Elias Frank bleibt vor einem Regal stehen. Aus dem untersten Fach zieht er eine Kiste mit einer Beinorthese – einem Stützapparat aus Kunststoff – hervor und begutachtet sein Gesellenstück. „Der Patient leidet an Kinderlähmung, das ganze Bein ist taub“, sagt der 19-Jährige. Die Beine sind stark gekrümmt. „Das müssen wir herauskorrigieren.“ Frank absolviert eine Ausbildung zum Orthopädietechnik-Mechaniker bei den Hessing-Kliniken in Augsburg-Göggingen. Seit fünf Wochen tüftelt der Auszubildende schon an seiner Arbeit.
Frank ist jetzt im dritten Lehrjahr. In der Klinik lernt er unter anderem, wie man Korsette oder Prothesen herstellt. Zu ihm kommen Menschen, deren Kreuzband gerissen ist, die eine Fehlstellung der Wirbelsäule haben oder denen eine Gliedmaße abgenommen wurde. Der richtige Umgang mit den Patienten ist auch Teil der Ausbildung. Denn manche wird Frank ein Leben lang begleiten. Gerade wenn es um Personen mit Schwerstbehinderung gehe, liege das nicht jedem, sagt Joachim Kirchner. Der Ausbilder ist einer von fünf Orthopädietechnik-Meistern, die Franks Ausbildung begleiten. Daher sei es nicht einfach, gutes Fachpersonal zu bekommen.
Frank gefällt die Vielfalt des Berufs
Für Frank war früh klar, dass er einmal einen Beruf ergreifen würde, bei dem man mit den Händen arbeitet. Schon in der Realschule belegte er den handwerklichen Zweig. Er besuchte einen Tag der offenen Tür und absolvierte ein Praktikum bei den Hessing-Kliniken. Anschließend begann er die Ausbildung. „Mir gefällt die Vielfalt des Berufs“, sagt Frank. „Hier hat man gefühlt jeden Tag was anderes zu tun.“ In seiner Ausbildung durchläuft er die unterschiedlichen Fachbereiche in der Klinik, Orthetik, Prothetik und Rehatechnik gehören dazu. „Die ersten beiden Wochen habe ich viel zugeschaut und assistiert“, verrät Frank.
Kommt ein neuer Patient mit der Diagnose vom Arzt, beginnt die Arbeit: In einem Raum im Erdgeschoss steht ein Barren, wie man ihn aus dem Sportunterricht kennt. Während Patienten am Gymnastikgerät entlanglaufen, analysieren die Orthopädietechniker den Bewegungsablauf. Auf einem Tisch ist ein Laptop aufgebaut, an den ein Scanner angeschlossen ist. Üblicherweise führt Frank den Scanner um den Oberkörper des Patienten. Hintereinander tauchen kleine Bildpunkte auf dem Computer auf, die sich zu einem dreidimensionalen Bild verdichten. Orthopädietechnik-Meister Raphael Heller kennt noch andere Zeiten. Früher, erinnert er sich, hat das lange gedauert. „Wir mussten den Körper des Patienten mit Gipsbinden einwickeln und die Maße per Hand nehmen.“
Trotz Digitalisierung wird handwerklich gearbeitet
Der Ausbilder hat vor zwei Bildschirmen Platz genommen. Mit Hilfe einer 3-D-Software bearbeitet er den gescannten Rumpf eines Patienten. Später soll daraus ein Korsett entstehen. An der Wand gegenüber von Heller hängt ein Bild, auf dem Hofrat Friedrich Ritter von Hessing zu sehen ist. Im 19. Jahrhundert stellte der Gründer der Klinik orthopädische Stützapparate aus Leder oder Holz her. Heute werden sie aus Kohlefaser, Kevlar oder Glasfaser geformt – je nachdem welche Beschwerden vorliegen. Die unterschiedlichen Materialien und die Grundlagen der einzelnen Krankheitsbilder lernt Frank im Anatomieunterricht. Das fertige digitale Modell geht anschließend an eine externe Firma. Ein bis zwei Tage dauert der Prozess, bis ein gefrästes Schaummodell zurückkommt. Doch trotz digitaler Prozesse wird auch in der Orthopädietechnik noch handwerklich gearbeitet.
Elias Frank kümmert sich im Moment hauptsächlich um sein Gesellenstück. Im Juni muss es fertig sein und in der Berufsschule präsentiert werden. „Heute Nachmittag wird es spannend“, sagt er. Dann kommt der Patient zur ersten Anprobe. Über seine Zeit nach der Ausbildung braucht sich Frank keine Sorgen zu machen. Er wird weiter in der Hessing-Stiftung arbeiten. Den Vertrag hat er schon in der Tasche.