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Mobilität: E-Autos boomen: Braucht der Verbrenner ein Ausstiegsdatum?

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E-Autos boomen: Braucht der Verbrenner ein Ausstiegsdatum?

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    Die Elektro-Offensive läuft in Deutschland. Bei der Ladeinfrastruktur ist aber noch einiges zu verbessern.
    Die Elektro-Offensive läuft in Deutschland. Bei der Ladeinfrastruktur ist aber noch einiges zu verbessern. Foto: Bernhard Weizenegger (Symbolbild)

    E-Autos boomen. Doch mitten in der Krise steigt plötzlich wieder die Nachfrage nach Verbrennern. Das berichtet das Autokaufportal Carwow – und liefert auch gleich die Erklärung für den zunächst überraschenden Befund: „Die Leute, die jetzt im Lockdown ein Auto kaufen, brauchen es meistens sofort. Verbrenner sind schneller lieferbar“, sagt Philipp Sayler von Amende, der Geschäftsführer des Unternehmens. Die Lieferzeit für ein E-Auto dagegen betrage mittlerweile im Durchschnitt fünf bis sechs Monate. Wer einen neuen Elektro-Mini oder -Fiat 500 möchte, muss sich gar zwischen zehn und vierzehn Monaten gedulden. Bei Modellen, die sich eine Plattform mit Verbrennern teilen, lasse sich die Produktion nicht beliebig hochfahren, erklärt dies Sayler von Amende.

    Mit den staatlichen Kaufprämien seien kleine E-Autos demnach mit 40 oder sogar 50 Prozent Nachlass auf den angegebenen Kaufpreis zu haben. Doch trotz der großen Nachfrage tun sich die Autohersteller weiterhin schwer, ganz vom Verbrenner zu lassen. Umso mehr fällt es da auf, wenn etwa Ford ankündigt, ab 2030 keine Verbrenner mehr zu bauen. Zuvor hatte bereits General Motors sein Ausstiegsdatum auf 2035 festgelegt. Und die deutschen Hersteller? Sollte eine klar definierte Exit-Strategie – gemessen an den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommen – für sie nicht längst selbstverständlich sein?

    Andreas Scheuer will kein Ausstiegsdatum setzen

    Es gibt auch einige Länder, die offizielle Ausstiegsdaten kommuniziert haben, zuletzt Großbritannien, wo der Verkauf neuer Verbrenner ab 2030 verboten ist. Deutschland, berühmt für seine Autoindustrie und berüchtigt wegen des Abgasskandals, bleibt in Sachen Ausstiegsdatum dissonant. Wer sich umhört, bekommt – entlang vertrauter Konfliktlinien – Antworten, die zeigen, wie unterschiedlich trotz der neuen E-Euphorie ein klar definiertes Ausstiegsdatum gesehen wird.

    Im Bundesverkehrsministerium von Andreas Scheuer (CSU) verweist eine Sprecherin auf die jüngst europaweit verschärften CO2-Flottenziele; darauf, dass der CO2-Ausstoß im Verkehr von 163 Millionen Tonnen (2019) auf 95 Millionen Tonnen (2030) reduziert werden soll; dass es Aufgabe der Automobilindustrie sei, entsprechende technische Lösungen zu entwickeln; dass auch alternative synthetische Kraftstoffe und vor allem „Technologieoffenheit“ für das Gesamtergebnis wichtig seien. Deshalb – und mit Blick auf den für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Rechtsrahmen – halte das Ministerium „Verbote von Fahrzeugen mit einer bestimmten Antriebs- oder Kraftstoffart nicht für zielführend.“

    Die Ladeinfrastruktur ist derzeit noch ein Hemmschuh bei der weiteren Verbreitung der Elektroautos.
    Die Ladeinfrastruktur ist derzeit noch ein Hemmschuh bei der weiteren Verbreitung der Elektroautos. Foto: Monika Skolimowska, dpa (Symbolbild)

    Bei den Grünen ist man anderer Meinung. Der Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir sagte unserer Redaktion: „Wenn immer mehr Länder und Autohersteller ankündigen, in nächster Zukunft Schluss zu machen mit Benzin und Diesel, müssen auch wir in Deutschland endlich nachziehen und einen Ausstiegsplan festlegen.“ Die Grünen treten dafür ein, dass in Deutschland ab 2030 nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden. Da gehe es um eine „Politik der Orientierung und Planungssicherheit für die Unternehmen“. Wer so tue, „als könnten wir in Deutschland einfach einen Schutzzaun um den fossilen Verbrenner ziehen“, gefährde nicht allein den Klimaschutz, sondern werde auch zum „Standortrisiko“.

    Entscheidend sei die Klimabilanz der gesamten Wertschöpfungskette

    Union und FDP hinkten in der Debatte „gefühlt zehn Jahre hinterher und werden beim Klimaschutz jetzt sogar von General Motors überholt“, kritisiert Özdemir. Es müsse Schluss sein mit einer Verkehrspolitik, „die sich immer nur an den Langsamsten in der Industrie orientiert statt am technisch Leistbaren“. Özdemir: „Was wir brauchen, ist ein Verkehrsminister, der deutlich ausspricht, dass das Zeitalter von Benzin und Diesel zu Ende geht und der sich dann auch mit allen Verantwortlichen hinsetzt und ausarbeitet, wie wir die notwendige Modernisierung zum Erfolg machen für Jobs, Wirtschaft und Klima.“ So weit die schwarz-grüne Konfliktlinie in der Politik.

