„Niemals aufgeben. Der Gerechte darf auch siebenmal hinfallen, wenn er nur achtmal aufsteht.“ (Die Lebensmaxime des Unternehmers und Katholiken Leo Kirch)
Leo Kirch ist tot. Der Medienunternehmer starb am Donnerstag in München. Er wurde 84 Jahre alt. Das Leben des Mannes wird in weiten Teilen ein Rätsel bleiben. Es ist viel über ihn geschrieben und dabei vor allem abgeschrieben worden. Kirch hat sich Journalisten entzogen, in der Angst, Reportern zu viel über sich und seine verwinkelten Geschäfte zu offenbaren. Durchaus selbstironisch erklärte der Unternehmer einmal, warum er als Medienmann Interviewanfragen ablehnt: „Wenn der Journalist nett ist, verrate ich dem doch all meine geheimen Pläne.“ Ein wenig fatalistisch fügte Kirch hinzu: „Die schreiben doch eh, was sie wollen.“
Das soll an dieser Stelle nicht geschehen. Vielleicht gelingt es, ein wenig Licht in das Leben eines derart lustvoll im Verborgenen Handelnden zu bringen, der sich als fleißiger Einsiedler den Ruf eines Bösewichts erwarb. Die einstige Medienmacht Kirchs mit starken Standbeinen im Privatfernsehen (Sat.1, ProSieben, Premiere) und der Beteiligung am Springer-Konzern (Bild, Welt) machte ihn dem linken Lager suspekt, vor allem, weil er die Nähe konservativer Potentaten wie Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber und Helmut Kohl suchte. Letzterem leistete er 2008 bei dessen zweiter Hochzeit als Trauzeuge einen Freundschaftsdienst.
Beide waren sie zu diesem Zeitpunkt seit Jahren gefallene Schwergewichte eines alten Deutschlands, eines Deutschlands, in dem sich Männer in der Nachkriegszeit über Jahrzehnte hinweg Netzwerke aufgebaut haben, immer mächtiger wurden und dann doch in den Staub fielen. Es ist kein Zufall, dass Kirch und Kohl Anfang der 90er Jahre, der eine als Film- und Fernsehkönig, der andere als Kanzler der deutschen Einheit, im Zenit ihrer Macht standen. Ganz oben muss die Luft dünn sein, so dünn, dass sie einen schwächt, zu leichtsinnigen Aktionen verleitet. Der Politiker erkannte nicht, dass seine Zeit abgelaufen war. Der Medienmann versuchte mit 69 Jahren, seinen Konzern neu zu erfinden, in einem Alter, in dem andere, wie er patriarchisch strukturierte Unternehmer längst das Abtreten in Erwägung ziehen.
Wie ein Besessener und gegen alle Warnungen (wie typisch für Patriarchen!) glaubte Kirch daran, dem Bezahlfernsehen gehöre die Zukunft. Der Firmen-Lenker wähnte sich in einem Paradiesgarten, wo Abonnenten dank Fußball, Formel 1 und Hollywoodfilmen frohlocken und einem Gewinne saftig und sanft in den Mund gleiten. Er hatte sich verrannt und – was für einen Unternehmer, der Kunden Emotionen verkaufen will, besonders fatal ist – er hatte den Bezug zu den Sportfans verloren. Und das ausgerechnet Leo Kirch, der in den fünfziger Jahren wie kaum ein anderer wusste, nach welchen Träumen ein Volk verlangt, das in Schutt und Asche gefallen war. Kirch kaufte weltweit Filmrechte. In Rom ging sein Stern auf. Keiner interessierte sich für Fellinis „La Strada“. Der Mann aus der fränkischen Provinz lieh sich – wie stets in seinem Leben – Geld, riskierte viel und kam weiter nach oben. Das oft wiederholte Spiel machte aus ihm einen der bedeutendsten Unternehmer Deutschlands, der aus dem Nichts heraus etwas Großes aufgebaut hatte.
Prägende Stoffe für Generationen
Kirch brachte den Deutschen Filme wie „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman sowie Fernsehserien wie „Don Camillo und Peppone“, „Pippi Langstrumpf“ oder „Die Biene Maja“ – prägende Stoffe für Generationen. Doch er selbst erkannte nicht, dass die Deutschen wenig Lust verspüren, sich von ihm das Bezahlfernsehen verordnen zu lassen. Der Unternehmer wollte es nicht hören, dass Menschen, die TV-Gebühren zahlen und zugleich das werbefinanzierte Privatfernsehen schätzen gelernt haben, nicht in großer Zahl zusätzliches Geld für Sportübertragungen ausgeben.
Kirchs verzweifelter Versuch scheiterte, vor allem Männer umzuerziehen, indem er in seinem frei empfangbaren Sender Sat.1 die Übertragung der Bundesliga auf unattraktive Zeiten verlegte. Seine Rechnung ging nicht auf. Der Ansturm auf Premiere World blieb aus. Das Unheil nahm seinen Lauf. Auch die Banken wollten irgendwann sein Reich nicht mehr wie früher mit Geld so lange fluten, bis wieder Neues heranwächst. Die Kirch-Firmen meldeten im Jahr 2002 reihenweise Insolvenz an. Da konnte dem Patriarchen auch sein Freund Helmut Kohl nicht mehr helfen, der längst über die Spendenaffäre gefallen war, die großzügigen Bimbesgeber aber nicht nennen wollte. Der CDU-Politiker berief sich auf sein Ehrenwort, das er den Betroffenen gegeben habe. Kohl handelte damit auch wie ein Patriarch, ein aus dem Griechischen stammender Begriff, der den Ersten unter den Vätern beschreibt. Damals wurde spekuliert, Kirch gehöre zu den Befüllern der väterlichen schwarzen Kohl-Kassen, was aber bis heute nicht bewiesen werden konnte.
