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Lebensmittel: Bio-Absatz wächst: Sind die Deutschen besser als ihr Ruf?

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Bio-Absatz wächst: Sind die Deutschen besser als ihr Ruf?

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    Während der Corona-Krise haben die Menschen anscheinend häufiger Biolebensmittel eingekauft.
    Während der Corona-Krise haben die Menschen anscheinend häufiger Biolebensmittel eingekauft. Foto: Jan Woitas, dpa (Symbolbild)

    Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: Um 22 Prozent ist der Absatz von Bio-Milch in den ersten Wochen der Corona-Krise angestiegen. Der von Milch insgesamt nur um 15 Prozent. Das heißt: Wer zu Beginn der Corona-Krise in den Supermarkt ging und sich Milch kaufte, griff überdurchschnittlich häufig zu einem Bio-Produkt. Das ist ungewöhnlich, weil der Bio-Lebensmittelmarkt in den vergangenen Jahren zwar immer wuchs, aber immer relativ langsam. Woher kommt also dieser Anstieg? Und: Ist das eine anhaltende Entwicklung?

    Um das herauszufinden, hat sich die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft - kurz Ami - genauer angesehen, wie sich der Bio-Lebensmittelmarkt während der Corona-Krise entwickelt hat. Nicht nur im März, sondern auch im April. Denn der Anstieg im März hätte auch bedeuten können, dass Verbraucher einfach Lebensmittel bunkern wollten. Nudeln, Mehl und Hefe waren ja eine Zeitlang ausverkauft. Es hätte also sein können, dass die Kunden besonders begehrte Ware einfach haben wollte - egal ob bio oder konventionell. Doch die April-Zahlen weisen in eine andere Richtung. Denn auch als die Hamsterkäufe vorüber waren, griffen die Kunden häufiger zu Bio-Produkten, sagt Thomas Els, Ami-Datenanalyst.

    Corona als Chance? Bio-Lebensmittelmarkt wächst seit Jahren nur sehr langsam

    Schaut man sich den gesamten Lebensmittelmarkt an, liegt der Anteil von Biolebensmitteln etwa bei einem Anteil von sechs Prozent. In manchen Bereichen - etwa bei Obst, Gemüse oder Eiern - liegt der Absatz deutlich höher, sagt Achim Spiller. Er ist Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Universität Göttingen. Beim Fleisch hingegen liege der Marktanteil bei etwas über einem Prozent und das ändere sich kaum. Nun hat die Ami aber herausgefunden: Auch beim Fleisch ist der Absatz von Bio-Produkten während der Corona-Krise gesteigen. Im April sogar um zwei Drittel. Jahrelang tat sich also kaum etwas und nun wächst der Absatz sprunghaft. Wie lässt sich das erklären?

    Dieser vermeintliche Bio-Boom in der Corona-Krise hat laut Spiller einen einfachen Grund: Die Menschen essen weniger außer Haus. "Etwa 30 Prozent der Lebensmittel werden normalerweise außer Haus verzehrt", sagt Spiller. Aber: "In diesem Außer-Haus-Segment werden kaum Bio-Produkte verwendet." Das bestätigt auch der Bund der ökologischen Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Lediglich ein bis zwei Prozent der Lebensmittel, die an Kantinen, Mensen oder Restaurants verkauft werden, sind bio, heißt es von dort. Ein Grund für diese niedrige Quote ist der Preiskampf, sagt Spiller. Für Altenheime oder Krankenhäuser gäbe es fixe Preise, wie viel eine Mahlzeit kosten dürfe. "Wenn der Betreiber keine Vorgabe macht - etwa eine bestimmte Quote an Bio-Produkte festlegt - dann entscheidet nur der Preis, wer den Auftrag bekommt", sagt der Professor. Und der spreche gegen Bio-Lebensmittel.

    In Restaurants, Kantinen und Menschen werden nur etwa ein Prozent Biolebensmittel verarbeitet

    Weil Restaurants, Kantinen und Mensen seit Beginn der Corona-Krise aber nur unter verschärften Auflagen Essen verkaufen konnten, und weil zudem viele Menschen von Zuhause arbeiten, haben die Deutschen mehr eingekauft und häufiger zuhause gekocht. Diesen Eindruck hat eine Befragung bestätigt, die gerade an Spillers Lehrstuhl läuft. Sie misst in drei Wellen, wie sich das Einkaufsverhalten der Menschen während der Krise verändert. Eine Erkenntnis: Es wird mehr selbst gekocht.

    Das ist also ein Grund: Wer nicht mehr außer Haus isst, lässt die Mahlzeit ja nicht einfach weg, sondern bereitet sich selbst etwas zu. Und wer selbst kocht, kauft anscheinend eher Bio-Lebensmittel ein als Kantinen, Restaurants oder Mensen. In der Fachwelt nennt sich das "Out-of-Home"-Paradoxon, sagt Spiller. Menschen, die nicht zuhause essen, achten weniger darauf, woher die Zutaten kommen. Selbst wenn ihnen das beim privaten Einkauf wichtig wäre. Der Absatz von Bio-Lebensmitteln ist also angestiegen, weil der Außerhausverzehr eingebrochen ist. Doch die Daten des Ami deuten noch auf etwas anderes hin: Die Deutschen sind besser als ihr Ruf.

    Wie nachhaltig ist der Bio-Boom?

    Denn ein gängiges Vorurteil über den deutschen Konsumenten lautet: Er kauft am liebsten billig ein - gerade beim Essen. Nur so hat er Discounter wie Lidl und Aldi - beide ja deutsche Erfindungen - groß gemacht. Obwohl viele Verbraucher in Umfragen immer wieder sagen, natürlich wären sie bereit für Bio-Produkte oder Fleisch aus guter Tierhaltung mehr Geld zu bezahlen, änderte sich der Absatz lange nicht. Die Folgerung: Die Befragten sagen das nur, weil sie annehmen, der Interviewer wollte diese Antwort hören. Biosiegel oder Tierwohllabel sind ihnen aber eigentlich völlig egal. Die Daten über das Einkaufsverhalten während der Corona-Krise lassen jetzt darauf schließen, dass dieses Vorurteil so vielleicht gar nicht stimmt. "In der Bevölkerung weist etwa ein Drittel der Menschen eine Präferenz auf, Bio-Produkte zu kaufen", sagt der Göttinger Professor Spiller. Und offenbar entscheiden sich viele auch ihrer Präferenz entsprechend, wenn sie denn die Wahl haben.

    Bleibt die Frage, ob das Essen nicht doch wieder das Erste ist, woran die Menschen sparen, wenn die Wirtschaft deutlich einbricht. Wenn Kurzarbeit dauerhaft einen Teil des Einkommens wegbrechen lässt oder viele Menschen arbeitslos werden. In bisherigen Krisen war es immer so. Brach die Wirtschaft ein, wuchs der Absatz von Billiglebensmitteln. Das spiegeln die Daten der Ami wider. Und auch Spiller sagt: "Wenn ein Großteil des Einkommens fehlt, man vielleicht sogar von Hartz IV lebt, dann hat man oft gar keine andere Wahl als die billigsten Lebensmittel einzukaufen." Und dennoch könnte es anders kommen. Warum? Zum einen geht die Marktforschungsgesellschaft GFK davon aus, dass Nachhaltigkeit ein Trend ist, der das Einkaufsverhalten der Menschen auch nach Corona prägen wird. Zum anderen sagt Spiller: "Hinter der Entscheidung, Bio-Produkte zu kaufen, steht ein Werte-Gerüst. Und das bleibt auch in ökonomischen Krisen bestehen."

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