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Nördlingen: Ihre Batterien waren schon im All: Varta hat große Pläne

Nördlingen

Ihre Batterien waren schon im All: Varta hat große Pläne

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    Varta stellt knopfgroße Batterien für moderne Elektrogeräte her.
    Varta stellt knopfgroße Batterien für moderne Elektrogeräte her. Foto: Varta AG

    Die Bilder, als am 20. Juli 1969 Neil Armstrong und Buzz Aldrin den Mond betraten, sind selbst jenen geläufig, die damals noch gar nicht geboren waren. Der graue Staub auf der Mondoberfläche, die geriffelten Schuhabdrücke, die weiß leuchtenden Raumanzüge. Möglich machte die Fotos eine Batterie von Varta. Sie versorgte die Kamera mit Strom, mit der Armstrong seine Eindrücke auf dem Mond festhielt, berichtet das Unternehmen. An diese Episode wird heute noch gerne erinnert. Zum Beispiel, wenn man den heutigen Varta-Chef Herbert Schein im Werk in Nördlingen trifft, das derzeit massiv ausgebaut wird.

    Das Herz des traditionsreichen Batteriekonzerns mit seiner über 130-jährigen Geschichte schlägt heute in Süddeutschland. Die Varta AG hat ihren Sitz im baden-württembergischen Ellwangen, ein großes Werk steht in Nördlingen. Daneben ist Varta im Ausland vertreten. In den vergangenen Jahren hat die Firma nach schwierigen Jahren einen Boom erlebt. "Als ich bei Varta anfing, lag unser Marktanteil bei den Batterien für Hörgeräte bei einem Prozent", erinnert sich Varta-Chef Schein. "Heute sind es weit mehr als 50 Prozent." Varta produziere über 1,2 Milliarden nicht einmal hemdknopfgroße Hörgeräte-Batterien pro Jahr – bei einem weltweiten Gesamtmarkt von zwei Milliarden. Die Hörgeräte-Batterien werden in Ellwangen hergestellt. Aus Nördlingen kommen weitere Mikrobatterien, die zum Beispiel in schnurlosen Headsets zum Einsatz kommen. Auch hier geht die Nachfrage steil nach oben: "Wir werden die Produktionskapazität von derzeit mehr als 50 Millionen Stück pro Jahr auf über 150 Millionen Zellen ausbauen", kündigt Schein an. Dafür müsse man massiv Mitarbeiter einstellen.

    Varta-Aktie ist in die Höhe geschossen

    In der Halle am Stadtrand von Nördlingen, vor der auf dem grünen Rasen ein batteriebetriebener Mähroboter seine Kreise zieht, sollen Anfang nächsten Jahres mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigt sein, sagt Schein. Der Platz reicht kaum mehr aus. Ein Mitarbeiterkasino ist geplant, eine neue Halle soll eineinhalb mal so groß sein wie die bisherige. In Ellwangen errichtet Varta ein neues Hochregallager und erweitert die Produktion. Die Varta-Aktie ist in den letzten Monaten in die Höhe geschossen. Ausgegeben zu 17,50 Euro zum Börsengang 2017 ist das Papier heute über 100 Euro wert. Eine Rolle dürften dabei auch Berichte spielen, dass der iPhone- Konzern Apple in neuen Produkten auf Batterien von Varta zurückgreift.

    Varta-Chef Herbert Schein: Wir scheuen die Konkurrenz aus Asien nicht  

    Varta-Chef Schein macht vor allem eine Weichenstellung für den Erfolg verantwortlich: "Wir haben 2015 entschieden, uns auf kleine Batterien und die Lithium-Ionen-Technik zu konzentrieren", sagt er. "Wir wussten, dass wir diesen Bereich aus eigener Kraft stemmen können." Konkurrenz aus Asien scheut er nicht: "Unsere meisten Batterien exportieren wir sogar nach Asien", sagt er. Zum Beispiel in Länder wie China, Korea oder Japan. Denn dort werden die Elektronikgeräte gebaut, die Akkus brauchen. "Selbst unsere Kunden aus Kalifornien lassen dort produzieren", sagt Schein.

    Varta-Chef Herbert Schein: „Als ich bei Varta anfing, lag unser Marktanteil bei den Batterien für Hörgeräte bei einem Prozent. Heute sind es weit mehr als 50 Prozent.“
    Varta-Chef Herbert Schein: „Als ich bei Varta anfing, lag unser Marktanteil bei den Batterien für Hörgeräte bei einem Prozent. Heute sind es weit mehr als 50 Prozent.“ Foto: Varta AG

    Herbert Schein, 54, ist ein zuversichtlicher Mensch mit großem Fachwissen. Der studierte Ingenieur aus Munningen arbeitete zu Beginn seines Berufslebens bei Siemens in Augsburg. Bei Varta war er zuerst in der Anwendungstechnik sowie Qualitätssicherung tätig, dann als Produktmanager, bevor er die Hörgerätesparte aufbaute. Er führt das Unternehmen seit mehr als zehn Jahren, seit 2016 ist er auch Vorstandschef der Varta AG.

