Roter Lastwagen, Auto, weißer Lastwagen, Auto, Auto, orangefarbener Lastwagen, Transporter. So rauscht der Verkehr über die B25 zwischen Harburg und Nördlingen im Landkreis Donau-Ries. Wer die Strecke häufiger fährt, kennt den Rhythmus. Alles wie immer, oder? Zumindest an diesem Donnerstagvormittag scheint es so. Doch für eine Zeit von etwa zwei Monaten war auch auf der B25 nichts wie immer. Die Corona-Maßnahmen ließen das Land still stehen – oder zumindest stiller. Firmen fuhren die Produktion herunter, schickten Mitarbeiter in Kurzarbeit oder ließen sie von zu Hause arbeiten. Auf den Straßen waren kaum Laster unterwegs. Und jetzt? Die Lastwagen auf der B25 vermitteln: Sie rollt wieder, die Wirtschaft. Aber ist das so? Atmen die Betriebe in der Region wirklich wieder auf? Hat Corona nur eine kurze Delle in der Konjunktur ausgelöst oder sorgte das Virus für den Anfang vom Ende?
"Mit Corona kann man sich nie ganz sicher sein."
Hans-Jürgen Zitzenundefined
Eine schwere Frage. Um die Antwort zu finden, gehen wir auf eine Reise. Auf eine Reise von den Alpen ins Ries. Auf eine Reise, die zu ganz verschiedenen Betrieben führt. Zu Firmen aus der Industrie- und aus der Logistikbranche, aber auch zu einem Koch und einer Veranstaltungshalle. Auf eine Reise, die zeigt: An manchen Stellen verschärft die Corona-Krise die Probleme, die schon da waren. An anderen Stellen stürzt sie Unternehmen in die Krise, die eigentlich ganz gut da standen. Und an manchen Stellen entsteht Neues.
Weil zu jeder Reise Vorbereitung gehört, beginnt diese am Telefon. Mit einem Anruf bei Hans-Jürgen Zitzen. Der 57-Jährige ist bei VR-Bank-Augsburg-Ostallgäu für das Firmenkundengeschäft im Großraum Augsburg zuständig. Er verrät natürlich nicht, wie es den Firmen geht, die er betreut – Bankgeheimnis. Aber er hat einen guten Überblick darüber, was die Unternehmen in finanzieller Hinsicht seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie bewegt hat. Und Zitzen sagt: "Bis zu Corona dachte ich, ich hätte im Bankgeschäft alles erlebt." Doch die Corona-Krise ist anders als alle Krisen zuvor. Sie trifft alle Branchen und sie trifft Unternehmen, die eigentlich gut gewirtschaftet haben und nun in Not geraten, weil etwa Geschäfte zu bleiben mussten.
Zu Beginn der Krise habe viele seiner Kunden die Frage umgetrieben, wie sie Liquidität sichern können. Wie beantragt man Kurzarbeit? Wie kommt man an die Soforthilfen, die der Staat bereitgestellt hat? Erst etwas später fragten die Firmen auch nach Krediten. "Wobei wir sehen: Von den neu vergebenen Krediten seit März sind der kleinere Anteil sogenannte Corona-Kredite – also Kredite, für die der Staat eine Haftung übernimmt. Die überwiegende Mehrheit sind Investitionskredite ohne direkten Bezug zu Corona", sagt Zitzen. Geld, das sich Firmen etwa für Neubauten oder Neuanschaffungen leihen. Viele Firmen legen schon wieder los. Viele Chefs haben ihre Zuversicht nicht verloren, berichtet der Banker. Auch Zitzen blickt recht optimistisch in die Zukunft. "Unsere Region ist wirtschaftlich sehr gut aufgestellt und hat auch andere Herausforderungen gut überwunden", sagt er. Das werde auch diesmal wieder so sein. "Aber mit Corona kann man sich eben nie ganz sicher sein", fügt er hinzu.
