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Interview: Münchens Messechef Dittrich: "Wir haben bis jetzt rund 170 Millionen Euro verloren"

Interview

Münchens Messechef Dittrich: "Wir haben bis jetzt rund 170 Millionen Euro verloren"

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    Klaus Dittrich ist der Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe München.
    Klaus Dittrich ist der Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe München. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Herr Dittrich, wie hart waren die vergangenen Corona-Monate für den Chef einer der erfolgreichsten Messe-Gesellschaften der Welt?

    Klaus Dittrich: Corona war für uns eine harte Landung, nachdem wir im vergangenen Jahr als Messe München noch so erfolgreich wie nie zuvor waren. Sowohl, was Umsatz und Gewinn betrifft, hatten wir neue Rekorde aufgestellt. Innerhalb von Wochen brachen dann die Umsätze weg. Unsere Verwundbarkeit wurde deutlich. Das war ein brutaler Einschnitt. Ab 2. März mussten wir bis heute alle Veranstaltungen absagen oder verschieben. So haben wir bis jetzt rund 170 Millionen Euro verloren, das ist mehr als die Hälfte unseres Umsatzes. Das ist dramatisch.

    Wie haben Sie auf die Wucht der Krise als besonders betroffenes Unternehmen reagiert?

    Dittrich: Wir sind ab 17. März komplett ins Homeoffice gegangen, nachdem die Staatsregierung wenige Tage zuvor angekündigt hatte, Schulen, Kindergärten und Kitas zu schließen. Wir mussten rasch reagieren, auch weil etwa zwei Drittel unserer Beschäftigten Frauen sind. Die Eltern mussten ja die Chance haben, ihre Kinder zu betreuen. Uns kam zugute, dass wir die IT schon vor eineinhalb Jahren auf das mobile Arbeiten umgestellt haben. Und dann hilft uns natürlich seit 1. April Kurzarbeit, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern. Die Kurzarbeit wird sicher noch einige Zeit andauern. Das hängt jetzt davon ab, wie der Herbst für uns läuft.

    Bayern hat ja beschlossen, dass Messen ab 1. September wieder stattfinden dürfen. Geht es dann auch in München wieder los, obwohl die Corona-Zahlen erneut spürbar ansteigen?

    Dittrich: Es geht wieder los. Dabei hilft uns auch in Zeiten leicht ansteigender Corona-Zahlen, dass wir zusammen mit den Messen in Augsburg und Nürnberg ein überzeugendes Hygiene-Konzept entwickelt haben.

    Wie sieht das Konzept aus?

    Dittrich: Besucher müssen zueinander Abstand halten und alle Teilnehmer werden registriert, damit nachverfolgt werden kann, wer da war, wenn es zu Infektionen kommt. Wir appellieren zudem, die offizielle Corona-App zu nutzen. Wo man den notwendigen Abstand nicht einhalten kann, muss eine Maske getragen werden. Wenn man sich am Stand an einen Tisch setzt, darf man nach jetzigem Stand die Maske abnehmen.

    Reicht das wirklich aus?

    Dittrich: Natürlich werden alle Bereiche der Messe öfter als früher gereinigt und regelmäßig desinfiziert. Und die Gänge zwischen den Ständen werden breiter angelegt und die Stände selbst großzügiger ausgelegt. Messen in Corona-Zeiten werden anders. Für die Expo Real, unsere Immobilienmesse, haben wir ein hybrides Konzept entwickelt.

    Wie sieht denn ein solches hybrides Messekonzept aus?

    Dittrich: Die Teilnehmer können sich auf der Expo Real sowohl vor Ort physisch am 14. und 15. Oktober treffen, weil wir so viel Platz vorhalten, dass die Abstandsregeln eingehalten werden können. Etwa 2700 Menschen können zu uns kommen, während es 2019 noch fast 47000 waren. Der Rest wird online zugeschaltet. Das ist eben eine hybride Messe. Wir suchen neue Formate und sagen Messen nicht einfach ab. So treten dann zum Teil bei uns vor Ort Redner auf der Bühne auf. Ihre Vorträge werden übertragen. Menschen können weltweit online teilnehmen und mitdiskutieren. Das funktioniert sehr gut. Dieser Digitalisierungs-Schub bleibt, auch nach Corona. So können wir in Zukunft die Reichweite von Messen über digitale Kanäle steigern.