    Die Produktion einer Batterie hat 52 Schritte

    Ein Blick in die Produktion in Nördlingen: Viele Mitarbeiter sind hinter Glas beschäftigt oder in Reinräumen tätig. Partikel sind Gift für die Qualität. Die Anode und Kathode der Batterien zeigen sich anfangs als dünne Bänder, die dann wie Luftschlangen von einer Maschine aufgewickelt und in das knopfgroße Gehäuse gesetzt werden, eine Elektrolytflüssigkeit kommt hinzu, dann wird der Deckel aufgesetzt. Die Produktion einer Batterie – zum Beispiel für ein Headset – hat 52 Schritte. Es ist eine vollautomatisierte Serienfertigung. Der Varta-Chef ist stolz, dass das Unternehmen den kompletten Produktionsprozess abbildet: von der Forschung an Materialien, der Entwicklung neuer Batteriezellen über die Konstruktion der Maschinen, die Produktion von Gehäuseteilen bis hin zur fertigen Batterie. "Rohmaterial wie Lithium und Zink wird bei uns angeliefert, am Ende verlässt eine fertige Batterie das Werk", sagt Schein. Einmal laden, entladen, wieder laden, dann ist die Batterie auslieferbar. 24 Stunden am Tag, an sieben Tagen die Woche, wird in Nördlingen produziert. Derzeit baut Varta um. Um Platz zu schaffen für mehr Maschinen.

    Varta blickt auf eine lange Geschichte zurück. Die Wurzeln liegen in Hagen in Nordrhein-Westfalen, wo der Unternehmer Adolf Müller im Jahr 1887 die "Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller" gründet, kurz AFA. Die Firma wechselt mit ihrem Sitz bald nach Berlin. Im Jahr 1896 bestehen AFA-Akkus auf der Nordpolexpedition von Fridtjof Nansen den Kältetest bei minus 50 Grad und liefern Licht in kalter Dunkelheit. Der Name Varta entsteht 1904, als das Unternehmen eine Tochter zum Vertrieb kleiner Blei-Akkus gründet – zum Beispiel für Taschenlampen. 1922 steigt Günther Quandt als Investor ein. Die Familie ist heute als BMW-Miteigentümerin bekannt. Ein trauriges Kapitel ist die Zeit im Zweiten Weltkrieg. In mehreren Werken werden Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge für die Batterieproduktion eingesetzt, viele verlieren ihr Leben. Nach dem Krieg ein Neustart: Im Jahr 1946 entsteht in Ellwangen das Gerätebatteriewerk, der heutige Hauptsitz. In den 90er Jahren gerät das Unternehmen in die Krise. Der Konzern wird zerschlagen. Der Schweizer Investor Montana Tech Components übernimmt den Mikrobatterie-Bereich, aus dieser Keimzelle beginnt der Wiederaufstieg der heutigen Varta AG.

    Drei Säulen: Mikrobatterien, Heimspeicher, Haushaltsbatterien   

    Scheins Rezept für den Erfolg von Varta: "Wir haben eine besondere Innovationskultur, die wir fördern und ausbauen", sagt er. Kluge Köpfe, die für made in Germany stehen. Das Unternehmen sucht anscheinend gerne die harte Prüfung durch die Raumfahrt. Varta-Batterien versorgten zum Beispiel 1989 Geräte der Raumsonde Galileo auf dem Weg zum Jupiter. Auch 2018 zog es Varta in den Weltraum: Auf der Mission zur Raumstation ISS mit dem deutschen Astronauten Alexander Gerst betrieben die Batterien ein Gerät zur Messung der Muskelspannung.

    Schon bei der Mondlandung 1969 waren Varta-Batterien dabei. In der Kamera, mit der Neil Armstrong seinen Kollegen Buzz Aldrin fotografierte.
    Schon bei der Mondlandung 1969 waren Varta-Batterien dabei. In der Kamera, mit der Neil Armstrong seinen Kollegen Buzz Aldrin fotografierte. Foto: Neil Armstrong, dpa 

    Varta steht heute auf drei Beinen: Zum einen ist die Produktion von Mikrobatterien wichtig. Daneben stellt der Konzern ebenfalls in Nördlingen Stromspeicher her, die in Privathaushalten die Elektrizität einer Photovoltaikanlage für die Nacht zwischenspeichern. Derzeit kauft Varta auch die Produktion von Haushaltsbatterien zurück. Darunter sind beispielsweise die klassischen 1,5-Volt-Batterien, wie sie in Spielzeug eingesetzt werden.

    Um die Batterie ist in der Gesellschaft Streit entbrannt. Ist sie wirklich die optimale Lösung für die E-Mobilität? Ist der Abbau von Lithium nicht umweltschädlich? Stammt Kobalt nicht aus gefährlichen Minen in Afrika? Herbert Schein glaubt an die Zukunft der Batterie in Haushaltsgeräten und E-Autos. Er ist überzeugt, dass Entwickler die Energiedichte der Akkus noch massiv steigern können. Mit Blick auf die Umwelt denkt er, dass hier viele Verbesserungen möglich sind: Varta-Batterien würden bereits heute mit sehr wenig Kobalt produziert. Für Lithium müsse es ein verbessertes Recycling geben.

    Bewerbung um den Aufbau einer Fertigungslinie großer Lithium-Ionen-Akkus in Deutschland

    Auch im Rennen um die Fertigung großer Batteriezellen in Deutschland spielt Varta mit – und hat ambitionierte Pläne: Den Zuschlag des Bundes für eine geplante Forschungsfabrik zur Batteriezellenfertigung hat zwar kürzlich Münster statt Ulm oder Augsburg bekommen. Varta aber bemüht sich statt um ein Forschungsprojekt um eine Förderung für den Aufbau einer richtigen Batterieproduktion. Ein Antrag für den Bau einer Produktionslinie liege derzeit in Brüssel, anschließend könnte das Wirtschaftsministerium in Berlin Gelder freigeben, sagt Schein. Es geht um eine Milliarde Euro Fördergeld. Varta führt hier ein Konsortium mit anderen Partnern an. Solche größeren Lithium-Ionen-Batterien könnten dann auch E-Autos antreiben.

    Schein ist optimistisch: "Dass eine rentable Fertigung von Batterien in Europa möglich ist, haben wir hier in Nördlingen und Ellwangen ja bereits bewiesen", sagt er.

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