Und dann startet die Reise wirklich. In Halblech, einem kleinen Ort nordöstlich von Füssen. Dort, vor blauen Bergen und saftigen Wiesen,ist einer dieser eher zuversichtlichen Unternehmer zu Hause: Mathias Bihler, Chef des gleichnamigen Maschinenbauunternehmens. Seit über 60 Jahren gibt es die Firma, sie beschäftigt inzwischen knapp 900 Mitarbeiter. Zu erklären, was Bihler – oder genauer die Otto Bihler Maschinenfabrik – macht, ist gar nicht so einfach. Knapp lässt es sich vielleicht so beschreiben: Sie baut Maschinen, mit denen andere Metall formen können. Die Kunden kommen aus allen möglichen Branchen: Bihler Maschinen formen zum Beispiel die Metallanhänger an Christbaumkugeln, den Schwingkopf eines elektrischen Rasierapparats, Zünder für Airbags, Operationsnadeln und Teile, die im fast jedem Haus im Sicherungskasten verbaut sind. Die Maschinen können stanzen, pressen, biegen und schweißen, Rasierklingen schärfen und Kettensägen-Teile zusammenbauen. Der Chef, Mathias Bihler, sagt es so: "Jeder kommt eigentlich mindestens einmal am Tag mit einem Produkt in Berührung, das auf einer Bihler-Maschine hergestellt wurde." Nun könnte man meinen: Ein Unternehmen, das so breit aufgestellt ist, kommt sicher durch jede Krise. Doch Corona trifft alle gleichermaßen. Das sagt nicht nur der VR-Bank-Mann Zitzen. Das sagt auch Mathias Bihler.
Wer mit ihm über die Corona-Krise sprechen möchte, schreitet einen langen holzgetäfelten Flur entlang. Dicker Teppichboden dämpft die Schritte. Am Ende des Gangs in einem Konferenz-Zimmer empfängt Bihler die Gesprächspartner. Ein großer Mann im Karo-Hemd mit wachen braunen Augen. Wenn er von all den Dingen erzählt, die mit Maschinen seiner Firma hergestellt werden, kommt er fast ins Schwärmen. Wenn er hingegen an die Corona-Krise und ihre Folgen denkt, wird er stiller. "Als Chef denkt man da natürlich auch an die Verantwortung für die 900 Mitarbeiter und deren Familien", sagt Bihler. Die Firma habe in ihrer über 60-jährigen Geschichte schon manche Krise überstanden – auch dank der engagierten Mitarbeiter, sagt er. Und auch diesmal ist er hoffnungsvoll. Und dennoch: Einfach so wegstecken, das geht nicht.
Bihler erzählt, dass die Krise ja nicht plötzlich mit Corona anfing, sondern sich der Maschinenbau schon davor im Abschwung befunden hat. Tatsächlich hat Corona vieles nur verschärft. Die Probleme waren schon da: Die Deutschen Metall- und Elektrounternehmen exportieren ihre Produkte oft ins Ausland. Aber das Auslandsgeschäft schwächelte schon seit etwa zwei Jahren. Der Handelskrieg zwischen China und den USA verunsicherte viele, der Brexit auch. Die Umsätze der Branche gingen zurück. Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger.
"Mit Nasendraht und Visieren rettet man nicht 900 Arbeitsplätze."
Mathias Bihlerundefined
Zwei mal im Jahr befragt die Industrie- und Handelskammer Schwaben ihre Mitgliedsunternehmen, wie es ihnen gerade geht. Wie sie ihre geschäftliche Lage einschätzen. Dieser Konjunkturindex hat gerade den schlechtesten Wert seit der Finanzkrise erreicht. Er fiel von 117,9 Punkten im Herbst 2019 auf 84 Punkte im Frühjahr 2020. So drastisch wie zuletzt während der Finanzkrise 2008. Der Branchenverband VDMA gibt an, dass der Auftragseingang bei den deutschen Maschinenbauern alleine im Mai 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 35 Prozent zurückgegangen ist. "Wir haben das Glück, dass wir volle Auftragsbücher haben", sagt Bihler. Aber 35 Prozent Auftragsrückgang, das steckt ein Unternehmen nicht einfach so weg.
Die Allgäuer haben deshalb ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Und in der Corona-Krise hat sich die Firma mit kleineren Projekten beschäftigt: Innerhalb von zehn Tagen haben Mitarbeiter etwa eine Maschine entworfen, die Nasendrähte für Mund-Nasen-Bedeckungen herstellt. Eine Zusammenarbeit mit dem Autozulieferer Zettl, der in der Corona-Krise im Auftrag der bayerischen Staatsregierung eben diese Schutzmasken produziert hat. "Daraus hat sich die Idee entwickelt, ein Schutz-Visier zu bauen", erzählt Bihler. Denn in manchen Bereichen der Produktion arbeiteten Mitarbeiter manchmal enger zusammen und die 1,5 Meter Abstand können nicht eingehalten werden. Für ihren Schutz gibt es Visiere aus Eigenproduktion – und die lassen sich jetzt auch in einem Online-Shop bestellen. "Aber mit einem Nasendraht und einem Visier rettet man nicht 900 Arbeitsplätze", sagt Bihler.