    Besteht dann nicht die Gefahr, dass Messen in der Nach-Corona-Zeit schrumpfen, wenn sich viele Menschen die lästige Anreise einfach sparen?

    Dittrich: Diese Gefahr sehe ich nicht. Denn unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass zwar Workshops und Webinare sowie die persönliche Vernetzung als digitale Angebote gut funktionieren, aber kein umfänglicher Ersatz für das sind, was auf Messen geschieht. Beim abgesagten Genfer Autosalon haben wir gesehen, dass es eben etwas anderes ist, ob Menschen sich zum Beispiel in ein Auto setzen oder sich die Produkte nur im Internet anschauen können. Schon Autofarben wirken digital anders als real.

    Noch einmal: Ersetzt die Digitalisierung nicht einen Teil des Messegeschäfts?

    Dittrich: Messen werden nach Corona an alte Erfolge anknüpfen. Menschen wollen Menschen in die Augen schauen und erleben, wie sie reagieren. Die persönliche Begegnung auf Messen ist digital nicht ersetzbar.

    Was macht Sie da so sicher?

    Dittrich: Nach den Erfahrungen der letzten Monate machen mich hier die Reaktionen der Finanzmärkte so sicher. So hat der Staatsfonds von Singapur eine Milliarde Dollar in den weltgrößten Veranstalter von Messen, das britische Unternehmen Informa, investiert. Und der Sohn von Rupert Murdoch ist bei der Schweizer Messegesellschaft MCH eingestiegen. Das zeigt, die Finanzmärkte glauben an die Zukunft von Messen. Die schlechte Nachricht ist, dass wir als ebenfalls weltweit tätiger Messeveranstalter, der Veranstaltungen unter anderem in China, Indien, Russland oder Brasilien durchführt, immer mächtigere Konkurrenten bekommen. Wir als Münchner Messe rangieren weltweit auf Platz sechs. Auch wenn Frankfurt die IAA an uns verloren hat, bleibt die dortige Messe die Nummer drei hinter zwei britischen Anbietern.

    Die weltgrößte Autoschau IAA kommt nach München.
    Die weltgrößte Autoschau IAA kommt nach München. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Trotz Ihrer Zuversicht wird dieses Jahr für ihre Branche verheerend. Wo landen Sie Ende 2020?

    Dittrich: Schon jetzt steht fest, dass wir rote Zahlen schreiben werden. Im Herbst wird sich zeigen, wie lange unsere finanziellen Reserven reichen. Wenn große Messen im Herbst und Winter wie die Analytica für Labortechnik, die Elektronica als Weltleitmesse für elektronische Komponenten oder die Automatisierungsmesse Automatica doch nicht wie geplant stattfinden können, müssen wir sicher weitere Sparmaßnahmen einleiten. Wir haben zwar ein überzeugendes Hygienekonzept, aber viele Menschen glauben immer noch nicht daran, dass Messen unter Corona-Bedingungen funktionieren. Das ist der Unsicherheitsfaktor für uns. Doch ich glaube, dass die Menschen in diesem Jahr wieder mehr Vertrauen in Messen finden werden. Die Frankfurter Buchmesse im Oktober könnte deutschlandweit den Durchbruch bringen.

    Doch viele Menschen können gar nicht zu Messen kommen, weil sie coronabedingt noch länger nicht reisen dürfen.

    Dittrich: Das ist für uns in der Tat ein Risiko. Wir verfügen über 14 Weltleitmessen. Wenn die Besucher nicht aus aller Welt zu uns kommen können, lohnt sich für manchen Aussteller die Teilnahme nicht mehr. Ich glaube jedenfalls, dass sich die Corona-Auswirkungen weit in das Jahr 2021 ziehen werden und unser Geschäft beeinträchtigen.

    Gibt es schon Absagen für 2021?