    Aber auch in der Wissenschaft gibt es unterschiedliche Ansichten. Der eine Autoexperte, Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Duisburger Center Automotive Research (CAR), ist der Meinung, dass die Bundesregierung dieses Jahr eine Exit-Strategie für den Verbrennungsmotor mit klar kommuniziertem Ausstiegsdatum festlegen sollte. Der Gewinn durch einen berechenbaren Ausstieg sei deutlich höher als die Risiken für die Beschäftigten.

    Der andere Autoexperte, Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM), sagt: „Es sollte nicht um ein Ausstiegsdatum für eine Technologie, sondern um schärfere klimapolitische Ziele gehen. Und darum, dass der Staat kontrolliert, dass diese auch erreicht werden.“ Bratzel betont, er sei „voll für Dekarbonisierung, aber nicht für Verbote“. Die Debatte um ein Datum sei Symbolpolitik. Würden die Ziele richtig definiert, könne es gut sein, dass der Verbrenner dabei auf der Strecke bliebe. Letztlich gehe es nicht um eine Technologie, sondern um die CO2-Bilanz in der gesamten Wertschöpfungskette.

    Claudia Kemfert fordert Elektro-Quote für Neuzulassungen

    Die Energie- und Verkehrsexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, positioniert sich auf Anfrage so: „Wir plädieren eher für ein von der Bundesregierung kommuniziertes Einstiegsdatum als ein Ausstiegsdatum.“ Heißt: Um in Deutschland die Verkehrswende zu erreichen, sollte eine E-Wagen- Quote für Neuzulassungen von mindestens 25 Prozent ab 2025 und mindestens 50 Prozent ab 2030 eingeführt werden, um so den schrittweisen Ausstieg einzuleiten. „Dringend erforderlich ist es aber, gleichzeitig die Ladeinfrastruktur auszubauen.“ Wenn verschiedene Hersteller nun selber Quoten für ihre Stromer-Produktion nennen, erklärt Kemfert, könne dies zusätzlich für „den nötigen Druck“ sorgen und den Ausbau beschleunigen.

    Laut einer Studie verschwindet der Diesel schneller von den Straßen als ursprünglich gedacht. Das erhöht den Druck in der Branche.
    Laut einer Studie verschwindet der Diesel schneller von den Straßen als ursprünglich gedacht. Das erhöht den Druck in der Branche. Foto: picture alliance, dpa (Symbolbild)

    Damit zu den direkt Betroffenen. Auf die Frage, wann bei Audi der letzte Verbrenner vom Band gelaufen ist, antwortet Unternehmens-Chef Markus Duesmann: „Das entscheiden die Kunden mit ihrem persönlichen Umstieg in die E-Mobilität.“ Audi habe viele Modelle mit hocheffizienten Verbrennungsmotoren. „Und die allerletzten Verbrenner werden die besten sein.“ Zugleich habe Audi 2020 die Auslieferung vollelektrischer Modelle fast verdoppelt. Was zähle, sei „eine flächendeckende Ladeinfrastruktur, die mit dem wachsenden Bestand an Elektroautos Schritt hält oder ihm – besser noch – vorauseilt“. Auch bei den Audi-Konkurrenten BMW und Daimler wird die E-Wende vollzogen – beide legen sich aber ebenfalls nicht auf ein Ausstiegsdatum fest.

    Die Frage bleibt, wie man den Ausstieg am schnellsten erreicht. Die IG Metall, sagt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, im Gespräch mit unserer Redaktion, stehe „ohne Wenn und Aber“ hinter dem Pariser Klimaabkommen. Nicht sinnvoll aber sei ein Wettbewerb um möglichst frühe Daten, ohne deren Realisierbarkeit und die dafür notwendigen Voraussetzungen zu prüfen.

    IG-Metall-Chef Jörg Hofmann kritisiert den Zustand der Energiewende

    „Nicht wer die frühesten Ausstiegstermine fordert, schützt das Klima, sondern wer konkrete Strategien für die ökologische Transformation entwickelt und diese auch umsetzt.“ Hofmann kritisiert: „E-Mobilität ohne ausreichende Ladeinfrastruktur und Batterien, die zur Verfügung stehen, prägen heute die Wirklichkeit.“ E-Mobilität überzeuge zudem nur mit grüner Energie. Auch hier sei Deutschland aber weit entfernt vom Gelingen der Energiewende. Er fordert daher, „entschlossen in die Infrastruktur, Technologien und Märkte der Zukunft zu investieren“.

    Eine klare Entscheidung der Bundesregierung fordert dagegen Benjamin Stephan von Greenpeace. Er sagt: „Mit einem festen Ausstiegsdatum kann die Politik Investitionen so zielgerichtet lenken, dass die Branche im laufenden Umbruch nicht ihre bislang starke Position verliert und der Klimaschutz im Verkehr nach vielen verlorenen Jahren vorankommt.

    Manche Akteure schüren mit Scheinlösungen wie synthetischen Kraftstoffen die Illusion, der Verbrennungsmotor hätte eine Zukunft – das ist falsch und brandgefährlich.“ Fast im Wochentakt kündigten Konzerne und Länder derzeit Ausstiegsdaten an, die Dynamik sei längst da. „Der Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell. Viele Unternehmen reagieren auf diese Tatsache zu langsam, die Politik muss ihnen Beine machen – zu ihrem eigenen Nutzen.“ Wenn es nach Greenpeace geht, soll schon 2025 Schluss sein. (mit dpa)

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