Deshalb versucht der Chef nun, neue Aufträge zu gewinnen. Das ist vielleicht schwieriger geworden – aber nicht unmöglich. Gerade verhandelt er etwa mit einem großen Autohersteller. Der möchte in Zukunft mehr E-Motoren bauen. Und Bihler könnte ihm Maschinen liefern, die Teile dafür automatisiert fertigen. Bihler ist zuversichtlich, dass die Zusammenarbeit klappt. Das wäre schon mal ein Anfang – im Herbst werde sich zeigen, wie es mit der Krise weitergeht. Läuft die Wirtschaft wieder an oder kommt sie richtig ins Stocken. Auch Bihler weiß es natürlich nicht, aber er glaubt, es wird wieder besser.
Etwa 50 Kilometer weiter im Westen hat die Corona-Krise mit voller Wucht zugeschlagen. Auch dort – in der Big Box in Kempten – sind alle Hoffnungen auf den Herbst gerichtet. Die Big Box ist ein großer Veranstaltungsort, in einen ihrer Säle passen bis zu 9000 Gäste. Dort treten Künstler auf wie der Kabarettist Maxi Schafroth, der Sänger Max Raabe oder die Stripper-Gruppe Chippendales. Insgesamtsind dort 245 Mitarbeiter beschäftigt. Sie alle stehen gerade mehr oder weniger vor dem Nichts. Denn alle großen Veranstaltungen sind abgesagt. Seit Monaten. Und bisher ist auch noch nicht ganz klar, wann sich das wieder ändert. Wie ist das, wenn man völlig unverschuldet in Not gerät? "Traurig", sagt Ramona Kloos am Telefon. Sie ist Marketing-Chefin in der Big Box. Jetzt im Sommer wären zwar nicht viele große Konzerte oder Auftritte gewesen, aber im Juni hätten zum Beispiel Die Toten Hosen in der Big Box gespielt. Stattdessen bleiben die Hallen leer.
Keine Künstler, keine Catering-Mitarbeiter, keine Licht- und Tontechniker, keine Zuschauer betreten die Räume. Nur die Reinigungskräfte gehen manchmal durch. Dabei war vor Ausbruch des Virus alles hervorragend gelaufen. "Das Geschäftsjahr wäre das beste in unserer Geschichte gewesen", sagt Kloos. Wäre.
Jetzt sind auch die etwa 70 festangestellten Mitarbeiter der Big Box in Kurzarbeit. Manche arbeiten gar nicht – andere, wie Kloos, wenig. Viele der 450-Euro-Kräfte, die normalerweise beim Aufbau, beim Kartenverkauf oder bei der Bewirtung helfen, haben keine Arbeit mehr. Wie der Big Box geht es fast allen Veranstaltern im Land. Ende Juni haben sie mit der "Night of Lights" auf ihre Situation aufmerksam gemacht.
Wenn sich nicht bald etwas ändert, ist die Branche in 100 Tagen bankrott. Das war damals die Botschaft. Auch die Big Box hatte sich beteiligt und war rot angestrahlt. "Wir planen normalerweise länger als 100 Tag im Voraus", sagt Kloos. Dennoch: Corona trifft den Allgäuer Veranstalter. In einem Interview erzählte Chef Christof Feneberg unlängst: "Ich schätze, die Krise wirft uns drei bis fünf Jahre zurück, wenn es gut läuft. Wer kann das heute schon genau sagen."
Wenig später erlaubte die bayerische Staatsregierung in Innenräumen wieder Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmern. Auch keine große Hilfe für die Big Box. "Wir haben relativ hohe Fixkosten. Mit einer so kleinen Gästezahl können wir unsere Ausgaben nicht decken", erklärt Kloos. Die Zeiten mögen zwar nicht rosig sein, dennoch planen die Kemptener schon die Auftritte für das Frühjahr 2021.