    Dittrich: Ja, wir haben schon die ersten Absagen für nächstes Jahr. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir weiter sparen müssen, zumal die eigentliche Wirtschaftskrise im Zuge von Corona erst noch kommt. Das ein oder andere Unternehmen wird dem zum Opfer fallen oder übernommen werden und damit als Aussteller ausfallen.

    Wann ist die Messe-Welt wieder so heil wie 2019?

    Dittrich: Ich gehe davon aus, dass es mindestens drei bis fünf Jahre dauert, ehe wir an alte Rekorde wie im vergangenen Jahr anknüpfen können.

    Für September 2021 haben Sie für München die Automesse IAA an Land gezogen und Frankfurt weggeschnappt. Wird das trotz Wirtschaftskrise eine interessante Schau oder eine mit angezogener Handbremse?

    Dittrich: Es wird eine interessante und vor allem sehr innovative Veranstaltung. Zusammen mit dem Autoverband VDA werden wir die international führende Plattform für die Mobilität der Zukunft bauen.

    Was erwartet Besucher konkret?

    Dittrich: Auf der IAA wird es nicht nur die neuesten Autos zu sehen geben, sondern zudem auch integrierte Verkehrskonzepte, also das Zusammenspiel von Auto, Öffentlichem Nahverkehr oder Elektrofahrrädern. Besucher können dort auch elektrisch angetriebene Flugtaxis anschauen, auch wenn die Geräte 2021 noch nicht abheben. Gäste können zudem in autonom fahrende Busse steigen oder selbst Elektroautos ausprobieren. Zudem wollen wir Verkehrsprobleme von Städten aufzeigen und Lösungen anbieten. Dazu binden wir die Stadt München und das Umland ein.

    Auf der IAA werden sicher auch Klimaschützer wie auf der Messe im Jahr 2019 anrücken und protestieren. Wie wollen sie mit ihnen umgehen?

    Dittrich: Wir wollen auf die Kritiker der Autoindustrie zugehen und sie an Diskussionsveranstaltungen beteiligen. Mancher Kritiker wird erstaunt sein: So richten wir von der Messe in das Stadtzentrum eine Spur extra nur für emissionsarme oder -freie Fahrzeuge ein, eine sogeannte „Blue Lane“. Der Genuss des schnelleren Vorankommens wird nicht nur IAA-Gästen, sondern auch München-Pendlern zuteil. So kommen die Fahrer schneller in die Stadt und zu uns raus auf die Messe. Wir arbeiten auch an einer schnellen Fahrrad-Verbindung. Diese Strecken verbinden die Messe im Münchner Osten mit der Innenstadt, wo auch Schauplätze der IAA sein werden. Am Ende können unsere Experimente dazu beitragen, den Verkehr in München umweltfreundlicher zu machen.

    Strahlt die Messe IAA über München hinaus aus?

    Dittrich: Weit über München hinaus. Jeder Euro Umsatz bei der Messe München sorgt bundesweit für zehn Euro Umsatz bei Dritten, wie eine Studie des Ifo-Instituts zeigt. Das sind die Hotellerie, die Gastronomie, der Einzelhandel, die Standbaufirmen, Taxis, das Reinigungs- und Bewachungsgewerbe und viele andere Bereiche. IAA-Gäste werden auch in Augsburg oder im Allgäu, ja sogar in Österreich übernachten. Alle werden davon profitieren.

    Wie wird man eigentlich Messe-Chef? Sie waren ja einmal DGB-Vize in Bayern, also einer der führenden Gewerkschafter. Jetzt sind Sie ein erfolgreicher Kapitalist.

    Dittrich: Ich erzähle mal die ganze Wahrheit: Ich habe mit einem Germanistikstudium begonnen und wollte ursprünglich Lehrer werden.

    Das ist doch ein schöner Beruf.

    Dittrich: Dann hieß es, es gäbe zu viele Lehrer. Das sei eine brotlose Kunst. Darauf habe ich mein Studium der Germanistik und Politikwissenschaften fertig gemacht und meine Berufslaufbahn in der Bayerischen Staatsbibliothek begonnen. Nun stand ich vor der Entscheidung, mir einen Job in einem Verlag zu suchen oder mein gesellschaftliches Engagement zum Beruf zu machen. Ich habe mich für Letzteres entschieden und habe zunächst für eine Jugendbildungsstätte des DGB gearbeitet. Später wurde ich DGB-Jugendsekretär in München und Vorsitzender des Kreisjugendrings.

