Zum perfekten Start-up-Klischeebild fehlt nicht viel. Hinter höhenverstellbaren Holztischen arbeiten junge Leute in sommerlicher Freizeitkleidung an Computern und Laptops. Eine Frau fläzt auf einem Sitzsack und tippt auf ihrem Tablet. Die Wände sind im Türkis der Firma gestrichen, gewaltige Topfpflanzen stehen herum und im Eck glänzt eine Siebträger-Kaffeemaschine. Michael Jaser und Stephan Batteiger stehen im Büro, als würden sie eine schicke Wohngemeinschaft vorzeigen, in der bloß die Kaffeetassen noch nicht weggeräumt sind. Es sei nicht ganz ordentlich, sagen sie.
Das Büro des Augsburger Start-ups Peerigon könnte genauso gut in einem hippen Viertel von Berlin, Hamburg oder München sein. Dass das nicht so ist, zeigt ein Blick aus dem Fenster auf die nicht wirklich schmucken Nachbargebäude im Sigma-Technopark. Jaser, Batteiger und die drei anderen Gesellschafter von Peerigon haben dort seit Juli 2014 Büroräume gemietet.
Im Gebäude mit der Glasfassade schlägt das Herz der IT-Start-ups in der Region. Dort sitzt das Technologie- und Gründerzentrum aiti-Park, wo Beate Sailer als Gründermentorin arbeitet. Gemeinsam mit Geschäftsführer Stefan Schimpfle pflegt sie das Netzwerk für die Gründer und hilft bei allen Fragen, die sich auftun. „Lotse ist ein ganz gutes Wort“, sagt Sailer, wenn sie über ihre Arbeit spricht. Schimpfle bezeichnet den aiti-Park und das dazugehörige Branchennetzwerk aitiRaum als „Drehscheibe“, die Ideen, Kompetenzen, Ressourcen und Menschen zusammenbringen soll. Gerade entsteht an Standorten im Sigma-Technopark und in Kempten das vom Freistaat geförderte Digitale Zentrum Schwaben, das die Vernetzung noch weiter verbessern soll.
Die Experten des Gründer- und Technologiezentrums in Augsburg kennen den Markt und mögliche Geschäftspartner, sie geben Tipps zur Finanzierung, zum Marketing, zu rechtlichen Fragen und zu vielem mehr. Wenn ein Start-up das Netz nutzen will, muss es zwei Bedingungen erfüllen: Die Firma darf höchstens fünf Jahre alt sein und muss ein digitales Geschäftsmodell haben. Wer sich bewirbt, muss ein grobes Konzept vorlegen.
Little Lunch ist das wohl bekannteste Augsburger Start-up
Das wohl bekannteste Augsburger Start-up ist Little Lunch. Die Gründer Denis und Daniel Gibisch starteten als Teilnehmer der Start-up-Fernsehshow „Die Höhle des Löwen“ (hier ein kurzer Rückblick). Sie verkaufen Suppen und andere Lebensmittel.
Die-Peerigon-Mitarbeiter entwerfen Online-Lösungen, etwa ein Portal für Videos, eine Kochplattform, Internetauftritte für Medienunternehmen oder ein Infotainment-System für ein Auto. Am Anfang stand ein anderes Projekt, mit dem sich die Gründer ab 2009 als Studenten an der Hochschule Augsburg beschäftigt hatten. Der Webdienst Roomieplanet sollte Wohngemeinschaften helfen, sich zu organisieren: Wer muss wann putzen, wer hat wie viel Geld für die WG ausgegeben, was muss eingekauft werden? 2011 erhielten die Entwickler das Gründerstipendium Exist, 2013 zusätzlich Unterstützung durch das bayerische Förderprogramm Flügge.
Aus Roomieplanet entstand die App Peerigon, die dem Freundeskreis helfen sollte, sich zu organisieren: Welcher Termin passt, wer bringt was mit? Durch Auftragsarbeiten verdienten sie zusätzlich Geld, Projekte mit größeren Firmen brachten Kontakte. Inzwischen programmieren die Peerigon-Macher nur noch für andere.