Was im Frühjahr 2021 bei ihm passieren wird, kann Ralf Schmid noch nicht sagen. Aber der Chef des Allgäu Airport in Memmingen ist sich sicher: Es wird wieder viel geflogen. Auch auf dem Allgäu Airport war in der Corona-Hochzeit fast nichts los. Die Grenzen waren zu. Die Airlines sagten ihre Flüge ab. Der Flughafen war quasi geschlossen. Nur für den Notbetrieb hatte er noch geöffnet: Es landeten Flugzeuge, die gestrandete Touristen zurück nach Hause brachten, es flogen Maschinen mit Organtransporten ab. Aber der reguläre Betrieb ruhte.
Inzwischen ist davon nichts mehr zu spüren.Es ist ein Mittwochnachmittag, am Terminal warten Passagiere mit Sonnenhüten und in Sandalen darauf, abzufliegen. Ziel: Faro in Portugal. Eine kleinere Gruppe hat sich um einen Tisch versammelt, die Stimmung ist gut. Die Männer und Frauen trinken noch ihre Biere aus, bevor sie sich – natürlich mit dem nötigen Abstand und Maske – in die Boarding-Schlange einreihen. "Mittwochs ist schon immer ein eher ruhiger Tag", sagt Marina Siladij, Pressesprecherin am Allgäu Airport. Kurz darauf landet der nächste Flieger. Er kommt aus der mazedonischen Hauptstadt Skopje und wird auch wieder dorthin zurückfliegen. Im Schnitt sind die Flugzeuge 25 Minuten am Boden, dann geht es weiter. Daran hat auch Corona nichts geändert.
Am Tag landen und starten hier zwischen zehn und 16 Flugzeuge. "Wir sind wieder bei rund 70 Prozent der Auslastung vor Corona", sagt Flughafen-Chef Schmid. Er rechnet damit, dass bis Ende des Jahres etwa eine Million Reisende den Flughafen passieren werden. Im vergangenen Jahr – dem bisher besten in der Geschichte des Regionalflughafens – waren es 1,7 Millionen. Und eigentlich hätte dieser Rekord 2020 übertroffen werden sollen. Stattdessen brach die Corona-Pandemie aus und ließ alle Geschäftserwartungen ungültig werden.
"So gesehen wirft uns die Krise vier Jahre zurück."
Ralf schmidundefined
Dennoch: Verglichen mit anderen Regionalflughäfen steht der Allgäu Airport gut da. Das hat drei Gründe: Er bietet keine Flüge innerhalb Deutschlands und keine Langstreckenflüge an. Beides funktioniert momentan nicht. Langstreckenflüge fallen aus, weil viele Länder außerhalb Europas strenge Einreisebedingungen haben. Und innerdeutsche Flüge zu den großen internationalen Flughäfen funktionieren nicht, weil es von dort keine Anschlussflüge gibt. Der dritte Punkt: Ab Memmingen fliegen Ryanair und Wizz Air. Beide Fluggesellschaften haben während Corona nur relativ kurz pausiert. Beide Fluggesellschaften haben niedrige Betriebskosten, können also auch bei einem kompletten Stillstand des Flugverkehrs relativ lange überleben. Gut für den Memminger Flughafen.
Aber natürlich spüren sie auch dort die Krise. Flughafen-Chef Schmid sagt: "Auch wir mussten einen Kredit aufnehmen, sonst hält man das nicht durch." Dennoch sieht er die Lage recht entspannt, und spricht offen über die Situation, rechnet vor, dass zuletzt 2016 weniger als eine Million Menschen von und nach Memmingen geflogen sind. "So gesehen wirft uns die Krise vier Jahre zurück." Er sagt aber auch, dass die Krise ein bisschen Luft zum Verschnaufen geschaffen hat. Mitarbeiter hätten Reparaturen erledigen können, für die sonst Fremdfirmen beauftragt worden wären. Auch die Erweiterung der Gepäckhalle muss nicht ganz so schnell fertig sein. "Das spart uns Geld", sagt Schmid. Was er sich dennoch gewünscht hätte: Mehr Unterstützung von der Politik – "aber mit Luftfahrt-Politik kann man nichts gewinnen".
