Herr Brehm, heute streiten sich die Rasierer-Hersteller Wilkinson und Gillette vor Gericht, weil Wilkinson Billigklingen für den „Mach 3“-Rasierer des Konkurrenten verkaufen will. Wie oft müssen Richter über derartige Fälle entscheiden?
Markus Brehm: Es gibt jede Menge Verfahren, die meist zwischen unbekannten Konzernen geführt werden. Verbraucher erinnern sich eher an prominente Fälle. Man kann davon ausgehen, dass die Zahl der Streitigkeiten in den vergangenen 10, 15 Jahren stark zugenommen hat.
Warum das?
Brehm: Ganz einfach: Weil auch die Zahl der Marken enorm gewachsen ist. Dazu kommt die Rolle des Internets. Jeder hat heute Zugang zu Millionen Informationen. Das macht es zum einen jenen Menschen leichter, die ein Produkt oder eine Marke nachahmen wollen. Zum anderen sind Firmen heute viel sensibilisierter für Markenverletzungen.
Weil sie um ihren guten Ruf fürchten?
Brehm: In den prominenten Fällen geht es tatsächlich vor allem um Prestige oder darum, eine Vormachtstellung zu verteidigen. Da kämpft ja nicht immer David gegen Goliath, sondern oft auch Goliath gegen David.
Konzerne lassen sich Prozesse viel kosten. Warum ist es Unternehmen so wichtig, ihre Marken zu schützen?
Brehm: Vereinfacht gesagt: Eine Marke ist dann stark, wenn jedes Kind weiß, welche Produkte und Dienstleistungen dahinterstecken. Nehmen Sie das Beispiel Tempo: Die meisten Menschen setzen den Namen der Marke mit den Taschentüchern gleich. Der Konzern hat also ganze Arbeit geleistet. Wenn ein anderes Unternehmen etwas von diesem Ruhm abhaben will, kann das die Marke verwässern.
Manchmal schießen Unternehmen aber auch übers Ziel hinaus. Ich denke da an den Süßwarenhersteller Haribo, der der Firma Lindt verbieten wollte, einen Schoko-Bären zu verkaufen.
Brehm: Das gibt es immer mal wieder. Ein anderes kurioses Beispiel aus Frankfurt: Vor kurzem ist Red Bull dort gegen den Betreiber eines Burger-Ladens vorgegangen, der „Guter Bulle“ hieß. Am Ende hat sich die Burger-Kette umbenannt. Für Laien ist das natürlich erst einmal nicht nachvollziehbar.
Was hat den Konzern gestört?
Brehm: Ich bin mir sicher, dass Red Bull seine Marke wie alle großen Konzerne für alle möglichen Bereiche schützt. Zum Unternehmen gehören nicht nur ein Energy-Drink, sondern auch Sportvereine und Gastronomie. Das ist der Anknüpfungspunkt.
Aber besteht wirklich die Gefahr, dass Red Bull mit einer Burger-Kette verwechselt wird?
Brehm: Das sind immer Einzelfallentscheidungen. Und in diesem Fall gab es offensichtlich Richter, die der Meinung waren, dass sich beide Marken zu sehr ähneln.
Nach welchen Kriterien urteilen Richter denn in derartigen Fällen?
Brehm: Es kommt auf die Verwechslungsgefahr an: Zum einen dürfen sich die Markenzeichen nicht zu sehr ähneln, zum anderen dürfen die verkauften Waren und Dienstleistungen nicht deckungsgleich sein. Auch die grafische Gestaltung des jeweiligen Logos spielt eine Rolle. Mittlerweile gibt es auch Duftmarken oder Hörmarken, zum Beispiel der Jingle der Telekom. Im Red-Bull-Streit ging es um den Namen „Bullen“, der beiden Marken einen ähnlichen Klang verleiht. Am Ende zieht dann derjenige den Kürzeren, dessen Marke weniger lang besteht.
Der Konzern Ritter Sport hat erst kürzlich in einem Prozess dafür gekämpft, dass nur er quadratische Schokolade verkaufen darf. Wie kann es sein, dass ein Unternehmen sich etwas so Alltägliches wie eine geometrische Form schützen lassen kann?
Brehm: Das hat etwas mit Bestandsschutz zu tun. Die quadratische Erscheinungsform gehört zur Marke Ritter Sport. Wenn also jemand ebenfalls quadratische Schokolade verkauft, dann wäre das Alleinstellungsmerkmal von Ritter Sport in Gefahr. Aus einem ähnlichen Grund hat vor einigen Jahren der Jeans-Hersteller Levi’s geklagt: Ein anderer Hersteller hatte ein rotes, rechteckiges Stofffähnchen an die Gesäßtasche seiner Hosen genäht. Das war den Richtern zu ähnlich.
Nicht immer geht es aber nur um die Verwechslungsgefahr. Manche Produkte werden schamlos kopiert.
Brehm: Das ist tatsächlich ein riesiges Problem. Früher gab es da oft kuriose Fälle. Produkte mit Rechtschreibfehlern, Hugo Boss mit Doppel-O und nur einem S, solche Dinge. Heute läuft das professioneller.
Der Zoll hat 2016 gefälschte Waren im Wert von 132 Millionen Euro beschlagnahmt. Ist da eine riesige Industrie herangewachsen?
Brehm: Davon gehe ich aus. Schauen Sie sich an, mit welchem Aufwand Turnschuhe gefälscht werden. Da müssen fünf bis zehn Materialien und 17 Farben imitiert werden. Und der Kunde sieht erst auf den zweiten Blick, dass es eine Fälschung ist. Ich bin mir sicher, dass damit immer noch sehr viel Geld verdient wird. Man muss aber auch sagen: Leider sind immer noch sehr viele Leute an diesen Produkten interessiert.