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Nachruf: Ratiopharm war Adolf Merckles Lebenswerk

Nachruf

Ratiopharm war Adolf Merckles Lebenswerk

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    Adolf Merckle.
    Adolf Merckle. Foto: DPA

    Von Daniela Hungbaur, Ulm/Blaubeuren Er war ein Familienunternehmer vom alten Schlag: Adolf Merckle galt als schwäbischer Patriarch mit großem Fleiß und Ehrgeiz. Der 74-Jährige hatte sich auf Basis seines

    Der Verhandlungsmarathon mit seinen über 30 Gläubigerbanken hielt die Öffentlichkeit seit Wochen in Atem: Noch in diesen Tagen sollte, wie berichtet, der überfällige Überbrückungskredit unterzeichnet werden. Ein neues Stillhalteabkommen war unter Dach und Fach. Doch Merckles Ziel, die Unternehmensgruppe zusammenzuhalten, konnte ihm auch damit nicht mehr gelingen: Der Verkauf seiner drei wichtigsten Beteiligungen Ratiopharm, des Baustoffriesen Heidelberg Cement und des Pharmagroßhandels Phoenix gelten als sicher. Insgesamt war Merckle Herr eines rund 30 Milliarden schweren Firmenkonglomerats, das etwa 100 000 Mitarbeiter zählt.

    Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger hob gestern hervor, dass Merckle ein mittelständisches Unternehmen von europäischer Bedeutung aufgebaut hat. "Sein unternehmerisches Vermächtnis bleibt." Bundesforschungsministerin Annette Schavan würdigte Merckle als "leidenschaftlichen Unternehmer und bedeutsamen Mäzen".

    Adolf Merckle und sein Sohn Ludwig machten keinen Hehl daraus, wie schwer der Familie gerade die Trennung von ihrem ertragsstarken Pharmariesen Ratiopharm fällt - dem Herzstück des Merckle-Reichs. Die familieneigene Vermögensverwaltung VEM, über die Merckle den Großteil seiner Beteiligungen hält, meldete gestern: "Der Tod des Unternehmers hat keine Auswirkungen auf den weiteren Sanierungsprozess." Doch schon jetzt wird heftig spekuliert, dass nach dem Tod des obersten Bosses die Banken nur noch ihre eigenen Pfründe ins Trockene bringen wollen.

    Die Grundlage für seinen steilen wirtschaftlichen Aufstieg legte Merckle 1974 mit Ratiopharm: Es war das erste deutsche Unternehmen, das sich auf patentfreie Nachahmer-Medikamente (Generika) spezialisierte. Schon damals bewies er ein untrügliches Händchen für das ganz große Geschäft. Schritt für Schritt baute sich der öffentlichkeitsscheue Jurist ein Imperium auf, das ihn laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes mit einem geschätzten Vermögen von 6,9 Milliarden Euro zum fünftreichsten Deutschen machte.

    Bekennender Protestant mit bescheidenem Auftritt

    Dabei blieb sein Auftreten bescheiden: Der vierfache Familienvater lebte mit seiner Frau Ruth in einem schlichten Haus in Blaubeuren. Statt in Limousinen sah man ihn oft auf dem Fahrrad. Der große, pompöse Auftritt war nicht seine Sache, im Gegenteil. Merckle und seine Frau Ruth sind bekennende Protestanten. Seinen Erfolg und Reichtum zeigt man nicht nach außen, aber man ist emsig bestrebt, das Erreichte zu vermehren.

    Ihren Ratiopharm-Mitarbeitern stellte die Familie sogar eine eigene Pastorin zur Seite. Von Adolf Merckle ist auch der Satz überliefert: "Mir ist fremd, etwas aufzugeben." Allein diese Worte lassen erahnen, wie schwer ihn persönlich sein dramatischer Absturz treffen musste. Merckle soll einen Abschiedsbrief hinterlassen haben, in dem er sich für seinen Selbstmord entschuldigte.

    Ehrgeizig, fleißig und ein Taktierer

    Doch das protestantisch-stille Streben nach Wohlstand ist nur die eine Seite der Erfolgsmedaille von Adolf Merckle. Mindestens ebenso wichtig für den zielstrebigen Aufbau des Imperiums ist das geschickte Strippenziehen des Senior-Chefs. Merckle galt als Meister im Taktieren, wenn es darum ging, neue Gesellschaften zu kreieren. Oder immer neue Steuerlöcher zu finden, um die von seinen rund 100 Firmen erwirtschafteten Milliarden geschickt zu vermehren. Ergebnis ist ein selbst von Experten schwer zu durchschauendes Firmengeflecht.

    Gerade diese weiten Verästelungen wurden ihm nun zum Verhängnis, als die internationale Finanzmarktkrise sein Reich voll erwischte. Profitierte Merckle früher von Krisen, indem er sich günstig in Unternehmen einkaufte, wurde er nun selbst Opfer: Gerade in seinen angeschlagenen Baustoffriesen Heidelberg Cement musste er Kapital schaufeln und dafür Kredite aufnehmen. Die dafür hinterlegten Aktien als Sicherheiten waren aber nichts mehr wert.

    Das Fass zum Überlaufen brachten fehlgeschlagene Wetten auf VW-Papiere. Seitdem musste sich der Ex-Vorzeigeunternehmer als "Zocker" beschimpfen lassen. Als er in seiner Not das Land Baden-Württemberg um Hilfe bat, drohte die Meinung über ihn vollends zu kippen, sollte doch der Steuerzahler für die Verluste aufkommen. Sie beziffern sich nach früheren Informationen auf 700 Millionen bis eine Milliarde Euro. Andere Quellen sprachen von Schulden seiner Vermögensverwaltung VEM von drei bis fünf Milliarden Euro.

    Für den Patriarchen, der sich so gerne unbeobachtet im Hintergrund hielt, musste das Tauziehen um die Zukunft seines Lebenswerkes in aller Öffentlichkeit zunehmend unerträglich geworden sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Merckle in diesem Kampf als glorreicher Sieger hervorginge, sank zunehmend gegen null. Dies schien der stolze Selfmade-Milliardär einfach nicht mehr verkraften zu können.

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