Es geht weiter in Richtung Norden. Der nächste Stopp ist Gersthofen. Unweit der A8 sitzt dort das Logistik-Unternehmen Andreas Schmid Group. Noch ist es zu früh am Tag, als dass dort viel Betrieb wäre. Doch nach und nach trudeln einzelne Laster ein und bringen ihre Ladung zur Halle 6. So heißt die große Umschlagshalle. Am Tag sind es etwa 120 Laster, die hier ankommen und abfahren. Sie kommen aus ganz Südeuropa, von Gersthofen wird ihre Ladung in den Norden verteilt. Armin Dullinger steht auf einer Art Balkon über dem Umschlagsplatz und deutet auf Gabelstapler, die hin- und herfahren und auf verschiedene Güter, die in der Halle darauf warten, verladen zu werden. "Da hinten steht zum Beispiel ein Mountainbike, dort ein Grill oder da, die roten Betonmischer", sagt der Prokurist. Für einen ungeübten Betrachter ist es als guckte er auf ein Wimmelbild und suche Walter. Mountainbike? Grill? Betonmischer? Ah, ja da hinten! Jeden Tag fülle sich die Halle zweimal komplett mit ankommenden Gütern und leere sich wieder, sagt Dullinger.
Wie ist das, wenn die Grenzen dicht sind? Wenn Firmen langsamer oder gar nicht mehr produzieren? Wenn plötzlich Teile nicht mehr pünktlich von einer Fertigungsstätte zur nächsten gefahren werden müssen, weil dort eh niemand arbeitet? Wird es dann nicht ziemlich ruhig an einem so wuseligen Ort? Im Gegenteil, sagt Dullinger. Manchmal waren die Hallen voller als sonst.
Wie das sein kann, ist eine gute Frage für Alessandro Cacciola. Cacciola, dunkelblauer Anzug, auf das Hemd abgestimmtes Einstecktuch, akkurat gestutzter grauer Bart, ist seit eineinhalb Jahren Vorstandschef der Andreas Schmid Gruppe. Mit seinem Dienstantritt hat das Unternehmen aus Gersthofen begonnen, sich neu auszurichten, erzählt er. Man wolle internationaler und digitaler werden. Mit dem Andreas Schmid Lab hat die Gruppe eine eigene Gesellschaft gegründet, die sich mit dem Thema Innovationen befasst.
Das erste Jahr der Umstrukturierung lief recht gut. 2020 hätten die Grundsteine – zum Beispiel durch Zusammenarbeiten – im Ausland gelegt werden sollen. Durch Corona sei der Umbau etwas verlangsamt worden – aber insgesamt sei die Gruppe auf dem richtigen Weg, sagt Cacciola. Er spricht gelassen. Wer ihm zuhört, glaubt fast, dass Andreas Schmid problemlos durch die Krise gekommen ist. Ganz so ist es aber nicht. "Es gibt zum Beispiel einfach Termine, zu denen muss man hinfahren, sich vor Ort ein Bild machen", sagt Cacciola. Etwa wenn es darum gehe, mit einem Unternehmen im Ausland enger zusammenzuarbeiten.
Aber ansonsten? "Zu Beginn der Corona-Pandemie hat sich unser Geschäft etwas verlagert. Statt Firmenkunden haben wir viele Verbraucher beliefert. Was sicherlich an dem während der Krise stark gestiegenen Online-Handel liegt", sagt Cacciola und erzählt von einem Tag, an dem fast die ganze Halle 6 voll gestanden habe mit Fahrrädern. "Weil sich auf einmal alle ein Fahrrad bestellt haben." Oder davon, wie ein Kunde – eine Drogerie – vier Mal so häufig beliefert wurde. "Die Laster waren alle voll mit Klopapier." Wie an vielleicht keiner anderen Branche lässt sich an der Logistikbranche ablesen, was die Wirtschaft gerade antreibt und die Konsumenten bewegt.
Cacciola kann aber auch von Lkw-Fahrern berichten, die auf Supermarktplätzen klatschend empfangen wurden. Sie galten auf einmal als systemrelevant – wo sich doch sonst jeder über die endlos langen Lastwagenschlagen auf Autobahnen aufrege. Etwas, das den Vorstandschef sichtlich freut. Und inzwischen? Habe sich die Situation wieder etwas normalisiert. "Aber ich glaube, dass die Lieferketten sich verändern werden", sagt Cacciola. "Viele Firmen werden mehr regionale Lagerkapazitäten aufbauen und nicht mehr alles ganz so eng takten. Aber die Geschäftsbeziehungen vieler Firmen bleiben natürlich global", erwartet er.
