanzkrise vorausgesagt ...“ Und so wurde aus dem Segen ein kleiner Fluch, der ihn fortan rastlos durch die Republik reisen lässt; getrieben von seinem Ehrgeiz und seiner Überzeugung. Um die 80 Vorträge hält er jedes Jahr. Seine Arbeitstage sind manchmal 19 Stunden lang. Bevor er am Mittwoch in Hambach ankommt, war er bereits in Frankfurt, Berlin und München.

    Wenn ihm dann doch einmal alles zu viel wird, flieht er von seiner Kölner Wohnung aufs Land, zu seinem alten Pfarrhaus in der Eifel. Dort trifft der getrennt lebende Ökonom seine beiden sechs und sieben Jahre alten Kinder, denen der Beruf ihres Vaters nicht verborgen geblieben ist. Als wieder einmal Kamerateams kamen, „drei auf einmal“, spielten seine Kinder mit ihm danach Weltwirtschaftskrise: „Die haben mir dann dauernd Fragen gestellt, wie es um die englische Wirtschaft stehe und, ob Griechenland zu retten sei.“ Dann fügt er milde lächelnd hinzu: „Das können Sie ruhig schreiben. Das hat mich gefreut.“ Wenn es die Zeit zulässt, arbeitet Otte im Garten. Es ist eine Rückkehr zu seinen Wurzeln: Sein Vater war Hobbygärtner, sein Großvater Landwirt. Vielleicht erklärt dies, wieso er seine Firma nicht für viel Geld verkaufen will. Als Mittelständler fühlt er sich nicht nur sich selbst verpflichtet, wie er sagt, sondern auch den künftigen Generationen. Immer wieder erwähnt er dabei das Gemeinwohl.

    Beinahe wäre Max Otte Amerikaner geworden

    Dabei wäre Max Otte fast Amerikaner geworden. Als Jugendlicher hatte er davon geträumt, in den Staaten Karriere zu machen, vielleicht sogar US-Außenminister zu werden. Brüche im Leben wie der frühe Tod des Vaters, dessen Vornamen er angenommen hat, machten die Pläne aber zunichte. Bis 2000 schwankte Otte, der inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, hin und her. Schließlich entschied er sich bewusst für Deutschland. An Schicksal glaubt der Ökonom indes nur bedingt: „Schicksal passiert einfach, und jeder hat seine Aufgabe. Und die muss man annehmen.“ Derzeit heißt das noch, Krisen-Erklärer zu sein.

    Wenn Otte einmal doch mehr Zeit haben sollte, will er „denken, aufklären, erinnern und schreiben“. Ein staatstheoretisches Buch schwebt dem Mann vor, der davon überzeugt ist, „etwas zu sagen zu haben“. Noch hält er sich im Vagen. Als Arbeitstitel schwebt ihm „Bienenstock und Heuschreckenschwarm“ vor. Metaphern für Fleiß und Gemeinwohl auf der einen Seite und den entfesselten Kapitalismus auf der anderen. Dabei will er traditionelle Denker in Erinnerung rufen. Otte argumentiert oft historisch, erinnert an wiederkehrende Muster. Er wird den starken Staat fordern und auf das Gemeinwohl verpflichtete Elitebeamte. Die sollen den von „Lobbys und der Finanzoligarchie“ verschütteten Staat freischaufeln. Und vielleicht ist es dann wie 2008. Vielleicht trifft er dann wieder den Nerv der Zeit. Niko Steeb

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