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München: Audi-Prozess: Ingenieure berichten, wie Manager Druck aufgebaut haben

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Audi-Prozess: Ingenieure berichten, wie Manager Druck aufgebaut haben

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    Der langjährige Audi-Chef Rupert Stadler vor dem Landgericht München.
    Der langjährige Audi-Chef Rupert Stadler vor dem Landgericht München. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Rupert Stadler muss also ausharren, vielleicht bis Ende 2022, dann womöglich weitere rund 175 quälende Prozesstage lang. Nachdem seine Verteidiger kein Extra-Verfahren für den Manager durchsetzen konnten, wird ihm wie den drei weiteren Angeklagten, allesamt Motorenentwickler, reichlich Sitzfleisch abverlangt. Häufig um 9.15 Uhr geht es los im Audi-Prozess. Stadler wird vorgeworfen, den Verkauf manipulierter Fahrzeuge von Herbst 2015 an nicht gestoppt zu haben. Der Betriebswirt muss die Aussagen der drei einmal unter ihm auf unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen angesiedelten Mitangeklagten über sich ergehen lassen. Immer wieder wird der 57-Jährige verfolgen, wie etwa der Ingenieur Giovanni P. - wie  auch jetzt am Mittwoch - detailliert und wortreich erklärt, dass der Diesel-Betrug von oben, vor allem auf Druck von Vertriebs-Leuten, gesteuert worden sei.

    Ex-Audi-Chef Rupert Stadler vor Gericht: Er kommt stets möglichst spät

    An den so vielen anstehenden Prozesstagen in einem Saal unterhalb des Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim spielt sich dann an jedem Morgen ein ähnliches Ritual ab: Stadler wird wie bislang bemüht sein, möglichst spät Platz in dieser Art Gerechtigkeitsbunker zu nehmen, um sich den Blicken der Prozessbeobachter nicht noch länger auszusetzen. Draußen werden sich viele Szenen wiederholen: Hundebesitzer führen entlang der endlos scheinenden Gefängnismauern ihre Vierbeiner auf breiten Grünstreifen aus, lassen sie frei laufen. Manchmal kommt dann ein Justiz-Bus vorbei, der mit von außen nicht einsehbarer Fracht das Wohngebiet mit Doppelhäusern und Blocks im Schatten des Gefängnisses durchquert.

    Stadler wird immer wieder einen Ort aufsuchen, um den man besser einen großen Bogen macht. Ob er schon die Skulptur „Licht und Schatten“ der Künstlerin Regina Kochs neben dem Gerichtssaal unter der Erde wahrgenommen hat? Der Lichthof mit einer bunt verzierten Wand, der nach oben natürlich vergittert ist, stellt, so sieht es die Erschafferin, „eine Leerstelle“ dar, „einen von oben belichteten, höhlenartigen Raum“. Die Arbeit soll die Gleichzeitigkeit von Hell und Dunkel, thematisieren. Das wiederum ist ein Verweis auf die in jedem Strafprozess stattfindende Suche nach Licht und Schatten, „nach einer Wahrheit, die unterschiedliche Perspektiven einbezieht“. 

    Audi wird noch lange mit dem Abgas-Skandal verbunden sein, denn Ex-Chef Rupert Stadler wird sich über Jahre vor Gericht verantworten müssen.
    Audi wird noch lange mit dem Abgas-Skandal verbunden sein, denn Ex-Chef Rupert Stadler wird sich über Jahre vor Gericht verantworten müssen. Foto: dpa

    "Harnstoff" ist der zentrale Begriff im Prozess um den Dieselskandal

    Für Stadler und den früheren Audi-Motorenentwickler und Porsche Forschungs-Vorstand Wolfgang Hatz, 61, ist die Suche nach der Wahrheit erwartungsgemäß unangenehm. Denn der Motoren- und Abgas-Experte Giovanni P. redet und redet, gespickt mit technischen Details. Der 63-Jährige lässt keine Zweifel aufkommen, dass bei Diesel-Autos von Audi auf der Rolle, also dem Teststand, weniger Stickoxide ausgestoßen worden seien als auf der Straße.

    „Straße“ und „Rolle“, die Begriffe tauchen öfter in den Ausführungen des Italieners auf. Das zentrale Wort des Ingenieurs ist aber „Harnstoff“, der gebraucht wird, um den Ausstoß von gesundheitsschädlichen Stickoxiden von Diesel-Fahrzeugen zu verringern. Hier versucht der Techniker das frühere Top-Management immer intensiver zu belasten: „Ein Liter pro 1000 Kilometer, sagte der Audi-Vorstand“. Demnach behauptet Giovanni P., dass die Spitzenleute des Unternehmens ehedem den Verbrauch von Harnstoff „gedeckelt“ hätten. „Deckeln“, das ist auch so ein Lieblingsbegriff von Giovanni P. Dabei seien aber – und das ist sein Vorwurf - für saubere Diesel-Fahrzeuge zwei Liter Harnstoff je 1000 Kilometer Fahrleistung notwendig gewesen.

    Audi-Prozess: Setzten sich Manager gegen die Bedenken der Techniker durch?

    Nun spitzt Giovanni P. seine schon bisher schweren Vorwürfe an einstige Chefs zu: „Priorität hatte Wirtschaftlichkeit, nicht saubere Luft.“ Im Kern wirft der Italiener den Ex-Audi-Bossen vor, „dass sie die Kunden nicht verärgern wollten“, in dem sie zu häufig Harnstoff, also AdBlue nachtanken mussten. „Die Mutter aller Probleme war die Deckelung des Harnstoff-Verbrauchs und nichts anderes“, doziert Giovanni P. mit immer lauter werdender Stimme.

    Fast scheint es, als würde sich das Gericht schon am fünften Verhandlungstag dem Kern des Diesel-Skandals im Audi-Reich nähern. Schließlich wurde irgendwann mit einer Software der Stickoxidausstoß so manipuliert, dass er bei Tests, also auf der Rolle, deutlich niedriger als auf der Straße ausfiel.

    Folglich mussten Diesel-Fahrer nicht so häufig Harnstoff nachfüllen. Giovanni P. beschreibt bildhaft, wie „mit einem Hahn“ die Harnstoffzufuhr aufgedreht werden konnte, wenn es auf die Rolle ging. Seinen Äußerungen zufolge setzen sich Vertriebs-Manager bei Audi gegen die Bedenken der Techniker durch, die Harnstoff, wie er schon zuvor vor Gericht gesagt hat, mit Urin in Verbindung gebracht hätten. Und „Pipi“ sei eben aus Sicht der Verkäufer Kunden nicht in dem Maße zuzumuten.

    Aus den Vorwürfen von Giovanni P. könnte man also folgern, dass zu häufiges Harnstoff-Nachtanken und der Premiumanspruch von Audi aus damaliger Sicht manchen Verantwortlichen schwer vereinbar erschien. Harnstoff - Stadler wird das Wort in den nächsten Monaten noch quälend oft hören. Giovanni P. sagt fatalistisch: „Ohne die Harnstoffdeckelung säßen wir nicht hier.“ Dabei hätten die Techniker immer wieder gewarnt: „Wir dürfen nicht gedeckelt werden. Um saubere Autos auf die Straße zu bringen, brauchen wir Harnstoff.“

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