Etwa 30 Minuten Autofahrt Richtung Norden liegt Airbus Helicopters – der nächste Halt auf der Reise. Das Werksgelände in Donauwörth ist so groß, dass es von oben betrachtet aussieht, als wären die Hallen die eigentliche Stadt. Mitarbeiter, die zwischen den einzelnen Werksteilen unterwegs sind, bekommen ein Fahrrad, damit sie schneller sind. Die Dimension macht schon deutlich: Wenn dieser Riese wankt, zieht er viel nach sich. 7000 Beschäftigte hat Airbus Helicopters. Sie bauen Hubschrauber und zum Teil auch Flugzeugtüren für Airbus. Aber der europäische Flugzeugbauer spürt die Folgen der Corona-Pandemie sehr deutlich.
Wenn weniger geflogen wird, brauchen Airlines auch weniger Flugzeuge, stornieren Aufträge vielleicht sogar, weil ihnen das Geld fehlt. Airbus hat deshalb angekündigt seine Flugzeugproduktion in den kommenden zwei Jahren um 40 Prozent zu senken. Direkte Auswirkungen hat das etwa auf die Augsburger Tochterfirma Premium Aerotec. In dem Werk stehen etwa 1000 Jobs auf der Kippe.
Und auch die Beschäftigten in Donauwörth bangen, weil sich vermutlich weniger Flugzeugtüren herstellen werden. Für sie hatte das Hubschrauberwerk schon Kurzarbeit angemeldet. Die Verträge von Leiharbeitern wurden zum Teil nicht verlängert. Der schwäbische IG-Metall-Chef Michael Leppek beruhigt sie dennoch und sagt: "Im Hubschrauberbau läuft es gut." Die Frage ist aber: Wie lange noch?
Die Hubschrauber, die Airbus baut, werden von Rettungskräften, der Polizei, dem Militär und hin und wieder auch Privatpersonen oder Firmen gekauft. Sie alle müssen sparen. Die Rettungskräfte, weil sie von der öffentlichen Hand finanziert werden – und der wiederum brechen Steuereinnahmen weg. "Eine Möglichkeit ist es dann natürlich, die Hubschrauber, die man schon hat, länger fliegen zu lassen und nicht so bald neue zu bestellen", sagt Gregor von Kursell, Sprecher von Airbus Helicopters. Zwar hätten verschiedene Politiker schon angekündigt Investitionen vorzuziehen – eine Nachricht, die in Donauwörth freudig aufgenommen wurde. Die Frage ist nur: Kommt da wirklich was? Und wenn ja, wann?
Noch hat auch der Hubschrauberbauer genug zu tun. Teile seiner Belegschaft schickte aber auch Airbus Helicopters in Kurzarbeit – nämlich jene, die Flugzeugtüren bauen. Verträge von Leiharbeitern wurden nicht verlängert. Ansonsten hätten sich während der vergangenen Monate nur Kleinigkeiten verändert, sagt von Kursell. Etwa die Arbeitsabläufe. "Wir haben Schichten flexibilisiert. Es gibt keine persönlichen Übergaben mehr zwischen den Schichten", erzählt er. So solle der Kontakt zwischen den Mitarbeitern möglichst gering gehalten werden. Auch auf der Reise darf das Hubschrauber-Werk nicht besucht werden. "Es dürfen nur Menschen ins Werk, die wirklich hier arbeiten", sagt er – und Politiker. Von ihnen waren in den ersten Juli Wochen gleich mehrere zu Besuch. Unter anderem Ministerpräsident Markus Söder und Kanzleramtsminister Helge Braun. Das zeigt: Es steht viel auf dem Spiel – und es wird wohl noch dauern, bis bei Airbus Helicopters wieder alles so ist wie vor der Krise.
Jockl Kaiser ist dagegen schon wieder mittendrin im Alltagsgeschäft. Zwei Monate lang war der Meyers Keller in Nördlingen komplett geschlossen. Das Sternerestaurant durfte keine Gäste empfangen, keine Tagungen abhalten, keine Hochzeiten veranstalten. Musste sein Weinzelt auf der Nördlinger Mess – dem Volksfest in der Reichsstadt – absagen, hat seine Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und war eines von 42.000 Unternehmen in ganz Schwaben, das Soforthilfen von der bayerischen Staatsregierung bekommen hat.