    Was haben Sie hier gelernt?

    Dittrich: Hier hatte ich die hohe integrative Aufgabe zu meistern, rund 50 Jugendverbände unter ein Dach zu bringen – von der katholischen bis zur sozialistischen Jugend. Danach wurde ich in München zum jüngsten DGB-Chef einer deutschen Großstadt gewählt. 1994 stieg ich auf Landesebene zum DGB-Vize auf. Dort habe ich mit dem früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber den Beschäftigungspakt Bayern ausgehandelt.

    Aber wie wird man so Messe-Chef und bleibt nicht Gewerkschafter?

    Dittrich: Ich habe gelernt zu integrieren, auch in meinen Funktionen in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung. Als Gewerkschafter habe ich zudem gelernt, Großveranstaltungen zu organisieren und Pressearbeit zu machen. Um die Jahrtausendwende habe ich mit Mitte 40 begonnen zu überlegen, ob ich als hauptamtlicher Gewerkschafter weitere 20 Jahre arbeiten möchte.

    Sind Sie in eine Lebenskrise gerutscht?

    Dittrich: Ich war damals ziemlich frustriert über die mangelnde Bereitschaft im DGB sich zu reformieren. Dann entschloss ich mich, etwas ganz neues zu machen. Und das habe ich dem damaligen Münchner Oberbürgermeister Christian Ude erzählt. Kurz darauf kam der Anruf, dass bei der Messe München eine Geschäftsführer-Funktion frei wird. Als Mitglied des Wirtschafts- und des Stadtplanungsausschusses des Münchner Stadtrates hatte ich Mitte der 90er Jahre mit die Weichen für den Bau des neuen Messegeländes gestellt. Ich wäre damals nicht im Traum darauf gekommen, einmal für die Messe zu arbeiten. So habe ich aus Respekt vor der Aufgabe eine Nacht über das Angebot geschlafen und mich dann doch für den Job entschieden.

    Sie mussten aber noch das Gespräch mit dem damaligen Aufsichtsrats-Vorsitzenden der Messe, dem CSU-Mann und einstigen Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, bestehen.

    Dittrich: Und der sagte mir in seiner unnachahmlichen Art direkt ins Gesicht, ich sei nicht sein Wunschkandidat. Ich solle das aber jetzt mal machen. Und wenn es nicht hinhaue, werde man mich schon in den Schwitzkasten nehmen.

    Was war Ihre Reaktion?

    Dittrich: Ich dachte mir: Euch zeig ich’s. Ich wollte beweisen, dass auch jemand mit meiner Biografie ein Unternehmen betriebswirtschaftlich erfolgreich führen und sich dabei dennoch jeden Tag in den Spiegel schauen kann, weil er mit Mitarbeitern fair umgeht. Nun bin ich seit 2010 Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München. In den zehn Jahren haben wir rund 300 neue Arbeitsplätze geschaffen sowie Gewinn und Umsatz deutlich gesteigert. Daher wurde ich gebeten, die Aufgabe bis 2022 weiter zu machen. Dann bin ich 67 und höre auf.

    Was sagt Wiesheu heute zu Ihnen?

    Dittrich: Jedes Mal, wenn ich ihn treffe, sagt er mir, wie sehr er sich über die tolle Entwicklung der Messe München freue.

    Zur Person: Klaus Dittrich,geboren 1955 in Gauting bei München, ist seit April 2002 Mitglied der Geschäftsführung und seit Januar 2010 Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe München GmbH. Von 1990 bis 1995 war der Sozialdemokrat Mitglied des Münchner Stadtrates. Im Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft sowie im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung wirkte er auch an der Vorbereitung und Ausgestaltung des neuen Messegeländes mit. Von 1997 bis 1999 gehörte der Gewerkschafter dem Bayerischen Senat an. Dittrich ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Seine Hobbys sind Bergsteigen, Skifahren, Motorradfahren, Langstreckenlauf und Literatur.

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