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Mindestlohn: Handwerker klagen über zu viel Mindestlohn-Bürokratie

Mindestlohn

Handwerker klagen über zu viel Mindestlohn-Bürokratie

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    Der Mindestlohn sorgt für Ärger in der Handwerksbranche: Viele beklagen die Dokumentationspflicht für die Arbeitszeiten.
    Der Mindestlohn sorgt für Ärger in der Handwerksbranche: Viele beklagen die Dokumentationspflicht für die Arbeitszeiten. Foto: Symbol/Jens Büttner (dpa)

    Eigentlich hat Roland Ermer genug mit Brot und Brötchen zu tun. Doch der seit Jahresbeginn geltende Mindestlohn bringt dem sächsischen Bäckermeister einiges an Zusatzarbeit.

    Minutiös muss sein Betrieb jetzt aufschlüsseln, wie lange die 22 Beschäftigten jeden Tag arbeiten und Pause machen - das koste viel Zeit, die er lieber fürs Geschäft verwenden würde. "Die sollen uns doch einfach arbeiten lassen", sagt Ermer, der auch Präsident des Sächsischen Handwerkstages und CDU-Lokalpolitiker ist. Vertreter der Arbeitnehmer allerdings können die Aufregung nicht nachvollziehen.

    Erst kürzlich hat Ermer seinem Ärger über die Mehrbelastungen durch den Mindestlohn in der Talkshow von Günther Jauch Luft gemacht - und damit, wie er glaubt, vielen Handwerkern in Deutschland aus der Seele gesprochen. Sie fühlten sich unter Generalverdacht, ihre Mitarbeiter auszubeuten und bei den Arbeitszeiten und der Bezahlung zu tricksen, wie der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) beklagt.

    Internationale Handwerksmesse: Mindestlohn bietet Diskussionsstoff

    Auch auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM/11. bis 17. März) in München wird das Thema Mindestlohn in den kommenden Tagen jede Menge Diskussionsstoff abgeben. Ein Stein des Anstoßes ist die Dokumentationspflicht für die Arbeitszeiten: Sie gilt für geringfügig Beschäftigte und für Branchen, die für Schwarzarbeit anfällig sind wie Baugewerbe, Gaststätten oder Gebäudereiniger.

    Aber auch die Regel, dass der Handwerker als Generalunternehmer dafür haftet, wenn ein Subunternehmer den Mindestlohn nicht zahlt, treibt viele auf die Palme, wie ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke schimpft. Ein Klima des Misstrauens werde dadurch geschaffen.

    Die eigentliche Mindestlohn-Höhe dagegen von 8,50 Euro pro Stunde ist zumindest in vielen Regionen und auch Handwerksberufen nicht das Problem - die meisten Beschäftigten verdienen schon lange mehr. Wer beispielsweise in München oder Frankfurt am Main eine Friseurin für seinen Salon sucht, wird mit 8,50 Euro Stundenlohn wohl niemanden hinterm Ofen hervorlocken.

    Anders sieht es jedoch bei dienstleistungsnahen Tätigkeiten in strukturschwachen Regionen aus - wie eben bei den Fachverkäufern ostdeutscher Bäckereien, deren Löhne bisher im Schnitt niedriger als der Mindestlohn lagen. Ermer etwa hat schon vorab auf die anstehenden Mehrbelastungen reagiert, drei seiner sechs Filialen geschlossen und Arbeitsplätze abgebaut. Allein durch Preiserhöhungen hätten sich die Mehrkosten für ihn nicht abfedern lassen, sagt der Bäckermeister.

    Deutscher Gewerkschaftsbund: Mindestlohn ist kein "Bürokratiemonster"

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält solche Klagen für "Theaterdonner". Gerade bei den Bäckern hätten es manche Arbeitgeber mit den Arbeitszeiten früher nicht so genau genommen und ihre Leute praktisch unentgeltlich vor und nach Dienstbeginn Regale einräumen, Brötchen aufbacken oder Reinigungsarbeiten verrichten lassen, sagt Stefan Körzell vom DGB-Bundesvorstand.

    Wer seinen Beschäftigten eine leistungsgerechte Bezahlung biete, habe auch bisher die Arbeitszeiten schon erfasst und dürfte keine großen zusätzlichen Mühen mit dem Ausfüllen der Stundenzettel haben, glaubt der Gewerkschafter: "Da wird ein vermeintliches Bürokratiemonster durch die Republik geführt, das in Wirklichkeit keines ist."

    Bestärkt sieht sich der DGB durch eine erst kürzlich veröffentlichte Umfrage, die er selbst in Auftrag gegeben hatte: Dabei sprach sich eine große Mehrheit der Bürger in Deutschland für den gesetzlichen Mindestlohn aus - selbst wenn dieser zu Preissteigerungen führt.

    Mindestlohn bleibt in der großen Koalition weiterhin umstritten

    In der großen Koalition bleibt das Thema aber auch zweieinhalb Monate nach der Einführung umstritten: Die Union hat sich den Kampf gegen aus ihrer Sicht überbordende Bürokratie auf die Fahne geschrieben und will die Dokumentationspflicht der Arbeitszeit nur für Mitarbeiter bis 1900 Euro brutto Monatsgehalt mitmachen - nicht wie bisher bis 2958 Euro.

