Der Einsturz der Morandi-Brücke in Genua hat viele Menschen in Deutschland verunsichert: Kann ein derartiges Unglück auch hierzulande passieren?
Ein Blick in die Statistik beunruhigt: In Deutschland gibt es laut der Bundesanstalt für Straßenwesen knapp 40.000 Brücken an Bundesstraßen und Autobahnen. Nur jede zehnte Autobahnbrücke wird mit gut oder sehr gut bewertet. Den Großteil stufen Experten als befriedigend oder ausreichend ein. 14 Prozent der Autobahnbrücken hierzulande erhalten die Noten ausreichend beziehungsweise ungenügend. Unter den zehn marodesten Brücken in Deutschland ist auch eine in Bayern. Die Bundesanstalt für Straßenwesen bewertet die Brücke, die in Ismaning über die Isar führt, mit einer Note von 4,0. Auf der Skala von 1 bis 4 die schlechtmöglichste Bewertung, wie Markus Hennecke, Vorstandsmitglied der Bayerischen Ingenieurekammer Bau, erläutert: "Bei einer 4,0 sperrt man das Bauwerk für den Verkehr."
Note 3,0 oder schlechter für 64 Brücken in der Region
In der Region sieht es nicht viel besser aus. Von den 770 staatlichen Brücken im Regierungsbezirk Schwaben sind 64 mit einer Note von 3,0 oder schlechter benotet worden. Fahren wir tagtäglich auf maroden Brücken, die jederzeit drohen zusammenzubrechen?
Das Bundesverkehrsministerium gibt Entwarnung. Die Benotung einer Brücke sage nichts darüber aus, ob diese einsturzgefährdet ist. Denn Schlaglöcher im Boden würden ebenso die Noten herunterziehen wie fehlende Stäbe im Brückengeländer.
Dennoch ist es ein Rennen gegen die Zeit, die Brücken instandzuhalten. Viele Konstruktionen in Deutschland sind 30 Jahre und älter. "Wir haben im Westen Deutschlands eine Infrastruktur, die in den 70er und 80er Jahren entstanden ist", sagt Hennecke. Die meisten Brücken in Deutschland sind Spannbetonkonstruktionen. Je älter die Bauwerke werden, desto schlechter wird das Material. Daher überprüfen regelmäßig Ingenieure den Zustand der Brücken.
Alle sechs Jahre findet eine Hauptuntersuchung statt, alle drei Jahre eine einfache Überprüfung. Die Experten bewerten beispielsweise den Fluoridgehalt des Baumaterials. Die Salze, wie sie unter anderem beim Streuen im Winter eingesetzt werden, greifen das Eisen im Beton an. Das Material wird porös. Das größte Problem sei aber ein anderes: "Wenn Eisen mit Wasser und Luft in Berührung kommt, schadet das dem Material", sagt Prüfungsingenieur Hennecke.
Große Belastung durch den Verkehr
Während des Einsturzes des Polcevera-Viadukts wütete ein Gewitter. Mehrere Zeugen beobachteten, dass ein Blitz in die Brücke eingeschlug. War das Unwetter schuld an dem Unglück? Hennecke sieht das als unwahrscheinlich an. Starkregen könne nur auf Dauer die Konstruktion gefährden. Zum Beispiel, wenn die Brücke durch Hochwasser unterspült werde. Dagegen könne ein Gewitter allein keine Brücke zum Zusammenbrechen bringen. Der Ingenieur merkt aber an, dass ein hoher Salzgehalt in der Luft, wie in der Hafenstadt Genua, dem Baumaterial Schaden zufügen kann. Das sei aber keinesfalls der alleinige Grund für den Einsturz der Brücke, ist Hennecke überzeugt.
Eine zusätzliche Belastung für die Brücken ist der zunehmende Verkehr. Seit 1980 ist der Gütertransport auf Deutschlands Straßen um das Fünffache angestiegen. Ein Lastwagen wiegt heute doppelt so viel wie in den 1950er Jahren.
Dass eine Brücke ohne Anzeichen einstürzt, sei unwahrscheinlich, wie Prüfungsingenieur Henneke sagt. "Das Versagen der Brücke kündigt sich in der Regel durch Risse oder Beschädigungen an." Das engmaschige Überwachungssystem, das in Deutschland vorgeschrieben ist, mache einen Brückeneinsturz wie in Genua unwahrscheinlich. "Wir haben mit dem System Erfolg", sagt der Ingenieur. Der Gesamtzustand der Brücken sei gut.
25 Brücken im Regierungsbezirk werden aktuell saniert
Dennoch ist es eine ständige Aufgabe des Staates, die Brücken instandzuhalten. Dieses Jahr stehen dem Bund 3,9 Milliarden Euro zur Verfügung, um die Brücken zu erhalten und modernisieren. Im Juni hat die SPD-Landtagsfraktion in Bayern eine Anfrage an die Staatsregierung gestellt. Darin kritisiert die Partei, dass Baubehörden nicht mehr nachkommen, die Brücken zu sanieren. Zwischen 2013 und 2017 veranschlagte der Bayerische Landtag 167 Millionen Euro für Brückenreparaturen, aber nur 105 Millionen wurden ausgegeben.
Ein Problem sei der Personalmangel in den staatlichen Bauämtern. Hier mache sich der Fachkräftemangel bemerkbar, sagt der Prüfungsingenieur Hennecke: "Vom Geld alleine baut man nicht." Im Regierungsbezirk Schwaben werden dieses und kommendes Jahr 25 Brücken saniert. (mit dpa)
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