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Marktmanipulation: Scholz war früh über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard informiert

Marktmanipulation

Scholz war früh über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard informiert

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    Finanzminister Olaf Scholz, SPD, und Staatssekretär Jörg Kukies (rechts).
    Finanzminister Olaf Scholz, SPD, und Staatssekretär Jörg Kukies (rechts). Foto: Mario Salerno, dpa

    Nach der Insolvenz des Dax-Konzerns Wirecard steht die Frage im Raum, ob die Behörden das Unternehmen hinreichend kontrolliert hatten. Schließlich hatten Journalisten frühzeitig auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Fest steht, dass SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz bereits seit dem 19. Februar 2019 – also seit rund eineinhalb Jahren – vom Verdacht auf mutmaßliche Marktmanipulationen und Untersuchungen der Behörden unterrichtet gewesen ist.

    Für die Opposition gibt der Skandal Rätsel auf. Das Finanzministerium hat jetzt dem Finanzausschuss einen neuen Sachstandsbericht und eine Chronologie über die Arbeit der Aufsichtsbehörden vorgelegt, der unserer Redaktion vorliegt. Scholz sei darauf hingewiesen worden, „dass die Bafin in alle Richtungen untersucht.“ Das heißt „auch gegen die Wirecard AG“, wie kurz davor vermerkt ist.

    Grünen-Abgeordneter Danyal Bayaz fordert stärkere Aufklärung: „Noch immer sind im Fall Wirecard viele Fragen offen – auch über die Rolle des Bundesfinanzministeriums.“ Viele Antworten würden als geheim eingestuft, das erschwere die Aufklärungsarbeit. „Viele Menschen haben viel Geld verloren, hier sollte das öffentliche Interesse gegenüber dem Interesse einiger weniger involvierter Akteure überwiegen“, sagt Bayaz. „Der Eindruck einer kollektiven Unverantwortlichkeit wird dadurch bestärkt, dass Olaf Scholz bereits Anfang 2019 über den Fall Wirecard informiert war“, kritisiert er. „Bislang ist der Finanzminister dem Fall Wirecard im Bundestag völlig aus dem Weg gegangen.“

    Fabio De Masi, Linke: Scholz hat sich „weggeduckt“

    Auch Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi ist der Ansicht, dass sich Scholz im Wirecard-Skandal „weggeduckt“ habe. Scholz sei bei der Sitzung des Finanzausschusses zum Thema nicht da gewesen. Auch für De Masi sind viele Fragen offen: Die Chronologie beweist aus seiner Sicht, dass das Thema Wirecard frühzeitig auf hoher politischer Ebene angesiedelt war. Bereits am 3. Mai 2016 hatte das Finanzministerium von der Bafin einen Bericht angefordert, nachdem der „Spiegel“ über mögliche Marktmanipulationen berichtet hatte. Damals war im Internet ein langer Report aufgetaucht, der Wirecard und seinen Managern Fehler unterstellte. Spätestens ab Februar 2019 war dann Scholz selbst informiert. „Die Frage ist, was danach passierte?“, fragt sich De Masi. Einerseits nahm die Aufsicht Wirecard ins Visier, „anderseits war sich die Regierung nicht zu schade, für Wirecard im Chinageschäft zu lobbyieren“, kritisiert er. Dies sei ein klarer Widerspruch.

    Etwas Licht bringt das Finanzministerium zumindest in das Gespräch, das Staatssekretär Jörg Kukies am 5. November 2019 mit Ex-Wirecard-Chef Markus Braun führte. Der Inhalt war erst als „VS-Vertraulich“ eingestuft worden, dies habe man jetzt aufgehoben. „Das Gespräch betraf eine Vielzahl von Themen, auch die Unternehmensgruppe Wirecard“, berichtet das Ministerium. „Gegenstand des Gesprächs waren auch der Marktmanipulationsverdacht sowie die begonnene KPMG-Sonderprüfung“. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG führte damals eine Sonderuntersuchung für den Wirecard-Aufsichtsrat durch.

    Spannend dürfte in der Aufarbeitung sein, dass die Behörden rund um Börsengeschäfte mit der Wirecard-Aktie, Insiderhandel und Marktmanipulation ermittelten, zum Kern des Skandals aber offenbar nicht vorstießen. Mutmaßlich gab es bei Wircard betrügerische Buchungen, am Ende fehlten 1,9 Milliarden Euro. Für die Wirecard AG als Ganzes hatte sich die Bafin aber gar nicht zuständig gesehen und nur die Wirecard-Bank untersucht – ein Tochterunternehmen.

    „Mein Vorwurf ist nicht, dass die Bafin Insiderhandel untersucht hat“, sagt De Masi. „Mein Vorwurf an Bafin-Chef Felix Hufeld ist, dass die anderen Anschuldigungen gegen Wirecard nicht untersucht wurden“, betont er. Wollte die Bundesebene das Thema überhaupt nicht verfolgen?

    Kritik, dass die Regierung von Niederbayern Wirecard in puncto Geldwäsche beaufsichtigte

    Für das Thema Geldwäsche zum Beispiel erklärte sich noch am 27. Mai dieses Jahres die Regierung von Niederbayern zuständig. Diese beaufsichtigt auch für Oberbayern und damit Wirecard aus Aschheim bei München die Einhaltung des Geldwäschegesetzes.

    Dass Wirecard bis zur Insolvenz in puncto Geldwäsche von der Regierung von Niederbayern beaufsichtigt wurde, wirft für den Linken-Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi Fragen auf: „Die Regierung von Niederbayern kann einen Weltkonzern wie Wirecard nicht beaufsichtigen“, sagt er. Niederbayern sei nur deshalb zuständig gewesen, weil die Firma als Technologiekonzern eingestuft wurde. „Hätte man Wirecard als Zahlungsdienstleister bewertet – was sie sind –, wäre die Bafin für das Thema Geldwäsche zuständig gewesen.“ Die Vermutung liege nahe, dass die Behörde froh war, das Thema loszusein.

    Erst am 25. Juni 2020 sagte Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann dem Landtag, dass die Staatsregierung „Niederbayern nicht als zuständige Aufsichtsbehörde ansieht.“

    Am gleichen Tag stellte Wirecard den Insolvenzantrag.

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