Gefallene Patriarchen verarbeiten ihr Schicksal unterschiedlich. Kohl wirkte noch eine Spur selbstgefälliger und noch eine Portion angewiderter von kritischen Journalisten. Selbstmitleid mischte sich in den ohnehin schwerfällig wirkenden pfälzischen Bewusstseinszustand hinein. Kirch nahm es mit Hiob und sagte nüchtern zum Untergang seines Lebenswerkes: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.“ Kann das stimmen? War dem Katholiken so viel Gleichmut vergönnt, als hätte er die Philosophie der Stoiker inhaliert?
Folgt man dem österreichischen Journalisten und langjährigen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher, spricht vieles dafür, dass der Unternehmer wirklich nicht in Depressionen versank: „Leo Kirch ist ohne jedes Selbstmitleid.“ Er kenne diesen Mann seit Jahrzehnten und habe von ihm noch nie ein Wort der geschäftlichen oder privaten Klage gehört. „Nicht ein einziges“, sagte Bacher beschwörend und gibt gegenüber dem Kirch-Biografen Thomas Clark („Der Filmpate“) weitere Einblicke in das Innenleben des nach außen so Abgeschotteten: „Er will keine Anteilnahme, weder von anderen noch von sich selbst.“
Der frühere ZDF-Intendant Dieter Stolte bestätigte die Psychoanalyse des Österreichers: „Im Grunde genommen ist Leo Kirch ein Einzelgänger.“ Seine Gefühle – und da liegt der Journalist Clark wohl richtig – hat der Unternehmer mit ins Grab genommen.
Er ertrug sein Schicksal mit Fassung
Auf alle Fälle ertrug Kirch sein Schicksal mit Fassung. Man sah ihn regelmäßig auf dem Weg in sein bescheidenes Büro in der Münchner Kardinal-Faulhaber-Straße. Wenn Kirch früher aus dem Auto stieg, drehte er sich um und lächelte. Er war ein charmanter Mann, ein Menschenfänger, wie viele sagen. Mit Fassung ertrug der Unternehmer die Folgen seiner Zuckerkrankheit. Er konnte kaum noch etwas sehen. Zuletzt saß er im Rollstuhl. Sein früherer Geschäftsführer Bodo Scriba sagte: „Er ist ein General, der in den Stiefeln stirbt.“
Auf alle Fälle war Kirch ein sanfter General, wobei der Zusatz Patriarch passender ist. Dem Sohn eines fränkischen Spenglers und Weinbauern aus dem Dorf Fahr fehlte das Aufbrausende und Herrschsüchtige, was andere Patriarchen ihren als Untertanen behandelten Angestellten zumuten.
Kirch sprach leise. Leute, die ihm nahestanden, berichten, seine Wutausbrüche ließen sich an einer Hand abzählen. Er trat eher wie ein guter Familienvater auf, der Mitarbeiter zuvorkommend behandelte. Viele ehemalige Beschäftigte der Kirch-Firmen erzählen einem in München eine fast gleichlautende Geschichte: „Hätte es die Insolvenz doch bloß nicht gegeben! Das war ein gutes Arbeiten. Er hat uns anständig behandelt.“
Als Gentleman wird der Unternehmer beschrieben, was kaum zu den tausendfach niedergeschriebenen verächtlichen Bezeichnungen „Medienmogul“ oder „Medienpate“ passen will. Kirch ist nicht wie ein Mogul, also ein indischer Herrscher, aufgetreten. Privat soll er bescheiden in einem Appartement gelebt haben. Als Pate und damit Mafia-Boss im Sinne des gleichnamigen Romans von Mario Puzo will einem Kirch trotz seiner Versuche, Politiker für sich zu instrumentalisieren, nicht anmuten. Er war kein Marlon-Brando-Typ, eher ein schlitzohriger Kaufmann, der stets das Gras neuer Geschäfte wachsen hörte. Er hat sein Unternehmen (und das wieder in klassischer Patriarchenart) zu lange wie einen mittelständischen Betrieb geführt. Wem er vertraute, an dem hielt er fest, auch bei Enttäuschungen. Sein früherer, im US-Geschäft tätiger Mitarbeiter Klaus Hallig lässt sich in Clarks guter Kirch-Biografie ehrfürchtig zitieren: „Er ist ein Mann, den man nicht mit normalen Maßstäben messen kann.“
Als wollte der so Gekennzeichnete genau das beweisen, hat er nach dem Verlust seines Lebenswerkes einen ungewöhnlichen juristischen Feldzug gegen Rolf-Ernst Breuer, einst Chef der Deutschen Bank, losgetreten. Fast könnte man von Krieg sprechen. Vor Gericht blieb Kirch aber im Ton gemäßigt, wenn auch sein Zorn gegen den Mann nicht zu übersehen war. Stets sagte er: „Erschossen hat mich der Rolf.“ Der Banker habe, so die Argumentationslinie, seine Kreditwürdigkeit in Zweifel gezogen. Dieser Kampf schien Kirch am Leben zu halten. Zuletzt waren ihm auch Punktsiege vergönnt. Am Ende wird es ihn wohl am meisten geärgert haben, dass er seinen Rachefeldzug nicht vollenden konnte.