    Bis Ostern soll auch dieser Punkt überprüft werden. Beim Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft an diesem Freitag (13. März) auf der IHM dürften die Verbände Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch einmal um Unterstützung bitten.

    Koalitionsvertrag: Was auf die Verbraucher zukommt

    Die von Union und SPD im Koalitionsvertrag besiegelten Vorhaben haben Auswirkungen auf viele Lebensbereiche der Bürger. Auf die Verbraucher kommen Neuerungen etwa bei Mieterhöhungen, Arztterminen und in der Datenkommunikation zu.

    MIETPREISBREMSE: Die Länder können in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt - zunächst für fünf Jahre - die Mieterhöhungen bei Wiedervermietung auf zehn Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzen. Bei Einschaltung eines Maklers gilt: Wer ihn beauftragt, der bezahlt auch.

    DISPOKREDIT: Wer sein Konto überzieht und in den Dispo rutscht, soll von seiner Bank einen Warnhinweis erhalten.

    PFLEGEVORSORGE: Für die Sozialversicherten wird es teurer, da der Beitragssatz zur Pflegeversicherung spätestens zum 1. Januar 2015 steigt - und zwar um 0,3 Prozentpunkte. Danach soll der Beitrag noch einmal um 0,2 Punkte angehoben werden.

    PFLEGEZEIT: Wer kurzfristig Zeit für die Organisation der Pflege eines Angehörigen benötigt, soll sich eine zehntägige Auszeit nehmen können und dafür weiter Gehalt bekommen - ähnlich wie beim Kinderkrankengeld.

    ELTERNGELD PLUS: Um Eltern den Widereinstieg in den Job zu erleichtern, sollen sie für die Dauer von 28 Monaten das Elterngeld in Kombination mit einer nicht geringfügigen Teilzeitarbeit erhalten. Dass soll vor allem Alleinerziehenden helfen.

    FLEXIBLERE ARBEITSZEITEN: Für Arbeitnehmer, die wegen der Kindererziehung oder Pflege Angehöriger kürzer treten wollen, soll ein Rechtsanspruch auf Befristung der Teilzeit geschaffen werden - also ein Recht auf Rückkehr zur Vollzeit-Tätigkeit.

    SCHUTZ VOR STROMSPERREN: Intelligente Stromzähler mit Prepaid-Funktion sollen Verbraucher besser davor schützen, dass ihnen wegen unbezahlter Rechnungen Strom oder Gas abgedreht werden.

    ARZTTERMINE: Wer als gesetzlich Versicherter nicht innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin bekommt, kann sich ambulant im Krankenhaus behandeln lassen.

    MINDESTLOHN: Ab dem 1. Januar 2015 wird es einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Er soll von einer Kommission aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Experten festgelegt werden. Ausnahmen von dem Mindestlohn gibt es danach noch für zwei Jahre in Branchen, wo repräsentative Tarifverträge gelten. Ab 2017 gilt der Mindestlohn dann in ganz Deutschland uneingeschränkt.

    RENTE: Mütter und Väter von vor 1992 geborenen Kindern sollen ab 1. Juli 2014 mehr Rente für die Erziehungszeit bekommen. Auch soll es finanzielle Erleichterungen für Menschen geben, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gehen und Erwerbsminderungsrenten erhalten. Menschen, die 45 Jahre in die Renteversicherung eingezahlt haben, sollen ab dem 1. Juli künftig schon mit 63 in Rente gehen können. Renten-Verbesserungen sind daneben für Geringverdiener vorgesehen.

    PKW-MAUT: Der Koalitionsvertrag sieht eine «europarechtskonforme Pkw-Maut» vor. Damit sollen ausländische Autofahrer an den Ausgaben für das Autobahnnetz beteiligt werden. Auf deutsche Autofahrer sollen keine Mehrkosten zukommen.

    LÄRMSCHUTZ: Anwohner von Flughäfen und Bahnstrecken sollen besser geschützt werden. Der Schienenlärm soll bis 2020 deutschlandweit halbiert werden. Bei der Festlegung der Flugrouten sollen Anrainer frühzeitig beteiligt werden.

    INTERNET: Auch in ländlichen Gegenden sollen die Menschen schnelles Internet haben und zwar flächendeckend mindestens 50 Megabit pro Sekunde bis 2018. Außerdem wollen Union und SPD die rechtlichen Voraussetzungen für kostenlose WLAN-Angebote in Städten schaffen.

    AUTOFAHRER: Die Polizei soll bei Alkoholsündern künftig weitgehend auf Blutproben verzichten und die Werte per Atem-Alkoholtest bestimmen. Ein Fahrverbot soll als Alternative zur Freiheitsstrafe und zusätzliche Sanktion ins Strafrecht aufgenommen werden, vor allem für diejenigen, «für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt».

    Geschäftlich gibt es im Handwerk derweil wenig Grund zur Klage. Weil sich Sparen in der Zinsflaute nicht lohnt, geben die Verbraucher ihr Geld gern für den Ausbau und Modernisierungen ihrer Häuser und Wohnungen aus. Das sorgt für volle Auftragsbücher und auch für viel Zuversicht der Betriebe für dieses Jahr. dpa

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