Dass die ursprüngliche Idee eine andere ist als jene, mit der Gründer erfolgreich werden, kommt aiti-Park-Geschäftsführer Schimpfle zufolge häufiger vor. Nicht nur deshalb steht Peerigon für viele Start-ups in der Region. Im November 2012 haben Batteiger, Jaser und ihre Mitgründer Matthias Jahn, Paul Torka und Johannes Ewald das Unternehmen angemeldet. Etwa zu dieser Zeit begann die Start-up-Szene rund um Augsburg, Fahrt aufzunehmen. Das bestätigt Marcus Wagner, der mit dem A3-Innovationsfonds Gründer in der Region unterstützt. Secomba, ein anderes IT-Unternehmen aus Augsburg, ist kaum älter als Peerigon. Die Sicherheits-Programmierer gewannen 2014 den deutschen Gründerpreis. Schimpfle ist überzeugt, dass Start-ups wie die beiden für die Szene wichtig sind. Potenzielle Gründer bräuchten Vorbilder, sagt der Geschäftsführer des aiti-Parks.
Viele der potenziellen Gründer kommen von den Hochschulen und Universitäten. In Augsburg bieten Hochschule und Uni eigene Zentren für sie an. Die Hochschule hat sogar ein eigenes Lehrprogramm für Nachwuchsunternehmer aufgelegt. Auch die Hochschule Kempten und die Technische Hochschule Ingolstadt unterhalten Förderzentren.
Weiterer Gründerschub in Augsburg erwartet
Augsburg bietet einen guten Boden für die Gründer. Marcus Wagner vom A3-Innovationsfonds zählt die Fraunhofer-Institute auf, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Unternehmen in den Branchen IT und Maschinenbau – und bald die Uniklinik. Wagner erwartet in der Medizintechnik demnächst einen weiteren Gründerschub. „Die Region wird extrem spannend“, sagt er.
Der Innovationsfonds begleitet Start-ups und bringt Gründer und Investoren zusammen, unter einer Bedingung: „Wenn es Geld geben soll, muss die Ansiedlung in der Region erfolgen.“ Wer Wagner überzeugen will, muss seine Idee in einem Exposé vorstellen. Die Bewerber kommen aus ganz Deutschland.
Und das, obwohl aiti-Park-Geschäftsführer Schimpfle sagt: „Die Augsburger Gründerszene wird derzeit in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen.“ Denn die Start-ups in der Region arbeiten meistens nicht für die Verbraucher, sondern für andere Unternehmen – so wie Peerigon. Deren Gründer Michael Jaser sagt: „Man kann im langweiligsten Dorf eine coole Firma gründen. Und Augsburg ist nicht mal ein langweiliges Dorf.“ Die Peerigon-Gründer fühlen sich der Stadt verbunden, in der sie studiert haben. Und sie sehen weitere Vorteile: die Nähe zu München, das Freizeitangebot, die Mietpreise und die guten Informatiker, die von den Hochschulen kommen. Die Szene ist anders als in anderen Städten. Gründer-Mentorin Beate Sailer sagt: „In Berlin ist es nicht selten show up und go down. Hier gibt es ein langsameres, organisches und meist nachhaltigeres Wachstum.“
Michael Jaser und seine Mitgründer bei Peerigon haben sich finanziell nur mit den Stipendien helfen lassen. Das gelingt nicht allen Start-ups. „Für viele ist eine sichere Finanzierung eine Herausforderung“, sagt aiti-Park-Geschäftsführer Schimfle. Banken geben den Start-ups in der Frühphase meistens keine Kredite – die Sicherheiten fehlen.
Oft scheitert es an Teamkonflikten
Karin Bader arbeitet bei der Beteiligungsgesellschaft BayBG. Sie erklärt, wie Start-ups in Bayern an Geld gelangen können: In der Phase der Produktentwicklung gebe die Bayern Kapital, eine hundertprozentige Tochter der staatlichen LfA Förderbank Bayern, Venture Capital. So heißt Risikokapital in der Fachsprache. Der nächste Schritt folge, wenn das Unternehmen mit seinem Produkt nah am Markt oder bereits auf dem Markt sei. „Da kommt die BayBG ins Spiel“, sagt Bader.
Geld ist nicht die einzige Schwierigkeit, mit der Gründer kämpfen. „Es kann alles aufploppen. Dann ist die Frage, wie schnell man eine gute Antwort darauf findet“, sagt Stephan Batteiger von Peerigon. Manche Probleme treffen viele junge Firmen. „Ein Hauptthema, an dem Start-ups scheitern, sind Teamkonflikte“, sagt aiti-Park-Geschäftsführer Schimpfle.
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