Doch davon ist an diesem Tag wenig zu spüren. Der Chef Jockl Kaiser ist gut beschäftigt. Gerade hat er eine Gruppe von der Marketinggesellschaft Bayern Tourismus zu Gast. Die Organisation tüftelt an einem Programm, um Bayern bei Touristen noch beliebter zu machen. Und Kaiser ist einer von mehreren Paten. "Es ist wirklich toll, wen man da alles noch trifft, Künstler, Winzer, Affineure", sagt er. Und setzt sich dann zum Gespräch an einen langen Holztisch. Der ganze Raum atmet Gemütlichkeit. Die Holzmöbel, das Licht, die weiß gestrichenen Backsteinwände. "Das hier ist unser Wohnzimmer", sagt Kaiser als er davon erzählt, wie er und seine Frau Evelin, durch die Krise gekommen sind. Und man glaubt es ihm sofort.
"Ab Tag eins waren unsere Gäste wieder da."
Jockl Kaiserundefined
Inzwischen ist der Restaurantbetrieb wieder in vollem Gange, alle Angestellten sind aus der Kurzarbeit zurückgekehrt, die Köche stehen wieder in der Küche. Und auch die Gäste kommen wieder wie gewohnt. "Ab Tag eins, als wir wieder öffnen durften, waren unsere Gäste wieder da", erzählt Kaiser und freut sich. "Das ist schön zu sehen, dass wir den Menschen gefehlt haben."
Es hätte ja auch ganz anders kommen können. Meyers Keller ist zwar ein Wirtshaus – weil Kaiser und seine Frau sich selbst als Wirtsleute verstehen – aber eben auch eines auf Sterne-Niveau und mit gehobenen Preisen. Luxus also. Und Luxus muss man sich leisten können. In Zeiten, in denen die Konsumlaune sinkt, Menschen verunsichert sind, was sie sich noch leisten können werden – da hätte ein Restaurant wie das von Jockl Kaiser auch leiden können. "Aber wir merken richtig, wie gut es den Gästen tut, wieder raus zu kommen. Sich etwas zu gönnen nach all der Zeit der Unsicherheit", berichtet der Chef.
Und er selbst? Er sei zwar froh gewesen, einmal zur Ruhe zu kommen, sagt er. Einmal über alles, was er in den vergangenen Jahren angestoßen habe, nachzudenken. Zu überprüfen, ob der Weg, den er und seine Frau eingeschlagen haben, noch der richtige sei. "Aber als es wieder richtig los ging, habe ich deutlich gemerkt, wie sehr das alles an meinen Nerven gezerrt hat", erzählt er und legt leicht den Kopf zur Seite. Dabei weiß er sehr genau: Ihm geht es im Vergleich zu vielen Kollegen gut. Gerade konnte er zwei neue Mitarbeiter einstellen. Auch das ist etwas Besonderes in einer Krisenzeit. "Ich rede viel mit Kollegen, lasse mich informieren, wie es ihnen geht. Und was ich da zum Teil mitbekomme, ist schon hart", sagt Kaiser. Die Gastronomie ist eben eine Branche, in der jeder verdiente Cent wieder investiert werde, in der die Liquidität gering ist und in der nun viele Betriebe um ihr Überleben bangen. "Wenn es für uns gut ausgeht, kommen wir am Ende des Jahres auf Null raus", sagt Kaiser. "Aber das ist eben kein Gewinn."
Dann muss Kaiser wieder weiter. Die Arbeit ruft, der nächste Gesprächspartner wartet schon.
Auf dem Rückweg geht es auf die B25. Und während vor einem ein Lastwagen Schüttgut transportiert, die Autofahrer hinter einem nervös aus- und einscheren, weil sie unbedingt irgendwo sein müssen, kommt wieder der Gedanke: Da rollt sie doch die Wirtschaft. Oder zumindest rollt sie wieder an.
Dieser Text erschien erstmals am 23. Juli 2020. Nun wurde er in der Kategorie "Bestes Lokales Digitalprojekt" für den Theodor-Wolff-Preis nominiert.
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